Wie Gene Simmons KISS rettet.

Konzertkritik: KISS im Hallenstadion Zürich
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KISS lockten am Mittwoch Abend 13‘000 Menschen ins Zürcher Hallenstadion. Das Publikum wollte Starchild, Demon, Spaceman und Catman rocken sehen wie in alten Zeiten. Viele hatten sich den Musikern entsprechend geschminkt, KISS-Shirts waren allgegenwärtig, viele brachten ihren Nachwuchs mit, alle blickten um 21 Uhr gebannt auf die noch verdeckte Bühne.

 

Der Auftakt war dann auch schon ganz gross inszeniert. Auf Bildschirmen zuerst der Gang zur Bühe - wie Boxer auf dem Weg in den Ring. Schliesslich schwebten die Amerikaner auf grossen Hebebühnen herab, begleitet von knallenden Pyros. Aber schon während der ersten Töne zu «Detroit Rock City» war eines klar: Paul Stanley kann nicht mehr singen. Die Stimme brach bei jedem zweiten Ton ab, die für KISS-Songs bekannten Höhen blieben unerreichbar - ein stimmliches Desaster.

 

Nun haben KISS grosses Glück, zwei andere wichtige Faktoren zu besitzen - eine gross inszenierte Show und Bassist Gene Simmons. Demon trifft auch mit 65 Jahren noch alle Töne und nahm Paul Stanley etwa die Hälfte der Arbeit ab. So kam schnell der Verdacht auf, dass dieser nur noch der Vollständigkeit halber anwesend war, indem er dekorativ auf dem Bühnenrand sass, ab und zu noch Gitarre spielte, und immerhin das Publikum erfolgreich animierte. Dabei schoss seine Stimme wiederum derart in die Höhe, dass der Verdacht naheliegt, dass man zeigen musste, dass seine Stimme eben doch noch irgendwie irgendwo da ist. 

 

Bass-Solo an der Hallendecke 

 

Die Show selbst hat dann das komplette Konzert gerettet. Lichtshow, Feuerwerk und Hebebühnen waren allgegenwärtig und haben das Publikum bestens unterhalten. Ein besonderes Show-Zückerchen war das eigenwillige «Solo» von Gene Simmons. Sein geschminktes Gesicht mit hellgrünen Linsen - auf drei Grossleinwände übertragen - zog Grimassen, die alleine es schon verdient haben, gezeigt zu werden. Schliesslich lief «Blut» aus seinem Mund, was er mit seiner berühmten langen Zunge förmlich zelebrierte. Das Bild machte seinem Beinamen Demon alle Ehre. An Seilen wurde Simmons fast bis an die Decke gehoben, wo er gleich noch ein Bass-Solo drauflegte - das Publikum jubelte. 

 

Neben den altbewährten Hits spielten Kiss auch das ein oder andere «neue» Stück (das aktuelle Album «Monster» erschien 2012) wie «War Machine» oder «Hell or Hallelujah». Bei «Love Gun» (1977) hatte dann doch auch Starchild Paul Stanley noch seinen grossen Moment. Ein Seilzug trug ihn auf ein Podest in der Mitte der Halle, wo er den Song dann auch einigermassen interpretieren konnte. Der Jubel war ihm trotzdem gewiss.

 

Als Zugabe gab es dann «Shout It Out Loud» und die natürlich noch fehlenden Hits «I Was Made for Lovin‘ You» und «Rock and Roll All Nite», bevor die Menge zu «God Gave Rock’n’Roll To You» aus dem Lautsprecher nach draussen strömten.

 

Mein Highlight des Abends war - ganz ehrlich und ganz simpel - die Vorband The Dead Daisies. Es ist eigentlich sowieso eine Schande, eine solche Band «nur» als Support zu engagieren, denn dem Grossteil des Publikums war wahrscheinlich nicht klar, wen sie da überhaupt vor sich hatten. Es waren da (neben Gründer David Lowy) John Corabi (Mötley Crüe), Richard Fortus (Guns N‘ Roses), Marco Mendoza (Thin Lizzy, Whitesnake), Dizzy Reed (Guns N‘ Roses) und Tommy Clufetos (Black Sabbath, Alice Cooper). Bereits am Abend zuvor haben vier der Musiker bei einer Unplugged-Show im «Gitarren Total» in Zürich Wiedikon komplett überzeugt, und zeigten sich, natürlich auch durch den intimen Rahmen - ganz publikumsnah. Am Mittwoch konnten sie dann «mit voller Wucht» zeigen, was in ihnen steckt - nur leider viel zu kurz und viel zu ungewürdigt. Musikalisch waren sie eindeutig besser als KISS.

 

KISS wissen, wie man mit einer bombastischen Show die stimmlichen Defizite überdeckt. Man muss sie einfach mal gesehen haben - das reicht dann aber auch, wenn man nicht enttäuscht werden will. 

Seraina Schöpfer / Do, 11. Jun 2015