Vance Joy spielt im Komplex 457

Konzertkritik: Vance Joy in Zürich
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Pressebild Warner Music / © Miles Holder

Was haben Vance Joy, Taylor Swift und Pink gemeinsam? Nun ja, mit Taylor Swift war er 2015 auf Welttournee und mit Pink wird er im Sommer 2019 durch Europa tingeln. Vance Joy hat es also geschafft, in einem Atemzug mit einigen der ganz Grossen genannt zu werden.

 

Und nun tritt er im Komplex 457 in Zürich auf, vor 1700 Menschen, die Show ist seit Wochen ausverkauft. Die meisten werden den smarten australischen Singer-Songwriter durch seinen Ukulele-Hit «Riptide» kennen. Ein Song, der unter die Haut und kaum mehr aus dem Kopf geht. In den australischen Charts hält «Riptide» den Rekord für die längste Verweildauer in den Top 100. Ein Prachtstück: eingängig, soft und ausdruckstark, als würde man mit jedem Ton behutsam hin- und hergeschaukelt werden. Der 31-jährige Musiker, der mit bürgerlichem Namen James Keogh heisst, hat seine fünfköpfige Band dabei, die wiederum mit diversen Instrumenten ausgestattet ist: Von Trompete, über Posaune, Saxophon und natürlich Schlagzeug, Keyboard, Gitarre und Bass. Ein starkes Aufgebot. 

 

Vance Joy steht vorne auf der Bühne, alles ist schwarz, nur seine Silhouette wird von einem grellen Scheinwerfer hervorgehoben. Die Szene mutet mystisch an. Er stimmt bekanntere Stücke seiner ersten Platte, «Dream your life away» (2014), an: «Mess is mine», ist eines davon. Dieser Titel ist anscheinend vielen seiner hauptsächlich weiblichen Fans bekannt, er regt die Zuhörer zum Mitschunkeln an. Aber das war’s dann auch. Die Band wirkt schon von Anfang an müde und eher unbeteiligt. Auch Vance Joy gelingt es nicht, zur Hochform aufzulaufen. Seine Stimme ist teilweise sehr kräftig und klar, bei einigen Passagen aber eher krächzend und auch die Töne trifft er nicht ganz zuverlässig. Die Songs wirken stellenweise flach, gefühllos. Dennoch dankt ihm das Publikum mit kräftigem Applaus, Song für Song. Aber die Stimmung kann kaum angeheizt werden. Der Funke springt nicht über. 

 

Warum? Die beiden Platten sind grossartig. Vance Joy ist ein talentierter Songschreiber, der dem Genre Indie Pop/ Indie Folk zuzuordnen ist. Er hat eine eindringliche Stimme, das Repertoire an Instrumenten ist beinahe unübertrefflich. Warum scheint eine gläserne Wand die Band von der erwartungsvollen Menge zu trennen? Man kann nur spekulieren: Vielleicht der Jetlag? Sind die Bläser zu leise? Ja eher. Die Erwartungen zu hoch? Oder ist er einfach nur schüchtern?

 

Beim Solo-Song «I`m with you» gewinnt der Jura-Absolvent schliesslich etwas mehr an Präsenz und bei  «From Afar» schwappen endlich auch Emotionen in die Halle über. Viel Applaus und tanzende Beine bringt ihm das Cover «All night long» ein, das er solide und soweit energievoll präsentiert. Den Höhepunkt erlangt er - wie könnte es anders sein - mit seinem Erfolgshit «Riptide». Hier verbinden sich die Vibes des Künstlers mit denjenigen der Fans. Es bleibt jedoch bei diesem kurzen Vergnügen. Die Band geht danach ohne Zugabe von der Bühne.

 

 

Ein Aufsteller hingegen war seine Vorband. Die drei jungen Kanadier um Scott Helman gewannen durch ihre Power schnell die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Sie präsentierten ihre rockigen und einmaligen Songs auf eine erfrischende Art, begleitet von gekonnten Tanzeinlagen des Frontsängers. Die Jungs könnten fast als Schüler durchgehen, aber er sei immerhin schon 23ig, betonte der Sänger lachend. 

 

Was nimmt man mit von solch einem Abend? Es gibt Künstler, die geniale Songs schreiben und eine unverkennbare Platte aufnehmen, live ihr Potential aber nicht ausschöpfen können, zumindest nicht immer. Die gute Nachricht ist aber: Es scheinen junge Bands mit einer frischen Ader in den Startlöchern zu stehen, die nur darauf warten, die grossen Bühnen zu erobern.

 

Vance Joy ist ein genialer Songwriter und mit seinem Song «Riptide» kann es keiner so leicht aufnehmen. Aber an diesem Abend ist der Wurm drin: Vance präsentiert die Songs eher gefühllos, seine Stimme krächzt stellenweise. Gegen Ende kommt etwas Schwung ins Konzert, Luft gegen oben ist aber da. Die Vorband mit Frontsänger Scott Helman sollte man sich merken, die jungen Kanadier haben mit ihrer erfrischenden Art die Bühne gerockt.

 

 

Katja Nosswitz / Sa, 10. Nov 2018