Menschliche Abgründe klangen nie schöner als bei The National

Konzertkritik: The National
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Pressefoto 4AD

Über The National muss man eigentlich nicht mehr viel erzählen. Die Band geniesst seit ihren nun 20-jährigen Bestehen Kultstatus unter Musikliebhabern, Fans und Journalisten dergleichen. Während die ersten Alben eher dem Genre Alternative Rock zugeordnet werden können, sind auf den aktuelleren Erscheinungen vermehrt elektronische Klangfarben zu hören. Verpackt werden diese in mal dichte, mal luftige Songs, stets umrahmt von der tiefen und eindrucksvollen Stimme von Sänger Matt Berninger, der über Abgründe, Beziehungsprobleme und die Welt singt. Für den dazugehörigen Drive zeigen sich die Brüderpaare Dessner (beide Gitarre/Piano) und Devendorf (Drums/Bass) verantwortlich. An dieser Stelle sei die Bandeigene Dokumentation “Mistaken for Strangers” zu empfehlen, die fast schon eine Parodie ist und die einzelnen Verbindungen innerhalb der Band unter anderem auf die Schippe nimmt.

 

Im Rahmen des aktuellen Albums “I Am Easy To Find” waren The National diesen Mittwoch in der Samsung Hall zu bestaunen.

 

Kurz nach neun Uhr betreten die Bandmitglieder und zahlreichen Zusatzmusiker die Bühne unter tosendem Applaus, umrahmt werden sie von drei grossen Videoscreens und einem leuchtenden Quadratrahmen an der Decke. Unkompliziert startet de Truppe mit “Rylan”, “You Had Your Soul With You” und “Quiet Light” aus dem neuen Epos. Anfangs noch ein bisschen verwaschen und matschig, dann aber schnell klar und imposant wird der Sound gekonnt abgemischt.

Das Zürcher Publikum weiss aber erst bei den Klassikern “I Should Live In Salt” und “Don’t Swallow the Cap”, wie die Körperextremitäten eingesetzt werden, nämlich zum Tanzen und Kopfwippen.

 

Ab diesem Moment werden die Anwesenden in einen Strudel gesogen, der gespickt mit Emotionalität, Tränen, Freude, Leichtigkeit aber auch gezielten Sprüchen von Matt Berninger (“AMERICA!”, dann leicht sarkastisch: “Everything is okay”) ist. Auch aufkommende technische Probleme sind für die Band ein Leichtes: es wird kurzerhand ein Wunsch aus dem Publikum gespielt, um die Panne des Synthesizers zu überbrücken. Im Lauf des Abends lässt es sich Leadsänger Matt auch nicht nehmen, mehrere Bäder in der Menge zu nehmen, sehr euphorisch aufgenommen wird.

 

Klare Höhepunkte des Abends auszumachen, ist schwierig. Gerade auch, da es so viele in verschiedenen Formen gibt: mal sind es die Bläser, die einzelne Songs zusätzlich veredeln, mal die Intensität des Baritons von Matt, dann wieder Hitsongs wie “The System Only Dreams In Total Darkness”.

 

Bei vielen Bands endet ein Konzertabend meist mit einem Hit zum Schluss oder viel Lärm. Nicht so bei The National, denn die lassen es sich nicht nehmen, den Song “Vanderlyle Crybaby Geeks” komplett unverstärkt zum Besten zu geben. Natürlich mit Hilfe des Publikums, das die Zeilen des Lieds unter Anweisung des Leadsängers treffsicher mitsingt. Warum nicht mal öfters so?

David Schaufelberger / Do, 05. Dez 2019