Lianne La Havas füllt das Roundhouse mit Emotionen

Konzertkritik: Lianne La Havas in London
Bildquelle: 
© Warner Music

Ein Schatten zeichnet sich im bläulichen Bild ab. Jemand bewegt sich im Gegenlicht, tritt langsam aus der Schwärze des Raumes. Immer weiter entfernt sich die Kamera, bis Lianne La Havas erkennbar wird. Sie schlendert lächelnd und nur mit einer Gitarre in der Hand gemütlich auf die Bühne, die sich mitten im Saal des Roundhouse befindet. Das Setting ist abgesehen vom technischen Equipment einfach gehalten. Ein Sofa hinter der Musikerin, eine Ständerlampe links daneben, sehr viele Blumen sind arrangiert und abgesehen von einer Lichterkette ist das Roundhouse dunkel. Es wirkt ein wenig, wie in einem Wohnzimmer. Dann setzt die Londonerin zum Singen an und zeigt schon beim ersten Song, wie sauber und klar ihre Stimme klingt und wie effektiv sie damit umzugehen versteht.

 

Fast vergisst man beim ersten Song, dass man einem Stream und keinem Konzert zuschaut. Aber der fehlende Applaus holt hart auf den Boden der Realität in Zeiten von Corona zurück. Etwas verloren blickt Lianne im ersten Moment, aber sie scheint das ruhige Set zu geniessen schickt kurz die Metalhörner als kleinen Gruss an die Menschen vor dem Bildschirm. Es ist einer der ersten kommerziellen Streams, also eine kostenpflichtige Übertragung. Eigentlich eine schöne Idee, da durch das Virus die Kulturszene vielerorts fast gänzlich ausfällt. Zudem geht es Lianne nicht primär um das Geld, so gehen ihre persönlichen Erlöse aus dem Konzert an Organisationen, die Black Lives Matter nahestehen. Aber natürlich ist der Zeitpunkt nicht zufällig gewählt, denn zwei Tage nach dem Auftritt veröffentlicht Lianne La Havas ihr neues Album, das schlicht ihren Namen als Titel tragen wird.

 

«It’s still a Gig»

 

Für den Song «Green Papaya» vom kommenden Album holt sie Frida Touray auf die Bühne. Sie hätten den Song gemeinsam geschrieben und Frida seit sowieso «wonderful», erklärt Lianne. Der Song besitzt einen eingängigen Rhythmus und scheint für die beiden Stimmen geschrieben worden zu sein, so wie sich der Gesang der beiden Frauen verbindet. Immerhin ist Frida eine ausgebildete Sängerin und das hört man klar. Dazu die lockere Gitarre, wunderbar. Am Boden neben Lianne ist eine Platte von Fridas Band Native Dancer an einen kleinen Tisch gelehnt. Direkt daneben die neue Platte von Lianne La Havas selbst. Schliesslich sind Platten in einem Wohnzimmer keineswegs ein Störfaktor.

 

Nach dem Song stimmt Lianne La Havas lachend ihre Gitarre und meint: «It’s still a Gig». Recht hat sie, denn auch wenn die beiden Frauen mitten im Roundhouse stehen und das Bild mit Blick auf den sonst vollen Saal etwas trist ist, so ist das Geschehen im Scheinwerferlicht lebendig und stilvoll. Man hört gerne zu, kann sich wunderbar entspannt in den Songs verlieren und einige neue Songs quasi erstmals live hören. Und langsam wird das legendäre londoner Konzertlokal elegant beleuchtet. Beispielsweise sind die Säulen, die das Rund säumen, in blaues Licht getaucht, während sich die beiden Sängerinnen in «Unstoppable» vom letzten Album «Blood» verlieren.

 

Klippgen geschickt umschifft

 

Für «Seven Times» gehört die Bühne wieder Lianne alleine. Der Song vom neuen Album bietet viel Potential für die helle Stimme der 30-jährigen Musikerin und diese nutzt sie, singt sicher und entspannt. Riskant sind solche Gitarre und Stimme-Sets aber trotzdem, weil ohne Band im Rücken schnell mal Langeweile entsteht. Das ist schon viel grösseren Namen als Lianne La Havas passiert. Diese Klippen umschifft Lianne aber sehr behände und professionell, indem sie ihr Gitarrenspiel smart variiert und jeweils dem Song bzw. ihrem Gesang anpasst. Über die volle Stunde überzeugt Lianne La Havas musikalisch und zeigt ihre Klasse. 

 

Für «Bittersweet» tritt Frida, die zuvor auf dem Sofa sass, wieder ans Mikro. Lianne nutzt den Song, um ihre Stimme nochmals mit richtig viel Kraft wirbeln zu lassen. Die jetzt aufgewärmte Stimme zeigt schön, welche schimmernde Eleganz Lianne in ihrer Stimme hat. Man weiss inzwischen, dass Lianne singen kann, aber beim intimen Gig im Roundhouse unterstreicht sie eindrücklich, welche Wucht sie mit ihrer Stimme entfalten kann.

 

Kreativer Pausenfüller

 

Das Zugabespielchen bei Konzerten ist ohne Publikum und Applaus natürlich etwas schwierig. Lianne löst das kreativ. Sie bringt einen Plattenspieler in Rotation, legt die Nadel auf die Vinyl-Rille, lässt «Big Blue» von Native Dancer laufen und legt daneben einen Zettel mit der Aufschrift «Back in 5 …». Innovativ gelöst und gleich noch der Band von Frida Touray einen prominenten Slot verschafft.

 

In der kurzen Pause hat Lianne ihr schwarz-weisses Outfit gegen ein Kleid in rot, grün, gelb und schwarz getauscht. Vermutlich deutet sie damit auf die Rastafari-Bewegung bzw. auf Jamaika hin, denn Lianne La Havas Mutter ist Jamaikanerin. Nochmals steht Frida Touray mit auf der Bühne. Die beiden Musikerinnen wirken wie zwei Freundinnen, die entspannt im Proberaum jammen. Das offenbart eine Harmonie und Qualität, die ansteckt. Und als sich Lianne La Havas nach gut einer Stunde nach den letzten Klängen von «Midnight» bedankt und nochmals Black Lives Matter unterstreicht, wirkt der Gig wie ein Versprechen, dass das kommende Album zu erfüllen hat und wohl auch wird.

 

Lianne La Havas füllt das Roundhouse. Zwar ohne Publikum, aber mit ihrer kraftvollen, seidig-warmen Stimme und leisen, jedoch zündenden Songs.

 

 

 

Bäckstage Redaktion / Do, 16. Jul 2020