Cuo’mon and kick me!

Konzertkritik: Weezer im X-Tra
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Pressbild: © Warner Music Schweiz

Vor dem Eingang huschen Trauben von Ticketverkäufern umher. Fans philosophieren engagiert über ihre Lieblingsalben, die nach fast allen erhältlichen Farben betitelt sind. So sieht das aus, wenn keine Konsumenten, sondern Kenner anreisen. Gefolgsleute statt Mitläufer. Als Vorband treten «Indoor Pets» an, ein starkes Newcomer-Quartett aus Grossbritannien. Es gibt Weezer auf Bandcamp explizit als Inspirationsquelle an, und wird diesem Anspruch gerecht. Die Band klingt ein wenig, als hätten sich die «Smashing Pumpkins» und die «Pixies» zusammengetan und ihre Bierharasse und Heroinspritzen durch Ritalin ersetzt. Ihre Musik würde bestimmt gut zu klassischer Autowerbung passen – wenn sie mit halber Geschwindigkeit liefe. Früher hätte man solchen Sound College-Rock genannt. Heute wird das wohl eher unter Safe-Space-Rock verbucht. Alles aerodynamisch, frisch und ausgereift. Aber an mancher Stelle auch bieder, hermetisch und gehemmt. Es herrscht Anspielpflicht! 

 

Punkt 21 Uhr tritt der introvertierte Brillenträger und Leadsänger Rivers Cuomo vors eiserne Gruppen-Logo. Später wird er die Fans ausgedehnt auf Hochdeutsch begrüssen, doch noch trägt er Schlapphut. Damit erinnert er an den wunderbaren Gregg Alexander, Chef der «New Radicals», der während der einzigen Tournee der Band seinen Mangel an Enthusiasmus unter einer Mütze verbarg. Cuomos Songs verhandeln mitunter ernste Themen wie Isolation, Depression und Ausgrenzung, sind aber niemals bitter oder düster. Weezer hätten ebenso gut eine Grunge-Band sein können, die vor dem regnerischen Seattle unter die Sonne Kaliforniens flüchtete, um in einer Garage den amerikanischen Künstlertraum zu begehen. Im Kern strebt ihre Musik nach der höchsten aller Disziplinen. Simplen Popsongs, gespickt mit Rhythmuswechseln, Widerhaken und liebevollen Ausfälligkeiten. Weezer etablierten sich in einer Zeit, als Alternative Rock noch frei von Gruppenpfeifen, Klassenklatschen und «Nanana»-Gesängen war. Als Bands noch ihre Instrumente beherrschten, singen, aber nicht tanzen konnten.  

 

Cuomo legt den Panzer ab

 

Und noch ein weiteres Merkmal zeichnet ihr Repertoire aus. Die Refrains sind ausnahmslos fürs Mitsingen prädestiniert, und das Publikum macht von Beginn weg mit. Wenn man so will, Hymnen für Fussball-Stadien, in deren Fankurven eine strikte Clausthaler-Maxime gilt. Es fliegen keine Petarden auf den Rasen, aber reihenweise Hände in die Luft. Bald fühlt sich der Sänger mutig genug und legt wie Thanos in «Infinity War» den Helm ab. Ein verjüngter Stephen Colbert kommt zum Vorschein, doch Cuomo ist kein Showman. Die Wege, die er geht, sind bestimmt an jedem Konzert dieselben. Etwa, wenn er an den Flanken die Boxen erklimmt, das Publikum besingt und zaghaft eine Mano cornuta wagt. Dafür besitzt er Charisma und Virtuosität, und seine Stimme ist kräftig und treffsicher wie in den Anfangsjahren. Zur Mitte des Gigs wird «Africa» von Toto angestimmt. Bis auf das notgeschlachtete Synthie-Solo haben sie den Welthit exakt repliziert. Das ist so, als würden NIN «Dance Away» von Roxette covern, oder Depeche Mode «Don’t Cha» von den Pussycat Dolls; es funktioniert herrlich, fällt aber komplett aus dem Rahmen. Zwei Songs später spielen sie mit «Feels Like Summer» eines ihrer neuesten Lieder, und fallen damit in eben jene grauenvolle Vodafone-Rock-Schablone. Sie fangen sich jedoch rasch und kehren zu diesem charakterfesten Grundklang zurück, dessen souveräne Anleihen nicht mal vor Bon Jovi oder Nirvana Halt machen. 

 

Nach rund siebzig Minuten hängt die Band als Zugabe «Say It Ain’t So» und «Buddy Holly» dran. Cuomo verabschiedet sich glücklich lächelnd mit dem Weezer-Gruss. Zwei aneinandergehaltenen Fingerpistolen, die den Anfangsbuchstaben des Bandnamens formen. Ein Volltreffer für einen Mann, der im Leben viel erdulden musste, der sich jedoch gemeinsam mit seinen Mannen treu geblieben ist. Und der dafür von einer gewidmeten Fangemeinde – hoffentlich nur für den Augenblick – verabschiedet wird.

 

In den Neunzigern hatte ich Weezer weitgehend verachtet. Wegen dem Mangel an Elektronik, ihrer scheinbaren Biederkeit und den schrulligen Musikvideos. Weezer, das war für mich Hintergrund. Die perfekte Fahrstuhlmusik steckengebliebener Warenlifte. Aber an diesem Abend konnte ich endlich hören, was alle anderen schon lange in ihnen gesehen haben. Ich wünschte, es wäre früher geschehen.  

 

 

Setlist:

 

  • Happy Days Intro
  • My Name Is Jonas
  • No One Else
  • Undone – The Sweater Song
  • Happy Together (The Turtles)
  • El Scorcho
  • Holiday
  • In The Garage
  • The Good Life
  • Africa (Toto)
  • Pink Triangle
  • Why Bother
  • Island In The Sun
  • Beverly Hills
  • Take On Me (A-Ha)
  • Pork And Beans
  • Perfect Situation
  • Hash Pipe

 

Zugabe:

 

  • Say It Ain’t So
  • Buddy Holly 

 

Mike Mateescu / Di, 09. Jul 2019