„Merci merci merci, Lausanne!“
Text von Corinne Hunziker
Sonntagabende sind in der Regel ein eher ungünstiger Zeitpunkt für Konzertbesuche. Die paar Bier, die man am Vorabend hätte sein lassen sollen, und das damit verbundene Schlafmanko werden nie besser spürbar als beim Warten auf eine seit Langem herbeigesehnte Performance. Zum Glück trumpfte das ausverkaufte Les Docks in Lausanne diesen Sonntag mit M83, einer Band nicht von dieser Welt, sondern von weit weg, aus der gleichnamigen Galaxie, die irgendwo im Sternbild Wasserschlange liegt und wo Zeit und Raum keine Rolle spielen. Nach der beschwörenden Begrüssung durch ein Alf-Elf-ähnliches Wesen war man umso überraschter, als die 4-köpfige Band die Bühne betrat und dabei normaler aussah als mancher Konzertbesucher. Einzig die muskulösen Oberarme des eher unscheinbaren Frontmannes und Bassisten Anthony Gonzales und die römisch anmutende Unterbekleidung der sehr solotauglichen Keyboarderin und Sängerin Morgan Kibby fielen da etwas aus dem Rahmen.
Das extraterrestrische Thema der Band wurde nebst den von Synthesizern gespickten Songs auch durch Lichteinlagen visuell unterstrichen. Passend zum schön gesungenen Duett Graveyard Girl wurde die Bühne in warmes Magenta getaucht, später dann in ein Gewitter aus bunten Blitzen und den französischen Nationalfarben verwandelt.
Nach den ersten drei Songs, die von laut bis leise und schnell bis langsam bereits alles beinhalteten, wandte sich Gonzalez an das faszinierte Publikum und erklärte, dass sie bei ihrem ersten Clubkonzert auf Schweizer Boden und gleichzeitig dem letzten ihrer momentanen Tour einfach „un bon moment“ verbringen und mit den Besuchern ein bisschen „la fête“ machen möchten. Die Menge bejahte das Vorhaben, indem sie zum mitsingtauglichen Reunion einem Sonntagabend entsprechend rumhüpfte.
Es folgte eine intergalaktische Reise, bei der Gesang nur teilweise eingesetzt wurde und das Publikum sich zweitweise in einem Western auf dem Mars wähnte, oder später Strandferien auf Pluton machte (Year One, One Ufo). Auch minime Sigur Rós-Momente tauchten während des sanft auf der Gitarre gezupften Wait auf.
Als schliesslich die Instrumente heftig dröhnten, um sofort abrupt zu verstummen und Stille im Les Docks zu verbreiten, um so die Landung eines Raumschiffes zu simulieren, kam sie, die epochale Sirenenmelodie von Midnight City. Die Besucher haben auf den von diversen Musikforen als besten Song 2011 gekürten Kracher gewartet. Zahlreiche Smartphones schnellten in die Höhe, um das Highlight einzufangen. Zuerst klang das Kronjuwel der neusten CD Hurry Up, We’re Dreaming überraschend geerdet, vielleicht weil man es schon einige Male mehr gehört hat als den Rest der Scheibe, vielleicht weil die Synthesizer tatsächlich sparsamer eingesetzt wurden als bei den vorangehenden Songs. Je länger M83 den Song aber spielten, desto mehr wichen sie von der bekannten Version ab, und das Space-Saxophon-Solo am Schluss wurde durch eine dezente Tanzeinlage Gonzalez‘ ersetzt, was die euphorisierte Menge dazu bewegte, die Erdanziehung zu ignorieren und zu hüpfen, was das Zeug hielt.
Dann konnte sich auch der Rest der Band nicht mehr halten und liess sich für den letzten dancefloortauglichen Song so richtig gehen. Wie kleine Kinder hämmerten sie begeistert auf ihren Drumkits und Kuhglocken herum, ja, man spürte gut, sie wollten die letzten Stunden auf dem Planeten Erde noch richtig geniessen.
Mit den Worten „Merci merci merci, Lausanne!“ verabschiedeten sich M83 sichtlich zufrieden, und genau so unspektakulär wie sie gelandet waren, verliessen sie die Bühne auch wieder. Wenn jede Invasion so spassig und friedlich abläuft wie die gestrige im Les Docks, dann freuen wir uns auf die nächsten Besuche aus dem All – auch an einem Sonntagabend, wenn es sein muss.