Wozu bist du fähig, wenn du für nichts gut bist?

Moviekritik: Chronicle
Bildquelle: 
© 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation.

Der geknechtete Eigenbrötler Andrew (Dane DeHaan) legt sich eine Videokamera zu. Doch nicht etwa um Steven Spielberg nachzueifern, sondern um fortan jeden Schritt seines Lebens zu dokumentieren. Dazu hat er auch jeden Grund. Zu Hause wird er regelmässig von seinem langzeitarbeitslosen wie alkoholkranken Vater verprügelt, in der High School pöbeln ihn die Mitschüler hemmungslos an. Dabei legt er es nicht auf eine Anzeige an, sondern begnügt sich damit, sein Elend abgespeichert zu wissen. Sein einziger Freund ist Cousin Matt (Alex Russell), der ihn eines Nachts an einen Rave schleppt, wo Andrew inmitten abfeiernder Teenies nichts Besseres einfällt als mit der Kamera herumzufuchteln. Das zieht natürlich ordentlich Haue nach sich und einmal mehr findet er sich heulend auf dem Rasen wieder. Da wird er vom überschwänglichen Quarterbackstar Steve (Michael B. Jordan) angehauen, ihn in den Wald zu begleiten. Matt und er hätten dort (bestimmt beim Kiffen) eine unglaubliche Entdeckung gemacht, welche unbedingt auf Tape gebannt werden müsse. Auf einer kleinen Lichtung schlüpfen die drei in ein mysteriöses Erdloch und stossen auf ein Objekt aus dem Weltraum, dessen betörender Anblick sie bis zur Ohnmacht überwältigt. 

 

 

Vereint durch ihre neugefundenen telekinetischen Fähigkeiten, verbringen die ungleichen Jugendlichen von nun an jede freie Minute miteinander, blödeln in bester Jackass-Manier herum und verhöhnen ihre Mitmenschen mit allerlei derben Streichen. Es soll nicht lange dauern bis nicht nur Dinge zu Bruch gehen, sondern auch Dritte ernsthaft Schaden nehmen. Matts Forderung nach einem Kodex im Umgang mit ihren Kräften stösst bei Andrew jedoch auf taube Ohren. Sein Leben lang haben andere auf ihm herumgehakt, weshalb sollte nun ausgerechnet er sich in Rücksicht üben? Trotzdem sieht es eine Weile danach aus als würde sich seine Existenz durch erschlichenen Ruhm beim Sieg an einem Talentwettbewerb zum Besseren wenden. Als sich die ohnehin prekäre Situation in seinem Elternhaus aber erneut verschlechtert, verliert er endgültig jede Bodenhaftung. Um die lebenswichtigen Medikamente für seine schwer krebskranke Mutter zu beschaffen, geht er mit seinen zur Meisterschaft entwickelten Kräften bis zum Äussersten und beschwört einen regelrechten Kleinkrieg in Seattles Innenstadt herauf. Getrieben von gleissendem Zorn scheint Andrew unaufhaltbar …

 

 

Das heiss ersehnte Leinwanddebüt von Jungregisseur Josh Trank, der sich nebenbei für die Story mitverantwortlich zeigt, wird den hohen Erwartungen mehr als gerecht. Geschickt weiss Tank das Konzept der «mitgebrachten Kamera» umzusetzen und hat die Lehren aus unansehnlich verwackelten Vorgängern, wie beispielsweise «Cloverfield», konsequent gezogen. Fast während der gesamten Laufzeit greift er auf Quellen wie die Handkameras von Andrew oder Matts Freundin, Gaffer-Handys oder Aufzeichnungsgeräte von Polizeiautos und privaten Gebäuden zurück. Und dort, wo es der Optik gut tut, schummelt er ganz ungeniert.  

 

«Chronicle» ist nicht einfach ein weiterer Film über Superhelden. Der Film zeigt auf, dass Superkräfte nicht automatisch Helden hervorbringen und wie leicht man mit der Verantwortung neu gefundener Macht hadern kann. Noch kein Streifen dieser Kategorie hat sich bislang eines solch vereinnahmenden Realismus bedient und die Entfaltung der Ereignisse derart plausibel und minutiös dokumentiert. Die Widrigkeiten im Alltag des gemeinen High-School-Schülers werden ohne 3D-Brille zum Leben erweckt und die komplette Absenz eines klassischen Soundtracks, wie man es beispielsweise von der US-Serie «Southland» kennt, leistet dazu einen wesentlichen Betrag. Doch der grosse Brocken ist den Leistungen der drei Hauptdarsteller geschuldet, von denen besonders Dane DeHaan brilliert. Mühelos gelingt es ihm, den Zuschauer gleichermassen Empathie und Abscheu für Andrews Wirrungen empfinden zu lassen. Würden wir das Jahr 1998 schreiben, George Lucas hätte ihn nach dieser Darbietung vom Fleck weg für die Rolle des späten Anakin Skywalkers engagiert und sich damit erst noch einen Oscar gesichert. 

 

 

Es sollte ausserdem erwähnt werden, dass die Macher mit dem für Scifi-Filme mikroskopisch kleinen Budget von läppischen 12 Millionen Dollar alle Register gezogen haben und die übersinnlichen Momente glaubhaft abbilden. Da sei es dem Streifen ausnahmsweise verziehen, dass signifikante weibliche Hauptrollen weitgehend aussen vor bleiben oder die Helden zwar resistent gegen Stichwachen, jedoch anfällig für Verbrennungen sind. Auch über das offensichtlich aus Kunststoff gefertigte Erdloch mag man angesichts des gut gemachten Rugby-Spiels über den Wolken oder der furiosen Materialschlacht zum Finale gnädig hinwegschauen. Dieses kultverdächtige Werk ist nur bedingt Science-Fiction, wohl ein Garant für Action, in erster Linie aber ein berührendes Drama über Freundschaft, Rache und Läuterung. 

 

  • Chronicle - Wozu bist du fähig? (UK / USA 2012
  • Regie: Josh Trank
  • Darsteller: Dane DeHaan, Alex Russell, Michael B. Jordan, Michael Kelly, Ashley Hinshaw
  • Länge: 84min
  • Kinostart (Deutschschweiz): 19. April 2012

 

 

Sämtliche Bilder:

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Mike Mateescu / Mi, 11. Apr 2012