Operation Aufrütteln

Moviekritik: Opération Libertad
Bildquelle: 
www.filmcoop.ch

Wir schreiben das Jahr 1978. In Genf plant eine Gruppe junger Leute, die der «Groupe Autonome Révolutionaire» angehören, eine Bankfiliale in Zürich zu überfallen. Ihr Ziel: einen Agenten aus Paraguay, der dort Schwarzgeld deponieren möchte, zu einem Geständnis über die illegalen Machenschaften zwischen den lateinamerikanischen Militärdiktaturen und den Schweizer Banken zu zwingen. Die jungen Frauen und Männer gehen die friedliche politische Aktion jedoch zu blauäugig an. Das Vorhaben gerät aus dem Ruder.

 

«Opération Libertad» - ein Aufschrei gegen den Kapitalismus, gegen das System. «Politisches Engagement und seine Folgen, das ist ein Thema, das mich seit einigen Jahren interessiert», erklärt Regisseur Nicolas Wadimoff («15, Rue des Bains» und «Aisheen») den Grund, weshalb er den Film realisiert hat. Er selbst war als kleiner Junge von den Aufnahmen der Trauerfeier der «Roten Armee Fraktions»-Mitglieder (RAF) Andreas Naader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Jahr 1977 beeindruckt gewesen, als Aktivisten mit erhobenen Fäusten den Toten huldigten. Wadimoff suchte in Büchern und Dokumente, aber auch in alten Filmen nach Material, um «Opération Libertad» ins Leben zu rufen und die aufsässige Stimmung jener Zeit zu rekonstruieren.

 

 

Junge Menschen, die ihren Idealen folgen und dafür kämpfen. Eine gewaltfreie Aktion, die auf dem Papier ach so perfekt wirkt, sich in der Realität aber nicht lupenrein umsetzen lässt und die Akteure an ihre Grenzen treibt. Die Hauptfiguren werden weder romantisch noch psychopathisch dargestellt. Jeder hat seine Geschichte zu erzählen und lebt in einem normalen Umfeld. Es sind Menschen mit Alltagsproblemen. Gut ausgewählte Charaktere, mit denen sich der Zuschauer identifizieren kann.

 

Schauspielleistungen ohne Makel

 

Charly (Karine Guignard unter anderem «30 Arab Mc’s collabo“) geniesst die Rebellion und versteckt sich hinter einer harten Schale. Virgine (Natacha Koutchoumov, «Low Cost») merkt sehr schnell, dass sie die Situation unterschätz hat. Guy (Laurent Capelluto, «The long Falling») ist der Sensibelste der Runde. Auch er merkt bald, dass die Aktion auf dem Papier besser aussah, als sie in der Umsetzung ist. Marko (Stipe Erceg unter anderem «Im Sog der Nacht») hat mit Drogenprobleme zu kämpfen. Die Operation Freiheit raubt ihm fast den letzten Nerv. Und schlussendlich ist da noch Baltos (Nuno Lopes «Sangue do meu sangue»), der Besonnenste der Gruppe. Er verfolgt hart seine Ideale, erkennt aber wie die Anderen, dass die Gruppe etwas losgelöst hat, das ihr aus den Fingern gleitet. Am internationalen Schauspielerstab gibt es nichts zu bemängeln. Alle haben an den renommiertesten Schauspielschulen studiert, also viel Schauspielerfahrung. Dies merkt der Zuschauer schnell. Jeder gemimte Charakter ist überzeugend.

 

Die «Opération Libertad» wird von Anfang an von Hugues (Jungschauspieler Jonathan Genet), dem Erzähler der Geschichte, auf Kamera festgehalten. Hugues wurde von der Gruppe beauftragt, die Aktion auf Film festzuhalten und ist somit ein Mittäter. Durch die amateurhaften Aufnahmen Hugues wird eine Homevideo-Atmosphäre erzeugt. Die Kameraführung wirkt dilettantisch, was aber auch die ganze Stimmung der rebellischen Aktion einfängt. Das Unprofessionelle und Übereifrige der ganzen Affäre wird somit ideal transportiert. Die Schauspieler kommen als gewöhnliche Menschen rüber, die eben «nur» eine kleine Revolte planen. Durch den Blick Hugues‘ begibt man sich als Zuschauer nicht nur in die Rolle des Betrachters, sondern wird auch zum Mittäter und stellt sich die Fragen: «Wie hätte ich mich an Hugues Stelle verhalten?».

 

 

 

Aus dem Blickwinkel des Kameramanns werden auch ungewollt komische Alltagssituationen eingefangen. Wie etwa, wenn die Gruppe Schiessübungen macht und Hugues diese von vorne filmen möchte und somit in die Schusslinie gerät. Allerdings wird der Bogen manchmal überspannt. Die Geschichte schreitet zu langatmig voran und manches wirkt zu stark gekünstelt, was eigentlich im Widerspruch zur ganzen Authentizität steht. Vermeintlich normale Situationen wirken zu dramatisch. Was einige Sequenzen nervig wirken lässt. Man stellt sich die Frage, ob der Schauspieler seiner Performance zu viel Dramaturgie einhaucht oder sich die Figur an sich für Hugues‘ Aufnahmen selbst stark inszeniert. Auch dauert der Film bis zur geplanten Operation Freiheit zu lange.

 

Nichtsdestotrotz ist die fiktive Geschichte von «Opération Libertad»  äusserst informativ und könnte durchaus als Dokumentarfilm oder alte Familienaufnahmen aus dieser Zeit durchgehen, die auf dem Estrich zufällig gefunden wurden. Von den Kostümen bis hin zum Inventar wie Autos und Hauseinrichtung - alles wirkt sehr authentisch. Es ist wie eine Reise in die wilden 70er. Vor allem die Anfangsszene fängt dies gut ein. Die gechillte Atmosphäre, das Beisammensein und Diskutieren.

«Opération Libertad» ist auf jeden Fall ein sehenswerter Film.

 

 

 

  • Opération Libertad, Schweiz 2012
  • Regie: Nicolas Wadimoff
  • Darsteller: Karin Guignard, Natacha Koutchoumov, Laurent Capelutto, Stipe Erceg, Nuno Lopes, Jonathan Genet
  • Laufzeit: 90 Minuten
  • Kinostart: 25. Oktober
catarina martins / Di, 23. Okt 2012