Late Shift - ein interaktives Filmerlebnis

Movie-Kritik: Late Shift
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© 2016 CtrlMovie

«Late Shift» ist ein interaktiver Spielfilm und gemäss der Macher der Erste seiner Art, weltweit. «Interaktiv» heisst in diesem Fall, dass man als Zuschauer während des Films immer wieder Entscheidungen per Smartphone-App für die Hauptfigur treffen kann, insgesamt über 100 mal. Dabei variieren die Entscheidungen zwischen möglichen Antworten auf eine Frage bis zu brutalen Reaktionen auf eine Situation. Die zu entscheidende Frage wird jeweils mit den verschiedenen zugehörigen (zwei oder drei) Optionen eingeblendet, der Zuschauer hat jeweils wenige Sekunden Zeit, sich zu entscheiden und per App auf dem Smartphone oder Tablet abzustimmen. Die Mehrheit gewinnt jeweils.

 

Matt gerät in den Strudel der Ereignisse. (© 2016 CtrlMovie)

 

Die technische Komponente ist das grosse Risiko der Methode. Die Visionierung begann fast eine halbe Stunde verspätet, weil sich mehrere Geräte nicht mit dem nötigen Router verbinden konnten. Die meisten funktionierten nach einem Neustart, einige fielen jedoch bis zum Ende aus. Ein weiteres Problem besteht darin, dass bei jeder Entscheidung alle Geräte aufleuchten. Die Ablenkung durch das Licht und dass man gezwungenermassen auf den Bildschirm schauen muss, um abzustimmen, sind ein Problem; besser wäre wohl beispielsweise ein Joystick mit drei Knöpfen, den man im Dunkeln problemlos bedienen kann, ohne die Aufmerksamkeit von der Leinwand zu lösen. Fairerweise muss gesagt werden, dass beim Konsum des Films via App auf mobilen Endgeräten dieser Effekt nicht auftritt.

 

Es ist aber unterhaltsam, eine Figur auf diese Weise steuern zu können, und die Macher haben recht, wenn sie es mehr mit einem Videospiel vergleichen als mit einem Film. Da es sich um ein fiktionales Erlebnis handelt, probiert man regelmässig unmoralische und unrealistische Dinge aus, was zum Teil absurd ausfällt und zu einer kollektiven, vielleicht auch etwas schuldbewussten Komik führt, die so nicht im herkömmlichen Film möglich ist.

 

Interessante Erfahrung

 

Allerdings gibt es vor allem anfangs mehrere Entscheidungen hintereinander, bei denen jede Möglichkeit das gleiche Resultat bringt. Das führt dazu, dass man dem System schnell misstraut und die eigene Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sieht. Die Macher bestätigen, dass man Anfangs eine Basis der Story etablieren muss, um danach eine erhöhte Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen, aber an jenem Punkt ist man als Zuschauer schon sicher, dass die eigene Rolle als Entscheidungstreffer bei weitem nicht so wichtig ist, wie am Anfang gedacht. Dadurch nimmt der Spass deutlich ab.

 

Ist die hübsche Unbekannte Femme Fatale oder doch nicht? (© 2016 CtrlMovie)

 

Trotz der unterhaltsamen Technik merkt man schnell, dass der Film nicht viel Substanz hat; die Figuren sind karikaturhaft und lustigerweise identifiziert man sich auch überhaupt nicht mit der Hauptperson. Einerseits liegt das wohl am realitätsfernen Zugang der Geschichte zur Welt des Thrillers, der mehr einer pubertären Phantasie als der Feder eines Drehbuchautors entsprungen scheint, andererseits führen die widersprüchlichen Entscheidungen, die man als Zuschauer trifft, zu einer sehr unbalancierten Figur, die mal ängstlich ist, mal brutal, mal zurückhaltend, mal draufgängerisch. Nichtsdestotrotz geben sich die Schauspieler Mühe, vor allem Hauptdarsteller Joe Sowerbutts, was man angesichts des verwirrenden Aufbaus des Films goutieren muss.

 

Wenn es auch eine Geschichte gibt, die sich durch den Film zieht, so ist die schnelle Weise, in der jedem Problem eine Lösung folgt - durchaus durch die vielen Entscheidungen gesteigert - irritierend und vermag die Spannung beim Zuschauer nicht lange zu halten.

 

Eine interessante Technologie, die etwas ausgereifter sein müsste. Jedoch ist es eine spannende Idee sowohl für Kino- als auch Gamefans, die es sich für die neue Erfahrung auszuprobieren lohnt.

  • Late Shift 
  • Regie: Tobias Weber
  • Drehbuch: Tobias Weber, Michael R. Johnson
  • Darsteller: Joe Sowerbutts, Haruka Abe, Joel Basman, Lily Travers, Richard Durden, Sol Heras, Tom PhillipsDer
  • Laufzeit: ca. 90 Minuten
  • Film «Late Shift» wird aktuell im Zürcher Kino Houdini gezeigt. 

 

Wer es nicht ins Kino schafft, kann sich das interaktive Filmerlebnis für 10 Franken im iTunes-AppStore runterladen und zuhause schauen, wie sich die Geschichte entwickelt. Allerdings durch den wohl internationalen Markt nur in Englisch mit wählbaren Untertiteln. 

Jonas Stetter / Sa, 19. Mär 2016