Die Qualen der Jugend

Movie-Kritik: Sparrows
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© Xenix Film

Weil seine Mutter mit dem neuen Partner nach Afrika reist, muss der Teenager Ari von Reykjavik zum Vater ziehen. Der Erzeuger lebt in einem kleinen Dort in der Pampa von Island, jenem Dorf, in dem Ari als Kind eine Zeit gelebt hat. Also nicht wirklich die Umgebung, die Ari bevorzugt. Trostlose, steinige Küsten und Landschaften kennt er zwar, aber die Grossstadt ist inzwischen doch eher seine Welt. Wohl oder übel macht Ari das beste aus der Situation. Immerhin ist da noch Lara, die Freundin aus Kindheitstagen, die zur jungen Frau gewachsen ist. Ari mag sie, aber leider hat sie einen aggressiven Freund, der nicht das hellste Lämpchen im Kronleuchter ist, und Ari sofort als Bedrohung sieht. Daneben ist der Vater, der sich jahrelang nicht um Ari gekümmert hat, und mit der Situation auch nicht glücklich ist. Er säuft, vögelt und ist Kettenraucher, dazwischen arbeitet er in einer Fischfabrik. Ohne Perspektive muss er quasi sein Leben betäuben. 

 

Sozialer Leim 

 

Die einzige Person, die Ari wirklich liebt und die ihm das Leben erleichtert, ist die Grossmutter. Sie freut sich, dass Ari da ist und funktioniert quasi als sozialer Leim in der schwierigen Situation. Wenn Ari besonders einsam ist, singt er mit glockenheller Stimme für sich selbst in einem der leeren Silos der Fischfabrik. Die Musik tut ihm gut. Als die Grossmutter stirbt, droht das labile Konstrukt zu zerbrechen. Während der Vater die Trauer mit Alkohol und ausgiebigem Feiern bewältigt, steht Ari überraschend Lara zur Seite und tröstet ihn. Die beiden Teenager werden ein Paar und steuern auf eine harte Probe zu.  

 

Die isländische Jugend glüht vor und ist - zum Teil - gemeinsam einsam. (© Xenix Films)

 

Schon die lange Eröffnungssequenz, ganz in unschuldigem Weiss gehalten, macht deutlich, dass «Sparrows» ein gemächliches Tempo anschlägt. Lange Einstellungen über die Decke eines Konzertsaal fokussieren auf den Gesang aus dem Off. Zwar wird das Weiss der Decke erst im Laufe des Films als Kontrast deutlich, aber neugierig macht es schon am Anfang. Dazu der Kirchenchor, quasi die heile Welt. Nach der ersten Sequenz ist «Sparrows» aber schnell in erdigen Farben fotografiert, nutzt die wunderschön karge Landschaft Islands als Brachland für den Seelenzustand Aris, denn seine Welt ist aus den Angeln und die rohe Landschaft unterstreicht das visuell. Für Regisseur Rúnar Rúnarsson ist es erst der zweite Spielfilm, allerdings war er für den Kurzfilm «Síðasti bærinn» für einen Oscar nominiert. Mit «Sparrows» inszeniert er ein ungewöhnliches Coming-of-Age-Drama, das lange Zeit vorhersehbar scheint, dann aber mit der eigenen Prämisse bricht. Die jugendlichen Schauspieler sind allesamt glaubhaft und es gelingt, dass man als Zuschauer mit der Entwicklung fühlt. Sogar ein, zwei Sachen aus der eigenen Jugend kennt. 

 

Bei «Sparrows» funktioniert jedoch sehr viel auf der nonverbalen Ebene. Blicke von Ari sind aussagekräftiger als mancher Dialog und das passt irgendwie in die kleine Gemeinschaft im Norden Islands. Das macht den Film greifbar, charmant und die unspektakuläre Geschichte lässt zudem Zeit, um die raue Landschaft Islands zu geniessen. Manchmal denkt man, die Geschichte entwickle sich in Richtung eines isländischen «… denn sie wissen nicht, was sie tun», aber immer wieder ist der Film wie das Leben. Es passiert nicht das, was man erwartet. Das tut dem Film sehr gut und erlaubt die emotionale Bindung zu den Figuren. Neben der Kirchenmusik ist der Soundtrack ebenfalls entspannt. Aber selten hat Coldplays «Fix You» besser zu einer Szene gepasst, als in der, wenn Vater und Sohn nach dem Tod der Grossmutter gemeinsam eine Tanzshow im Fernsehen schauen, es aber nicht schaffen, sich auszusprechen, dafür über das Hinterteil der einen Tänzerin lästern. Da passt die Zeile «I will try to fix you» mitten ins Schwarze. 

 

Ein sanfter Wirbelsturm der Emotionen, kontrastiert durch die karge und felsige Landschaft Islands. 

  • Sparrows - (Island / Dänemark / Kroatien 2016)
  • Regie & Drehbuch: Rúnar Rúnarsson 
  • Bestzung: Atli Oskar Fjalarsson, Rakel Björk Björnsdóttir, Ingvar Eggert Sigurðsson
  • Laufzeit: ca. 99 Minuten
  • Kinostart: 15. September 2016

 

 

Patrick Holenstein / Do, 15. Sep 2016