HECHT: «Du kommst auf die Bühne und bist wie in einer Wolke»

Interview mit HECHT
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Promobild / © Tabea Hüberli

HECHT sind zurück. «Oh Boy» heisst das neue Album der Mundart-Band und die Tour dazu ist bereits praktisch ausverkauft. Wir konnten mit Stefan und Christoph über das neue Album sprechen, über rote Fäden im Album und in der Bandgeschichte und über das Gefühl, auf der Bühne zu stehen. Dazu haben sie verraten, wieso der Gig am Gurtenfestival 2016 besonders war und welcher Name für das aktuelle Album zwischenzeitlich im Raum stand. 

 

Wieso spielt das Meer bei euch so eine grosse Rolle?  

Stefan: Wahrscheinlich ist das die Sehnsucht eines Binnenlandmusikers, das Meer zu beschreiben. Es fällt mir als Texter schon auf, aber wenn es passt, nimmt man das, was einem in den Sinn kommt. 

 

Aber Absicht ist das nicht? Oder hat das Meer für dich eine spezielle Bedeutung?  

Stefan: Nein, aber für mich ist es schon eine Sehnsucht, ans Meer zu gehen. Ich bin aber nicht am Meer aufgewachsen und dann in die Schweiz gekommen. Aber das Meer ist für mich schon unglaublich schön.  

Der zweite rote Faden bei HECHT ist die Sehnsucht an sich. Das geht dann aber über das Meer hinaus.  

Stefan: Für mich als Texter hat Musik etwas mit Sehnsucht zu tun. Ich verspüre selbst ebenfalls Sehnsucht, wenn ich andere Musik höre.  

Ihr habt auf «Oh Boy» diverse kräftige Zeilen. Beispielweise «in Himmel chunnsch nur mit eme brochene Herz» aus dem Titelsong. Wie lange bastelst du an solchen Zeilen, bis sie passen?  

Stefan: Ich gehe immer gleich vor und baue die Texte auf den Instrumentals auf, die wir als Band geschrieben haben und lasse mich von den Gefühlen treiben. Das funktioniert wie bei einem Film. Wenn du einen Film schaust, fällst du manchmal in deine eigene Gefühlswelt. Du schaust zwar den Film, überlegst dir aber plötzlich, wie eine Situation in deinem Leben aussehen würde. Bei mir funktioniert das ähnlich. Ich höre die Instrumentals und bastle so lange an den Worten, bis der Text mir selbst etwas sagt. Aber nicht wie am Reissbrett, sodass ich sage: «Diese Zeile will ich jetzt!», sondern es kommen Zeilen hoch, die ich mit der Musik assoziiere. 

Lässt du Textfragmente auch mal ruhen und nimmst sie später wieder hervor?

 

Stefan: Ja, definitiv. Es gibt Songs, wie zum Beispiel «Klavier + Bier», die seit drei Jahren existieren. Es gibt aber auch Texte, die innerhalb von 40 Minuten geschrieben sind und unverändert bleiben. «Kingsize» ist ein Song, der innerhalb von einer Stunde mehr oder weniger fertig war.  

Wenn eine Textidee fertig ist, dann schaut ihr sie im Bandraum nochmals an oder wird da nichts mehr gross verändert?

 

Christoph: Die Texte sind wirklich von Stefan erarbeitet und er kommt nicht mit halbfertigen Texten zu uns. Wenn wir einen Text hören, ist er schon ziemlich fertig. Natürlich kommt von unserer Seite Input und Feedback, jeder sagt seine Meinung, aber meist bleiben die Texte schon so, wie sie sind.

 

 

Stefan: Wahrscheinlich ist das die Sehnsucht eines Binnenlandmusikers, das Meer zu beschreiben. 

 

 

Wie arbeitet ihr bei der Musik? Komponiert ihr gemeinsam oder auch mal jeder für sich und dann trägt man Ideen zusammen?  

Christoph: Es kommen auch hier viele Ideen von Stefan, die wir teilweise im Bandraum weiterentwickeln. Auch hier sind viele Aspekte schon fertig. Oder wir werfen im Studio Sachen nochmals über den Haufen. Es ist oft unterschiedlich.  

Nochmals zu den Texten. Ihr bleibt in den Texten gerne mal etwas symbolisch, fast kryptisch. Wie spannend sind für euch Interpretationsansätze von Fans oder Journalisten? 

 

Stefan: Lustigerweise habe ich oft das Gefühl, dass die Texte megaklar sind. (lacht) Aber das ist offenbar nicht unbedingt so. Mir geht es aber nicht darum, rätselhafte Texte zu schreiben, bei denen die Leute nichts verstehen. Wichtig ist mir, nicht platt zu sein. Aus Sicht der Band ist es so, dass wir die Songs nachher zwei Jahre nonstop spielen und wenn ein Song zu platt ist, macht er uns keinen Spass. Mir geht es sogar beim Schreibprozess so, dass ich die Lust verliere, wenn ein Text zu eindeutig ist. Darum ist bei mir der Anspruch da, nicht immer die einfachsten Worte zu nutzen. Aber ich möchte schon auch klar kommunizieren und vielleicht beisst sich das manchmal. Aber die Lust, mit der Sprache zu spielen, ist sicher da.  

Ich sage dir, wieso ich auf die Frage der Interpretation gekommen bin: 1.) Ist «Oh Boy» ein sehr gelungener Indie-Film aus Deutschland; 2.) ist da das Thema Hollywood, das immer wieder auftaucht. Seid ihr Filmfans oder woher kommt das?

 

Stefan: Lustig ist ja, dass «Hollywood» beim Brainstorming für den Plattentitel im Raum stand. Ich glaube eher, dass ein roter Faden im Album diese Scheinwelt ist. Wie in der Zeile «in Himmel chunnsch nur mit eme brochene Herz», was bedeutet, dass man auch mal ein Risiko eingehen muss und nicht alles immer glatt läuft. Man kann auch mal «uf d Frässe gheie». Bei «Kingsize» ist natürlich Hollywood dann schon Thema. Alle freuen sich auf Hollywood und wenn sie dort sind, sind viele enttäuscht und man fragt sich: «Ist das echt Hollywood oder sind wir noch in einem Vorort?» und dann geht mancher lieber wieder ins Hotelzimmer, anstatt Hollywood zu feiern.  

Du hast «Klavier + Bier» schon angesprochen. Das bringt mich zum zweiten grossen Thema bei HECHT: die Liebe, aber nicht unbedingt in der klassischen Rolle, sondern in allen Facetten, auch mal negativ. Wieso interessieren euch die Möglichkeiten der Liebe als Thema?  

Stefan: Es macht irgendwie Sinn, da bin ich wohl nicht der Einzige. Für mich ist eines der relevanten Themen, um über einen Song nachzudenken, die Liebe. Man muss ja über etwas singen, in das man sich versetzen kann und da gibt es nicht so viele Gefühlszustände, auf die man immer zurückgreifen kann. Aber Liebe ist erstens ein Thema, bei dem ich selbst weiss, von was ich rede, und zweitens auch die meisten Zuhörer wissen, was gemeint ist. Wenn ich jetzt Quantenphysiker wäre, was ich überhaupt nicht bin, und über die Teilchenproblematik singen würde, wäre das für mich zwar relevant, aber es wäre sehr schwierig mit den Leuten zu kommunizieren.  

Wie autobiografisch sind deine Texte?

Stefan: Ich glaube, sie wurden immer autobiografischer. Das neue Album ist wahrscheinlich am nächsten bei mir. Wir sind auch nicht mehr Zwanzig und es wäre für mich irgendwie lächerlich, über ein abstruses Thema zu singen. Es geht darum, authentisch zu bleiben und je älter man wird, desto weniger ist man geneigt, Sachen zu vertuschen, sondern steht hin und singt, was man sagen will.

  

Ihr kennt euch schon lange. Wie wertvoll ist das, beim dem grossen Erfolg, den ihr habt?

 

Christoph: Das habe ich mir ehrlich gesagt noch nie überlegt. Die Frage ist spannend. Es ist sicher sehr wertvoll. Wir kennen uns schon so lange und es funktioniert bisher sehr gut. Auch wenn jetzt der Druck grösser wird, weil man intensiver zusammenarbeitet, verträgt es etwas mehr, weil wir genau wissen, wie wir uns nehmen müssen und wer wo welche Stärken hat. Es hilft, den Druck abzufedern und zu verkraften. Es ist aber auch nicht von heute auf morgen passiert, dass wir mit einer völlig neuen Situation konfrontiert wurden und wir uns selbst nicht kennen. 

 

Könnt ihr auch mal richtig streiten, aber dann ist wieder gut?Beide: Das gibt es sehr selten.

  

Stefan: Ich glaube, es hilft, dass bei uns die Aufgabenteilung ziemlich klar ist. Wenn du eine Band neu gründest, müssen alle überall anpacken und dabei sein. Wenn du, wie bei uns, schon länger zusammen bist, kannst du besser aufteilen. Man managt quasi eine Band. Das soll nicht negativ klingen, aber irgendwann muss man effizient sein und je effizienter man arbeitet, desto mehr Raum bleibt für jeden und die Belastung wird kleiner.  

 

Christoph: Auch wenn jetzt der Druck grösser wird, weil man intensiver zusammenarbeitet, verträgt es etwas mehr, weil wir genau wissen, wie wir uns nehmen müssen und wer wo welche Stärken hat. 

 

 

Ihr habt das neue Album im Studio live eingespielt. Warum habt ihr euch dafür entschieden?  

Stefan: Genau. Wir haben zwei Monate im Studio verbracht und versucht, viele Sachen als Band zu fünft einzuspielen. Aber natürlich gibt es diverse Instrumente, die du 100 Mal neu einspielst. Uns war aber wichtig, dass die DNA der Songs live eingespielt wurde, damit man beim Produzieren erkennt, was der Live-Kern ist, denn diesen wollen wir auf die Bühne bringen. 

Habt ihr das neue Material schon live getestet?Stefan: Die Konzerte kommen erst noch.

  

Und alle sind praktisch ausverkauft. Was geht einem durch den Kopf, wenn man auf eine Bühne tritt, vor der sagen wir 2000 Menschen stehen, die nur wegen euch gekommen sind?  

Christoph: Für mich ist es wie ein Film. Du kommst auf die Bühne und bist wie in einer Wolke drin. Du brauchst wirklich zuerst ein paar Minuten, um die Eindrücke zu verarbeiten und dann läuft das Konzert und man ist drin. Aber im ersten Moment spüre ich mich jeweils nicht so richtig, wie in einem Film eben.  

Habt ihr ein Ritual, bevor ihr auf die Bühne geht?Christoph: Ja, wir umarmen und vor der Show und schreien «Charlotta» und das ist der Startschuss.  

Wieso «Charlotta»? 

Christoph: Es ist ein Song, den die Leute auf Konzerten sehr feiern und so ist er zu unserem Schlachtruf geworden.  

Ihr habt mir beim letzten Interview mit Bäckstage (2013) gesagt, dass der bis dahin grösste Club-Gig ein Auftritt mit 77 Bombay Street im Z7 war. Welcher Gig ist für euch heute der beste, wenn ihr zurückblickt?

 

Christoph: Das ist immer schwierig. Es sind seither so viele tolle Konzerte dazu gekommen. Damals waren wir ja noch Support. Inzwischen haben wir im vollen Kaufleuten gespielt, das Volkshaus in Zürich ist ausverkauft. Da freuen wir uns wahnsinnig darauf. Es sind viele Highlights, sodass es schwierig ist für mich, ein Konzert daraus festzunageln. Aber das Konzert am Gurtenfestival 2016 war speziell. Dort ist irgendetwas passiert, das wir vorher noch nie hatten und das uns zum Fliegen brachte. Der ganze Hügel war voll und es war eine unglaubliche Stimmung.  

Wie habt ihr auch als Band über die drei Alben hinweg entwickelt? 

 

Stefan: Wir haben uns sehr entwickelt. Rein musikalisch natürlich. Wenn wir jetzt Songs vom ersten Album spielen und uns zurückerinnern, wie viel Mühe wir hatten, diese live so richtig zu nageln, und jetzt spielen wir sie und sie funktionieren völlig easy. Die ganze Band hat musikalisch einen grossen Schritt nach vorne gemacht und das ist ein gutes Gefühl. Wir haben kürzlich geprobt und ich dachte mir «Hey, wir klingen ja wie eine richtig gute Band». Es ist ein gutes Gefühl, dass man nicht nur radio- beziehungsweise medienmässig funktioniert, sondern eben auch im Kern abliefern kann.  

Live kannst du ja auch weniger tricksen als im Studio.Stefan: Effektiv. Live ist mega ehrlich und das schätzen wir und ist uns wichtig.

  

Was wollt ihr mit HECHT noch erreichen? Konzerte sind im Moment ja alle ausverkauft.  

Stefan: (lacht) Grössere Shows kann man natürlich immer spielen. Wir sind aber am Innehalten, denn es gehört auch eine grosse Portion Demut dazu. Wir machen jetzt seit zwanzig Jahren gemeinsam Musik und hatten es noch nie, dass Konzerte so schnell ausverkauft waren, teilweise vier Monate vorher. Die Schüür in Luzern war innert eines Tages ausverkauft. Alle diese Sachen sind für uns langsam schon Realität, aber es ist auch ein Grund, zu sagen, wie cool das ist. Auch im Sommer. Ich glaube, wir spielen auf jedem Festival, auf dem wir spielen wollten. Das sind Zustände, für die wir dankbar und die für uns überhaupt nicht selbstverständlich sind.  

Das ist doch ein schönes Schlusspunkt. Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, und viel Spass auf der Bühne. 

 

HECHT - «Kawasaki»

 

 

* Mehr Infos und alle Tourdaten stehen auf hechtimnetz.ch

 

Bäckstage Redaktion / Di, 20. Mär 2018