Die Show zur 47-jährigen Karriere: Claudio Baglioni live

Konzertkritik: Claudio Baglioni
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Pressebild / © Sony Music

Dreizehn Männer in einem Business Anzug, mit Krawatte, Hut und Aktenkoffer marschieren quer über die quadratische Bühne, die mitten im Hallenstadion steht. Der hinterste bleibt stehen. Unter ihm wird ein bewegtes Bild von klarem Meerwasser, das an den Strand gespült wird, projiziert. Der letzte der eleganten Herren ist nicht ein Tänzer oder Backroundsänger, er ist der Haupt-Act des heutigen Abend – Claudio Baglioni. Kräftig, aber ruhig, mit einem Hauch kratziger, tiefer Stimme beginnt der 67-Jährige mit den ersten Klängen, «Quella sua maglietta fina …» Jeder im Hallenstadion kennt den Song, ein Klassiker der Italienischen Popszene. Der fast sechs minütige Song «Questo piccolo grande amore» wird von allen bis zum Schluss mitgesungen. Der Song, den Baglioni im Jahr 1972 als Single veröffentlichte, zählte zu den meistverkauften Singles im italienischen Raum. Die mitschwingenden und mit summenden Fans im Hallenstadion geniessen die träumerische Stimmung, die einen oder andern vergiessen sogar nostalgische Tränen. 

 

Die romantische und ruhige Stimmung wird aber schnell wieder durchbrochen. Claudio Baglioni mag weisse Haare haben, ist aber, mit seiner Show rassig unterwegs und lange kein alter Mann. Auf der Bühne tanzen gut gebaute Männer - oben ohne - Breakdance. Eine als Oma gekleidete Person führt Flickflacks und Saltos auf, junge Künstler balancieren auf Gymnastikbällen und hübsche Frauen verführen mit ihrem Tanz.

 

Mit dem Song «Con tutto l’amore che ho» verzaubert der in Rom geborene Singer-Songwriter seine Fans und holt sie zurück in die Welt der Träume. Tänzerinnen in edlen, schwarzen Kleidern tanzen einen romantischen Walzer, mit Männern in einem schwarzen, eleganten Abendanzug. Vier Sängerinnen stehen ebenfalls auf der Bühne und entzücken mit ihren hohen und kraftvollen Stimmen. Das Lied ist vollkommen. Doch auch hier verliert sich der Sohn eines Carabiniere und einer Schneiderin nicht im Traum.  Er holt seine Zuhörer auf den Boden und bringt sie zum Staunen. Beim Song «W l’Inghilterra» wird auf der Bühne gesteppt. Britisch gekleidete Tänzer und Tänzerinnen unterhalten das ganze Hallenstadion.

 

Eineinhalb Stunden sind vergangen. Claudio Baglioni hat noch keine Trinkpause gemacht, keine Umziehpause oder Redepause eingelegt. Durchgesungen von 19 Uhr bis 20.30 Uhr. Und es geht weiter.

 

Jetzt kommt der Song, den viele als den letzen befürchten. Der Song, den der San Remo-Moderator, seinem einzigen Sohn gewidmet hat: «Avrai» aus dem Jahr 1982, dem selben Jahr als Giovanni, Claudios Sohn auf die Welt kam. Die Stimmung geht wieder in Richtung Romantik, landet aber bei der Nostalgie. Einen Song mit tiefgründigem Text und melancholischen Klängen. Nach zwei Stunden Gesang und Show, gelingt es Baglioni den höchsten Ton des Songs «Avrai» zu erreichen.

 

Für einen Moment bleibt es ruhig. Aber die Bühne füllt sich. Etliche Künstler betreten die Bühne im Zentrum der Halle. Frauen in einem glänzenden, pompösen Kleid schwenken sich elegant und langsam an den Rand der Bühne. Sportliche Männer stellen ein Seil auf, in der Mitte der Stage und Baglioni trägt das erste Mal an diesem Abend keinen schwarzen Blazer, sondern einen weissen Mantel. Die Kulisse verwandelt sich in den Sternenhimmel. Sakkos der Männer sind mit weissen, warmen Lichtern geschmückt, auf dem Boden liegen Lämpchen, in derselben Farbe, in Form eines Sterns. Damit alle Sinne die Atmosphäre der Nacht oder des Sternenhimmels geniessen können, spielen zwei junge Männer Xylophon. Diese Szene wird beim Song «Notte di note, note die notte» präsentiert. Der Song stammt aus dem Album «Buon viaggio della vita», welches im Jahr 2007 volle 20 Wochen in den italienischen Charts auf Platz drei stand. Es bleibt aber nicht ruhig und nur musikalisch bei der Performance. Das Seil, das quer über die Bühne gespannt wurde, sieht nicht nur aus, wie ein Balancierseil aus dem Zirkus, es ist eins. Ein junger Mann balanciert in seinen schwarzen Hosen und der schwarzen Weste dreimal hin und her. Und dann auf den Ton «Buona notte ai piccoli dolori …» legt sich der Künstler auf das hauchdünne Seil in Schlafposition.

 

Während das Bühnenbild mit seinen Lichtern und beachtlichen Kostümen einen in den Bann zieht, wird es lauter. Baglionis immer noch starke Stimme übernimmt die Show. Claudio steht neben dem Mann auf dem Seil und singt «Buona notte Tesoro …». Er schwingt das Seil hoch und runter, bis der Akrobat mit beiden Beinen auf dem Seil steht. Das ist aber nicht alles. Der Künstler führt Saltos auf dem Seil vor, springt vor, zurück, hoch, runter. Der Zirkusakt endet damit.

 

«Sabato pomeriggio», diesen Song performt Baglioni wie ein Singer/Songwriter. Keine Bühnenkünstler, keine aussergewöhnliche Kulisse. Nur Claudio und sein Mikrofon.

Natürlich musizieren die Musiker, die Claudio Baglioni den ganzen Abend begleiten auch hier mit. Sie sitzen wie ein Orchester in der Oper, etwas tiefer als die Bühne, an vier verschiedenen Kanten. Alle Streichinstrumente auf einer Seite, alle Blasinstrumente und das Piano auf der gegenüberliegenden und zwei Schlagzeuge vis-a-vis. Gitarristen und Bassisten positionieren sich für jeden Song woanders. Mit dem Song «Sabato pomeriggio» begeistert der Musiker nicht nur seine Zuhörer im Hallenstadion. Der Song, mit dem berühmten Intro «Passerotto non andare via …», aus dem Jahr 1975 zählt heute noch zu seinen grössten Erfolgen.

 

Ein dreistündiges Konzert. In 47 Jahren Karriere kommen einige Songs zusammen, welche der elegante Mann mit Aktenkoffer, Hut und Krawatte unterhaltsam präsentiert hat.Der Mann ist nicht ein einfacher Musiker oder Singer-Songwriter, er ist der Haupt-Act des heutigen Abends, ein echter Performer, Präsentator – eben Claudio Baglioni.

  

Ein 67 Jähriger Mann, uralte Lieder, was kann der schon bieten? Eine grandiose Show. Nicht ein einfaches Konzert. Eine Darbietung mit hohen künstlerischen und organisatorischen Anforderungen. Claudio Baglioni hat nicht nur emotional berührt, sondern auch professionell begeistert.

 

Valeria Piediscalzi / Di, 09. Apr 2019