Urknall 2.0

Moviekritik: Prometheus
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© 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation.

Stanley Kubrick gab uns das Universum, George Lucas die Hochgeschwindigkeit und Ridley Scott die Finsternis. Nun schickt der Vater der Horror-Scifi abermals eine Crew in den Weltraum - doch sollte der Film ursprünglich ein Prequel zur «Alien»-Reihe werden, so haben sich die Vorzeichen mittlerweile radikal geändert. Die Mannschaft des Raumschiffs Prometheus wird nicht auf das längst vom Konzerndollar entzauberte Monster treffen, sondern einer anderen Gestalt aus dem Originalstreifen begegnen. Über deren Herkunft rätselt die Fangemeinde seit über drei Jahrzehnten und sie dürfte sich als noch gefährlicher erweisen als H.R. Gigers säuresabbernde Schöpfung …

 

Bild 1: Das Kommandodeck der Prometheus. / Bild 2: Fremde Welten. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Bis zum 25. Mai 1979 war der Weltraum ein gemütlicher, ja direkt familienfreundlicher Ort. Das Böse bewegte sich meist in Zeitlupe, wahre Macht war Rittern vorbehalten und zum Schluss gewann stets derjenige mit dem lächerlichsten Haarschnitt. Dann brachte ein unbekannter Brite eine unbarmherzige Bestie auf die Leinwand und lehrte die Scifi-Gemeinde das nachhaltige Fürchten. Drei Jahre später durfte er sogar Action-Ikone Harrison Ford durch einen penibel inszenierten Albtraum von Filmset wie Zukunftsvision jagen. «Blade Runner» würde sich dereinst als gewaltiger Einfluss auf die Populärkultur erweisen und seinen Stempel u. a. auch der Kult-Serie «Firefly» von «Avengers»-Regisseur Joss Whedon aufdrücken. Wie beim Vorgänger «Alien» war diese Gegenliebe leider nicht von augenblicklicher Natur. Beide Filme waren ihrer Zeit weit voraus. Beide würden erst Jahre später Anerkennung für ihre Innovationen finden. Deshalb wandte sich Ridley Scott einstweilen anderen Themen zu und fand seinen Appetit für Ausserirdisches erst in den frühen Nullerjahren wieder. 

 

Wenn’s dir nicht gefällt … Mach neu!

 

Doch obwohl die von ihm gestartete Weltraumsaga bislang intergalaktische Profite erzielt hatte, gestaltete sich deren Weiterentwicklung aus Gründen des Anspruchs eher aussichtslos. Hatte «Terminator»-Regisseur James Cameron noch einen logischen Ansatz verfolgt, indem er für die Fortsetzung «Aliens» schwerbewaffnete Kammerjäger entsandte, stürzte die Franchise von da an mit jeder weiteren Ausgabe tiefer in die Geistlosigkeit und erreichte schliesslich durch die Vermengung mit den maskierten Schlächtern aus «Predator» ihren artistischen Tiefpunkt. Unwillig eine eigene «Zehn kleine Jägermeister»-Ausgabe hinten anzuhängen, entschied Scott stattdessen, die Vorgeschichte seines Kinohits zu erzählen. Weil aber Prequels durch den bereits bekannten Ausgang die Gefahr der Sterbenslangweile enthalten oder aber durch hanebüchene Drehbücher (wie im Fall von «Krieg der Sterne») selbst einer bestens etablierten Serie schweren Schaden zufügen können, wählte er eine ähnliche Herangehensweise wie J.J. Abrams bei «Star Trek»; nämlich eine Vorgeschichte mit geänderten Vorzeichen.    

 

Hey Mr. SJ

 

Und hier sind wir endlich bei «Prometheus» angelangt, dem meistantizipierten Film des Jahres, der in einem Paralleluniversum von «Alien» spielt. Doch mögen Raum und Zeit nur minim phasenverschoben sein, so geht es im Kern noch immer um die Geschicke ausgewählter Mitarbeiter des übermächtigen Weyland-Konzerns. Diesmal bekommt es die Mannschaft mit der Leiche eines mysteriösen Reisenden zu tun, welche seit Jahrzehnten unter dem Namen «Space Jockey» debattiert wird und die seit Urzeiten auf einem fernen Planeten in einer Art Abschussanlage vor sich hin rottet.

 

Die Frauen des Ridley Scott: Bild 1: Noomi Rapace als Elisabeth Shaw und  (Bild 2) Charlize Theron als Missionschefin.

 

Aber alles der Reihe nach. Ihren Anfang nimmt die Geschichte auf der Erde, wo ein Wissenschaftler-Pärchen im späten 21sten Jahrhundert Piktogramme verschiedenster Kulturen der Menschheitsgeschichte sammelt, die alle auf dasselbe Sternensystem verweisen. Mit dem hunderte Milliarden teuren Raumschiff Prometheus reist eine handverlesene Delegation aus Spezialisten zu dem beschriebenen Planeten - in der Hoffnung, Hinweise über unsere Entstehungsgeschichte zu finden. Die Missionschefin wird von der derzeit auf Eiseskälte abonnierten Charlize Theron («Snow White And The Huntsman») gespielt, den Schiffskapitän macht Idris Elba («Thor») - mal wieder der Vernunft letzte Bastion - und der für «Alien»-Filme obligate künstliche Mensch wird von Michael Fassbender («Shame») verkörpert. David ist ein ganz und gar durchtriebener Android mit latentem Hang zum Sadismus. Abgerundet wird dieses hochkarätige Ensemble schliesslich durch die überragende Noomi Rapace (Lisbeth Salander in der schwedischen Verfilmung der Millennium-Trilogie), die in der Rolle der Elisabeth Shaw dort eisern Eierstöcke zeigt, wo andere den blonden Rossschwanz einziehen. Schon 1979 entschied Ridley Scott nach Paul Newmans Absage die Hauptrolle mit Sigourney Weaver zu besetzen und schuf damit die erste Actionheldin der Filmgeschichte. Mit Ausnahme von Shaws Lebenspartner treten die restlichen Crewmitglieder zwar nicht allzu oft auf, werden aber von ihren Darstellern glaubwürdig und unterhaltsam beschrieben. 

 

Artistisch vollbracht

 

Dank Lucas‘ visionärer Vorarbeit in Sachen Tricktechnik kann Ridley Scott diese Figuren nun in einer perfekt simulierten Umgebung aufeinander losgehen lassen. Solch eine atemberaubende Ästhetik wiesen bisher nur wenige Scifi-Filme auf. Der funkelnde Sternenhimmel, der furiose Silikonsturm auf LV-223 und das obszön schön designte Interieur des Rauschiffs schmeicheln dem Auge, während das Ohr von einem edlen, oft startrekesquen Soundtrack verwöhnt wird. Es sind die kleinen Dinge wie beispielsweise Captain Janeks Uniform, die nur aus einem abgewetzten Weyland-Tishi besteht oder der Imprint auf Davids Fingerkuppe, welche dem Film zusätzliche Tiefe verleihen. Doch dort unter der schillernden Oberfläche lauert das rabenschwarze Grauen. Bald schon wird sich der Zuschauer inmitten abartigen Horrors unter stotterndem Neonlicht wiederfinden. «Prometheus» schlägt nicht nur den Hauptfiguren auf den Magen, und dafür hat das Publikum schliesslich Geld auf den Tresen gelegt. 

 

Zapfenstreich?

 

Dennoch wird der Film nicht von allen Seiten als Geniestreich gehandelt. Zwar fällt bis auf den Witz mit Luther Vandross die inflationäre Benutzung von Zitaten bisweilen negativ auf, aber glaubt man führenden Film-Nerds, dann ist alles noch viel schlimmer. Angeblich wollen die Ungereimtheiten bei genauerer Betrachtung gar kein Ende nehmen. Warum besitzt der Android gegenüber seinen Schiffskameraden einen solch signifikanten Wissensvorsprung? Ist Therons Figur Vickers am Ende weder Frau noch Mensch? Wieso hat man den 44jährigen Guy Pearce für das Hologramm des greisen Peter Weyland verpflichtet und nicht eine verdiente Legende wie Sean Connery oder Christopher Lee? (YouTube. TED2023.) Wie biräweich muss ein Biologe eigentlich sein, um einer offensichtlich fremden wie feindseligen Lebensform vorbehaltslos Streicheleinheiten anzubieten? Diese Liste liesse sich in der Tat noch lange fortführen, und wenn man bedenkt, dass der berüchtigte Damon Lindelof am Drehbuch mitgewirkt hat, ist man sehr versucht, die Einschätzung einer verpatzten Story zu teilen. Immerhin war Lindelof jener Autor, der Millionen Zuschauern im «LOST»-Finale einen üblen Zapfenstreich gespielt hatte. Man kann jedoch getrost davon ausgehen, dass ein Ridley Scott solch Unfug niemals auf seinem Set tolerieren würde, und tatsächlich lassen sich fast alle Widersprüche durch sorgfältiges Kombinieren und etwas Vorstellungskraft problemlos aufheben - mindestens aber stark relativieren. Nach dem Kinobesuch sind anregende Debatten garantiert und genau das ist die eigentliche Stärke dieses Streifens. Es geht aufs Konto von so manch prominentem Blockbuster, dass wir von Scifi-Filmen nur noch Brätsch ohne Brain erwarten. Aus dem Kino, aus dem Sinn. Aber eigentlich ist doch genau dieses Genre dazu prädestiniert, die grossen Fragen zu stellen. Wie eben jene nach unserer Herkunft. Auch wenn sich der Film entgegen den Werbeversprechen eher damit befasst, wo wir hingehen und welcher Preis für Evolution ultimativ zu entrichten ist. 

 

Die eine (Bild 1) leitet die Exkursion, die andere (Bild 2) hat das Kommando an Bord. 

 

Ist «Prometheus» also ein Meisterwerk? Gar ein Meilenstein? Für «Alien» galt letzteres ohne Zweifel. Der Film stellt den Urknall des Gruselweltraums dar und inspirierte Klassiker wie «Sphere» oder «Event Horizon». Nun kehrt sein Regisseur, einer der verdientesten Kunstschaffenden der Gegenwart, nach dreissig Jahren zurück an den Geburtsort seiner Hollywood-Karriere. Aber nicht nur mit einem Drang zur schleimig-blutig-brutalen Alters-Gefälligkeit, sondern insbesondere einem neuen Blick auf die Dinge. Dabei hatte der alte Meister so viele Ideen, dass man den Film gleich mehrere Male geniessen muss, um sie alle sehen und begreifen zu können. Gibt es in einer Zeit der Einweg-Unterhaltung ein grösseres Kompliment zu vergeben?

 

 

 

 

 

 

!!! SPOILERZONE!!!: Der weiter Text befasst sich mit einem Lösungsansatz und verrät wichtige Details zum Film. 

 

 

Warum sie ihre Meinung änderten 

 

«Prometheus» lässt uns mit der Frage zurück, weshalb die Besucher, genannt Ingenieure, sich für die Auslöschung der Menschheit entschieden hatten. Während dem gemeinen Zyniker zur Antwortfindung ein kurzer Blick in die jüngsten Kapitel der Geschichtsbücher genügt, dürften mildere Gemüter um etwas mehr Differenziertheit bitten.

 

Der Schlüssel ist womöglich der grösste Widerspruch der Geschichte, und der geht so; die Ingenieure gründen mehrere Kolonien und hinterlassen Fragmente, die ihren Zöglingen den Weg zu einem Sternensystem weisen. Höchstwahrscheinlich ihrem eigenen Heimatplaneten. Die älteste auf der Erde gefundene Abbildung ist 35‘000 Jahre alt. Doch als die Menschenkinder die Einladung neugierig annehmen, finden sie am Zielort bloss eine 2000 Jahre alte Waffenschmiede auf einem wenig lebendigen Planeten vor. Was also soll diese gewaltige zeitliche Lücke bedeuten? Selbst wenn die Besucher unseren Untergang bereits in der Steinzeit planten, weshalb eine Anreisebeschreibung hinterlassen? Sie würden ihre Giftcontainer zuletzt ja ohnehin persönlich vorbeibringen. Damit dieser Abstand von 33 Jahrtausenden also Sinn macht, muss die ursprüngliche Einladung zwingend von wohlwollender Natur gewesen sein. Und wenn man weiter in Betracht zieht, dass auf LV-223 ausser den biologischen Kriegswaffen weder Fauna noch Flora anzutreffen sind, sieht man sich zu folgendem Gedankenspiel genötigt:

 

Beeindruckende Sets sind das Markenzeichen von Ridley Scott. (Beide Bilder) 

 

Vor Urzeiten war LV-223 die Heimatwelt der Besucher gewesen. Milliarden Individuen bevölkerten den Planeten und taten das, was jede vernunftbegabte Spezies tut; sich weiterentwickeln und irgendwann im Weltall breit machen. Sie gründeten ein riesiges Sternenreich, welches auch Planeten mit künstlich geschaffenen Zivilisationen umfasste. Doch genauso wie Wissenschaftler, die die Unendlichkeit erforschen irgendwann den Verstand verlieren, kam auch den Ingenieuren zuletzt jedes Augenmass für ihren Schöpfungswahn abhanden und ein unerbittlicher Krieg um die alleinige Kontrolle über das Imperium entbrannte – ähnlich wie der in der Rückblende von «Battleship» gezeigte Konflikt.

 

Was wohl einst mit der Entdeckung des Feuers durch die Vorfahren der Ingenieure auf LV-223 begann, endete mit der Detonation ganzer Sonnensysteme – bestimmt aber der Verwüstung des Heimatplaneten selbst. In einem symbolischen Akt entschieden die Gewinner des Krieges, genau dort eine Waffenschmiede zu errichten, um die künstlichen Kolonien (also beispielsweise die Erde) zu zerstören und künftige Konkurrenz auszuschliessen. Denn auf Fortschritt muss es ein Monopol geben. Sonst kommt er irgendwann perfide angeschlichen und beisst einen aus dem toten Winkel in den Hintern. Immerhin könnte es ja auch sein, dass es exakt eine dieser jungen Welten war, die das Imperium beinahe zu Fall brachte. So ähnlich dürfte es abgelaufen sein, doch die Antwort ist nicht wirklich interessant, da wir nie erfahren werden, wer seinerseits die Ingenieure geschaffen hatte.

 

Wieso erinnern die Sets bloss an Stanley Kubricks Weltraumsaga 2001? (Beide Bilder) 

 

Viel fesselnder ist doch die Frage, die sich schon beim Anschauen von «Alien» gestellt hatte. Diese schwarz glänzenden Biester mögen die geborenen Tötungsmaschinen sein, aber um Raumschiffe zu bauen sind sie gewiss zu blöd. Nun ist bekannt; sie sind es allerdings und das ist das Schöne an der Sache. Die Ingenieure brauchten die Biester bloss in die Atmosphäre einer beliebigen Welt ihrer Missgunst zu schiessen und der Rest erledigte sich von selbst. Die Aliens töteten alles halbwegs intelligente Leben, waren dann aber aufgrund ihres mangelhaften Wissens über Ingenieurskunst für immer auf dem Planeten gestrandet, weswegen sie ihren Schöpfern nie wieder gefährlich werden konnten.

In gewisser Weise ein perfektes Verbrechen.

 

 

  • Prometheus – Dunkle Zeichen (USA 2012)
  • Regie: Ridley Scott
  • Drehbuch: Jon Spaihts, Damon Lindelof
  • Besetzung: Noomi Rapace, Logan Marshall-Green, Michael Fassbender, Idris Elba, Charlize Theron, Guy Pearce 
  • Laufzeit: 124 Minuten
  • D-CH-Kinostart: 9. August 2012

 

Bilder: © 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved

Mike Mateescu / Mo, 06. Aug 2012