Ein Mönch, ein Gewehr, James Bond und die Demokratie

Moviekritik: The Monk and the Gun
Bildquelle: 
©trigon-film.org

So könnte ein Witz beginnen: Spaziert ein Mönch mit einem Gewehr aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg durch den Himalaya. Hinter diesem Bild steckt im filmischen Kontext jedoch ein ernster Hintergrund, der geschickt in eine bestechend leichte Komödie verpackt wurde.

 

Das Königreich Bhutan will sich im Jahr 2008 modernisieren und ermöglicht deshalb grossflächig Internet und Fernsehen. Plötzlich steht das Tor zur Welt offen, James Bond schaut aus dem TV und die Dire Straits singen «Money For Nothing» - die Faszination ist gross. Fast wichtiger ist aber die geplante Einführung der Demokratie. Erstmals soll die Bevölkerung die Regierung selbst wählen, entscheidet der König. Maximale Freiheit also. Auf diese Änderungen reagieren nicht alle gleich. In einem Dorf greift der Neid um sich, manche verkaufen sogar alle Rinder für den ersten Fernseher in der Gemeinschaft, und es gibt Reibungen zwischen Traditionen und Moderne, als Wahlhelfer auftauchen, um den Menschen das System zu erklären. Dafür wird extra eine Testwahl durchgeführt, die nicht ganz nach Plan läuft. Nicht wenige scheitern schon an der Registrierung, weil sie ihr Geburtsdatum nicht kennen. Manche befürchten schon leere Wahllokale. Weil aber weltweit aktive Medien wie BBC, CNN und Al Jazeera über die Wahlen berichten, kommt ein Misserfolg nicht in Frage.

 

Die Neugier ist gross: lange Schlangen vor den Testwahllokalen. (©trigon-film.org)

 

Ein Ehepaar beschliesst, den Fremden zu helfen, dafür wird ihre Tochter in der Schule gehänselt. Gleichzeitig fährt der Reiseführer Benji mit einem amerikanischen Touristen durch die Gegend, weil dieser ein bestimmtes Gewehr sucht. Währenddessen schickt auf dem Berg der Lama seinen Mönch auf die Suche nach eben diesem Gewehr. Weil der Lama aber mehr Wertschätzung im Dorf geniesst, überreicht der Besitzer dem Mönch sein Gewehr, anstatt es zu verkaufen. Zufrieden macht der Schützling des Lamas sich auf den Heimweg, trifft unterwegs noch Wahlhelfer, staunt über die neuen Freiheiten, bestaunt 007 und läuft Benji und seinem Touristen über den Weg. Was die für das Gewehr zu bieten bereit sind, lässt den Mönch nicht nur staunen. Hinterfragen tut er das Angebot nicht, sondern es stellt ihn vor eine harte Entscheidung. Soll er das Gewehr dem Lama bringen, der es dringend benötigt, wofür auch immer, oder doch tauschen?

 

Wie wird sich der Einfluss der neuen Medien auf die Bevölkerung auswirken? Wie offen stehen die Menschen der Demokratie gegenüber? Solchen Fragen widmet sich Regisseur Pawo Choyning Dorjis, der mit seinem Debüt «Luana» die erste Oscar®-Nominierung für Buthan ermöglichte, in seinem zweiten Film «The Monk and the Gun». Manche Menschen wollen von Demokratie nichts wissen, leben lieber nach den Lehren Buddhas, andere glühen für die Veränderungen. Wie als Kommentar dazu, flimmert im TV ein MTV-Clip mit den berühmten Worten von Neil Armstrong bei der Mondlandung: «A small step for a man, a giant leap for mankind».

 

Feine Klinge und Fingerspitzengefühl für die Bedenken der Menschen

 

Es wäre jetzt denkbar leicht gewesen, ein Moralstück über die Vorteile von demokratischen Freiheiten zu zimmern und den moralischen Zeigefinger zu schwingen. Hocherfreulich, dass es anders gekommen ist. «The Monk and the Gun» ist vielmehr ein süffiger Film, der entspannt und ohne zu werten die Schwierigkeiten aufzeigt, wenn neue Strömungen auf Menschen treffen. Das passiert zu keiner Zeit auf den Rücken der Figuren, eher über die geschickt erzählte Geschichte. Der Film nimmt seine Figuren in den Arm und erlaubt sämtliche Stimmen, auch wenn die pure Vorsicht aus ihnen spricht. Verübeln kann man das nicht, schliesslich ist so eine gesellschaftliche Wandlung elementar. Das verzahnte Drehbuch, das auf mehreren Ebenen stattfindet und erst mit der Zeit alle Handlungsstränge zusammenführt, ist mit so feiner Klinge und Fingerspitzengefühl geschrieben, dass man emotional immer bei den Menschen ist und nachvollziehen kann, wieso Bedenken da sind.

 

Diskussion im gelben Feld als Beispiel für die gelungene Bildkomposition. (©trigon-film.org)

 

Der Humor kommt dabei nicht zu kurz, ist aber nie platt. Amüsant zum Beispiel, wie verzweifelt versucht wird, der Bevölkerung den Wahlprozess via Farben zu vermitteln und in der Expertise nicht berücksichtig wurde, dass Gelb die Farbe des Königs ist und dementsprechend gewählt wird, egal um welche Inhalte es bei der Testwahl geht. Letztlich ist das nur ein Test, aber die Szenen um die Wahl haben eine politikkritische Metabene, die bei der aktuellen Weltlage für einen trockenen Hals sorgt. Der tiefenentspannte Mönch, der in allen Handlungssträngen vorkommt, steht für die rationale Sicht. Er lässt entspannt auf sich zukommen, was passiert, und reagiert entsprechend. Eine zusätzliche kritische Ebene fliesst in der Figur des Touristen ein, aber darüber soll nicht zu viel verraten werden. Dafür bringt die letzte Sequenz alle Handlungsstränge elegant auf den Punkt und rundet einen so liebenswürdigen wie absurden Film mit einem kleinen Schmunzler wunderbar ab.

 

Die visuelle Kraft der Kamera ist ein weiteres Puzzle im Mosaik des Filmgenusses. Wenn etwa der Mönch durch ein Feld aus lila Blumen läuft und oder mitten in gelben Blüten mit Benji und dem Touristen redet, das Gewehr geschultert, wirkt das durchaus pittoresk. So wird deutlich, wie viel Liebe für Details im Film steckt, auch wenn er so gemütlich wirkt, als wäre er an einem Nachmittag mit einer Handvoll Freunden entstanden.

 

«The Monk and the Gun» ist ein politischer Film, der eigentlich nicht politisch sein will und genau durch diese sanfte Verweigerung sehr viel aussagt. Ein geschickter Coup, der perfekt bis zum stimmigen Schluss ideal aufgeht.

 

  • The Monk and the Gun (Bhutan 2023)
  • Regie & Drehbuch: Pawo Choyning Dorji
  • Besetzung: Tandin Wangchuk, Kelsang Choejey, Deki Lhamo, Pema Zangpo Sherpa, Tandin Sonam
  • Laufzeit: 107 Minuten
  • Kinostart: 18. April 2024

 

Patrick Holenstein / Mi, 17. Apr 2024