Die Dämonen des Kriegs

Movie-Klassiker: Jacobs Ladder (SZ-Edition)

In der Cinemathek der Süddeutschen Zeitung erscheint eine Edition für Fans von Filmen, die die Grenzen zwischen Fantasie und Realität bewusst verschwinden lassen. Dreizehn Filme wählte die Redaktion sorgfältig aus. Filme, die das Label «Traum und Wirklichkeit» diskussionslos verdienen. Bäckstage stellt in einer Serie drei Filme aus der Sammlung vor und verlost jeweils drei DVDs.

 

Teil 3: Jacob’s Ladder

 

Der Film entführt in den ersten Minuten mitten in den Vietnamkrieg. Amerikanische Soldaten schlagen die Zeit tot, klopfen derbe Sprüche, wirken gequält beim Versuch, sich von der Realität abzulenken, die sie umgibt. Dann werden sie plötzlich angegriffen. Blut fliesst, Menschen schreien, verzerrte Gesichter, aufgerissene Augen, Panik. Ein Soldat windet sich in heftigen Krämpfen, während um ihn herum geschossen, gekämpft und gestorben wird. 

 

Adrian Lyne, der als Regisseur bereits mit Filmen wie «Fatal Attraction», «Flashdance» oder «9 ½ Wochen» einige heutige Klassiker der Popkultur geschaffen hat, gelingt mit «Jacob’s Ladder“ ein Film, der noch lange im Kopf herum spukt. Von der Kritik zwar eher negativ aufgenommen, entwickelte sich die Geschichte eines Vietnamveteranen mit Halluzinationen über die Jahre zum Kultfilm. Sicherlich nicht zuletzt wegen der brillanten Darstellung des jungen Tim Robbins und der geschickten Inszenierung. 

 

Experimente mit «The Ladder»

 

Nachdem der Vietnamkrieg als Prämisse das erlebte Grauen verdeutlicht hat, erwacht Jacob Singer (Tim Robbins, «Dead Man Walking», «The Shawshank Redemption») in der New Yorker U-Bahn und weiss im ersten Moment nicht, wo er ist. Als er die U-Bahn verlässt, fällt ihm unter dem Mantel eines schlafenden Mannes ein reptilienähnlicher Schwanz auf. Irritiert schenkt er seiner Beobachtung wenig Beachtung. Als die unwirklichen Vorkommnisse um Jacob herum immer häufiger werden, beginnt er langsam an sich zu zweifeln. Erst als er seine ehemaligen Kriegskameraden trifft und diese von ähnlichen Erlebnissen berichten, beschleicht Jacob ein Verdacht. Die US-Army muss in Vietnam Experimente an seiner Einheit durchgeführt haben. Als er von einem ehemaligen Chemiker der Army kontaktiert wird und dieser ihm gesteht, dass mit einem Wirkstoff, der «Ladder» genannt wurde, Experimente stattfanden, sieht sich Jacob bestätigt. Doch wie vertrauenswürdig ist der Mann und wer ist noch auf Jacobs Seite?

 

«Jacob’s Ladder» ist auf vielen Ebenen interessant. Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit wird gekonnt auf die Spitze getrieben. Wenn etwa Jacobs Freundin ein dämonischer Zahn aus dem Mund stösst oder er von Männern ohne Gesichter verfolgt wird, dann ist man als Zuschauer emotional ganz dicht bei Jacob. Je länger der Film dauert, desto mehr beginnt man Jacob jedoch zu hinterfragen. Das Drehbuch hat nämlich einige Entwicklungen, die wenig Sinn machen, ja sogar am Protagonisten zweifeln lassen und erst am Schluss erklärbar sind. So werden wir als Zuschauer unweigerlich in die Welt von Jacob hineingezogen, nicht weil wir ihm aufgrund der Fakten glauben müssen, sondern weil wir ihm einfach gern glauben wollen. Tim Robbins spielt den angeschlagenen Vietnamveteranen, der zwischen Wahnsinn und Verzweiflung pendelt, nämlich sehr emotional. 

 

Ebenfalls interessant ist die Kritik an der Army. Zwar wird kein klarer Bezug zur Realität geschaffen und der Wirkstoff, mit dem die Army experimentiert haben soll, ist natürlich fiktiv. Das Pentagon hat aber längst zugegeben, dass während des Vietnamkriegs mit chemischen Stoffen die Felder der Gegner gezielt besprüht wurden, um die Ernte zu vernichten. Dazu gibt es Zeitungsberichte über Experimente mit Nervengas. Hier schwingt einerseits Kritik mit und andererseits spielte die Verarbeitung der nationalen Wunde, die der Vietnamkrieg für Amerika in den Neunzigern, als der Film gemacht wurde, noch immer ist, eine Rolle. 

 

Stilistisch einflussreicher Thriller

 

Stilistisch ist der Film revolutionär. Die kurzen, im Zeitraffer gedrehten Horrorszenen mit menschlichen Bewegungen, genannt Body-Horror, beeinflussten junge Filmemacher vermutlich bis zu «The Sixth Sense». Und auch die Kreativen hinter der Game-Serie «Silent Hill» haben sich von «Jacob’s Ladder» Inputs geholt. Auf der Tonebene passiert auffällig viel oder eben auch gezielt wenig. Zwar wurde für den Soundtrack der preisgekrönte Komponist Maurice Jarre (Oscar für Doktor Schiwago) engagiert, aber sein Werk wird nur sehr spärlich eingesetzt. Lieber wird die urbane Geräuschkulisse genutzt. Vielleicht um die emotionale Abgestumpftheit zu stützen, die Jacob nach den Erlebnissen im Krieg mit sich trägt. Musik transportiert zudem meist Emotionen und Jacob scheint im ganzen Film emotionslos und dies dürfte die fehlende Musik zusätzlich suggerieren. 

 

Dass «Jacob’s Ladder» schon über zwanzig Jahre alt ist, sieht man ihm kaum an. Die Thematik wird nicht an Aktualität verlieren, so lange es auf der Welt Kriege gibt. Davon abgesehen funktioniert die Geschichte wunderbar als Thriller und bleibt bis zum überraschenden Ende spannend.

 

 

  • Jacob’s Ladder (USA 1990)
  • Regie: Adrian Lyne
  • Drehbuch: Bruce Joel Rubin
  • Darsteller: Tim Robbins, Elizabeth Peña, Danny Aiello
  • Laufzeit: 108 Minuten
  • DVD-Start: Im Handel erhältlich

 

Patrick Holenstein / Mo, 07. Jan 2013