Bruce Springsteens Abrissbirne der Sozialkritik

CD-Kritik: Bruce Springsteen - Wrecking Ball
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«Wrecking Ball» heisst es also, das lang erwartete neue Album von Bruce «The Boss» Springsteen. Mit der titelgebenden Abrissbirne hat Springsteen sein sorgfältig aufgebautes Image des kritischen Rockers für die Arbeiterschicht zwar nicht gerade zu Staub bearbeitet, aber doch ein wenig am Fundament gerüttelt. Springsteen lässt seine über Jahre hinweg perfektionierte musikalische Qualität nämlich mit feinen Ansätzen aus Elektro und Rap verschmelzen und legt ein Album vor, das viele Gegensätze, aber kaum Schwächen hat.

 

Siebzehntes Studioalbum

 

Die ersten Sekunden klingen fremd, erinnern irgendwie an ein U2-Intro aus der «Achtung Baby»-Phase, fast so, als ob zweifelsfrei klar gemacht werden soll, dass Stillstand nicht in Frage kommt. Aufbruch heisst das Credo und es manifestiert sich in vielen Songs. Springsteen erobert vorsichtig, aber zielsicher neues Terrain und schafft es, dabei seine Wurzeln nicht zu vergessen. Drei Jahre sind seit dem letzten Album «Walking On A Dream» vergangen. Im direkten Vergleich wirkt «Wrecking Ball», das siebzehnte Studioalbum vom Boss, reifer – wenn man das bei Springsteen überhaupt sagen kann – und deutlich durchdachter. 

 

Mit «Shackled And Drawn» wird erst einmal geliefert, was die Fans wollen; eine veritable Hymne, die sicherlich in jedem Stadion der Welt zur Geltung kommen wird und die Vorfreude auf die kommende Tour anheizt. Aber Springsteen hätte nicht seinen Status als exzellenter Beobachter der amerikanischen Gesellschaft, fände sich auf der CD nicht viel Sozialkritik. So erzählt beispielsweise «Death To My Hometown» vom Krieg und transportiert die Botschaft durch eigentlich muntere Klänge, versetzt mit Flöten, die an Musik aus einem irischen Pub erinnern. Die Ambivalenz zwischen Musik und Text regt durchaus zum Denken an. Dagegen dreht sich in «Easy Money» alles um das leicht verdiente Geld und wie skrupellos es verdient werden kann. Krasse Gegensätze also, die beide als Spiegelbild der Gesellschaft funktionieren

 

«Blood on our hands will come back on us twice.»

 

Ein besonderer Leckerbissen für Fans von Springsteen ist sicher die Studioversion von «Land Of Hope And Dreams». Das Stück wurde seit 1999 bei über 300 Konzerten gespielt, fand allerdings nie den Weg auf ein Studioalbum. Gemeinsam mit einem Gospelchor hat Springsteen den Klassiker nun endlich auf einen Silberling gebannt. Der Gospelchor trägt aber auch viel zur Atmosphäre beim stärksten Stück der Platte bei. «Rocky Ground» ist schlicht brillant. Vom bedrückenden Auftakt über den eingängigen Refrain, die spärliche Instrumentalisierung und Springsteens dunklen und kontrastierenden Gesang bis zur Sprechgesangeinlage im Mittelteil und den Lyrics, welche den Krieg verurteilen: «Blood on our hands will come back on us twice.» 

 

«Auf diesem Album wird die Frage gestellt: „Kümmern wir uns um unseresgleichen?», erklärte Springsteen kürzlich bei einer Album-Präsentation. Die neuen Songs erzählen tatsächlich von Egoismus und Selbstlosigkeit, von Hoffnung und Trostlosigkeit, von Verzweiflung und Glauben und plädieren für mehr Nächstenliebe. Springsteen tut, was er am besten kann: Er jongliert mit erschlagenden Eindrücken und Szenarien, die überall auf der Welt passieren könnten, und verpackt diese in 13 Songs, die als Platte hervorragend funktionieren. Zusammen mit Produzent Ron Aniello und Jon Landau, der Springsteen seit Jahren managt und hier die Funktion des Executive Producers übernommen hat, schuf Springsteen ein kraftvolles Album, das kaum Schwächen hat und eine musikalische Bandbreite abdeckt, die von Folk bis Rap reicht. «Wrecking Ball» ist Springsteen in Reinkultur, klug, rockig, gelegentlich tieftraurig und sentimental, aber immer auf hohem musikalischen Niveau.

 

  • Künstler: Bruce Springsteen
  • Album: Wrecking Ball
  • Label: Sony
  • : 2. März 2012 
Patrick Holenstein / Do, 01. Mär 2012