Superorganism: Es war ein richtiger Tsunami der Ereignisse.

Interview mit Superorganism
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Pressebild / © Jordan Hughes

Die Newcomer von Superorganism bespielten am Samstag die Tent-Stage am Zürich Openair. Das Pop-Kollektiv mit Musikern aus aller Welt sorgte mit seinem Stilmix für einen der buntesten Auftritte des Festivals. Wir haben zuvor mit den Sängerinnen Ruby und Orono einen Viertel der Band zum Gespräch getroffen – eine Stunde nachdem der zweite Regensturm übers Areal gefegt war. 

 

Ruby: Ist das typisches Schweizer Wetter?  

Ja, und heute war es besonders schlimm. Ist das euer erstes Konzert in der Schweiz? 

Ruby: Nein, wir waren bereits am Paléo Festival in Nyon. Wir haben diesen Sommer schon an so vielen Festivals gespielt … 

 

Gefällt’s euch hier?

Ruby: Ja, ihr habt grossartiges Essen! 

 

Ihr seid 2017 gestartet, obwohl ihr zuvor schon länger kollaboriert hattet. Viele von euch kannten sich übers Internet?  

Ruby: Ja, wir kennen einander unterschiedlich lange. Einige von uns schon fast acht Jahre. Orono und ich kamen letztes Jahr hinzu.  

Ohne Internet würde es eure Band also gar nicht geben?

 

Ruby: Wir würden eindeutig nicht existieren.  

Gleich zu Beginn gab es einen ziemlichen Rummel um euch, man könnte fast von einem Hype sprechen. Habt ihr euch dadurch unter Druck gesetzt gefühlt, als es ans erste Album ging?

 

Ruby: Nein. Du? (Schaut Orono an)

 

Orono: Nein.

 

Ruby: Wir machten einfach weiter wie bisher und haben unsere Songs aufgenommen. Es war echt cool, dass andere über unsere Musik sprachen, aber für uns machte es keinen Unterschied. Wir bemerkten den Rummel erst, als wir auf Tour gingen und uns in den Charts wiederfanden. 

 

Ihr tragt alle einen Künstlernamen. Weshalb?

 

Ruby: Die meisten Leute, die berühmt sind, tun das. Für mich war es wichtig, eine Art Persona für die Bühne zu entwickeln. Jeder von uns hat etwa zehn Kosenamen.  

Die Hälfte der Band stammt entweder aus Australien oder Neuseeland, und momentan kommen jede Menge neuer Bands von dort.

 

Ruby: (lacht) Echt?

 

Orono: Ich kenne bloss zwei.

 

Ja, The Naked and Famous, Ladyhawke, Alison Wonderland oder Fazerdaze. Vielleicht sehe ich das auch nur deshalb so, weil ich Europäer bin und auf britische Musik stehe. Ich habe einfach das Gefühl, dass gerade aus Neuseeland ein frischer Wind weht.   

Ruby: Ich finde nicht, dass wir eine neuseeländische Band sind. Viele von uns haben bereits drei Jahre in England gelebt, und unsere Leadsängerin Orono kommt aus den USA und Japan. Ich denke wir sind eine Londoner Band, die ihre Wurzeln an vielen verschiedenen Orten der Welt hat. Würdest du dem zustimmen?

 

Orono: Ich würde nicht sagen, dass wir eine Londoner Band sind. Wir sind einfach eine Band ohne feste Bindung zu einem bestimmten Land. 

 

Ruby: Es war echt cool, dass andere über unsere Musik sprachen, aber für uns machte es keinen Unterschied. Wir bemerkten den Rummel erst, als wir auf Tour gingen und uns in den Charts wiederfanden. 

 

 

Also eine globale Band.

Ruby: Ja, denn das ganze Album entstand praktisch in drei verschiedenen Ländern. Darum denke ich nicht, dass es in einer Verbindung zu einem bestimmten Land steht. Genau darum geht es ja. Wir wollten ein Aufnahmeprojekt, das irgendwo mit irgendjemandem entstehen kann. 

 

Wenn ich mir eure Platte anhöre, dann vereint sie die besten Elemente der Neunziger. Klar, damals gab’s auch richtig schlimme Musik, aber viele Bands experimentieren mit Stilrichtungen herum und kamen so auf ganz neue Sounds. Eure Platte geht auch in die Richtung. Ihr limitiert euch nicht auf ein Genre und seid schwer in eine Schublade zu stecken.  

Ruby: Ich glaube, das ist die Essenz unserer Zeit. Du kannst dir anhören, was immer zur Hölle zu möchtest und kannst dir jede Playlist geben. Ich meine, wir hören uns Zeugs aus den Zwanzigern an, bis hin zu Sachen, die gerade erst veröffentlicht wurden. 

Das wäre meine nächste Frage gewesen: Werdet ihr eher von Musikstilen oder von Bands beeinflusst?

 

Orono: Eigentlich von allem.  

Ruby: Ja.

 

Orono: Von aktuellen Metal-Platten über Mainstream-Pop bis hin zu allem Möglichem.  

Ruby: Viele von uns mögen Weezer, Pavement, Charli XCX oder Katy Perry. Die Bandbreite ist sehr gross.  

Ihr versteht euch ja als Kollektiv, ähnlich wie etwa Archive. 

Ruby: Archive?

 

Ja, eine britische Prog-Rock-Band, die seit über 20 Jahren eine Art Familie darstellt, in der manche Mitglieder Auszeiten nehmen, während neue hinzukommen. Könnt ihr euch vorstellen, noch mehr Leute aufzunehmen oder stellen acht Personen die perfekte Balance dar?

 

Orono: Wahrscheinlich nicht, denn wir hassen alle.

 

Ruby: (muss laut lachen) Also ich würde jetzt nicht per se nein dazu sagen.  

Orono: Aber es ist schon wenig wahrscheinlich.  

Ruby: Ja. Die Sache ist die: Am Anfang des Projekts stand die Idee, möglichst viele Leute zu involvieren. Und damit machten wir weiter, bis wir diesen Urknall hatten. Bei «Something for your M.I.N.D» wurde uns klar, dass wir alles nötige Personal hatten, und ab dem Punkt hielten wir nicht länger nach neuen Mitliedern Ausschau. Es markierte auch die Gründung von Superorganism. Beispielsweise haben wir Robert Strange, der sich um die ganzen Visuals kümmert. Es geht also nicht nur um Musik, sondern auch um das ganze Drumherum.  

Eine Frage zu eurer Struktur: Die meisten Bands haben einen Songwriter und einen Bandleader. Manchmal ist das dieselbe Person. Wie ist das bei euch? Seid ihr basisdemokratisch? Gibt es einen Boss? Oder hat jeder und jede eine ihm/ihr zugedachte Rolle?

 

Ruby: Ich finde, wir haben eine Rollenverteilung, aber die Übergänge sind fliessend. Dem Schaffen der einzelnen Mitglieder sind keine klaren Grenzen gesetzt. Ich denke, am Ende ist alles eine Kollaboration. 

 

Orono: Was uns wirklich interessiert, ist es, coole Musik und coole Sachen zu machen. Wenn Strukturen helfen, dieses eine tolle Ding zu bringen, dann umso besser.  

Ruby: Wenn sich die Produktion eines Songs ihrem Ende nähert, gibt es oft Einwände von einer Seite, der vielleicht gewisse Elemente nicht gefallen. Dann wird das unter drei bis vier Personen ausdiskutiert. Wir sind so viele, dass wir bestimmt nicht noch ausserhalb der Band Meinungen einholen.  

Klingt nach dem perfekten Equilibrium.

Ruby: Ja.

 

Trägt jemand innerhalb der Band die Rolle des klassischen Produzenten?

 

Ruby: Wir haben mehrere Produzenten. Derjenige, der eine Songidee hat, muss nicht zwingend zum Produzent dieses Songs werden. Abmischen tut die Songs meist Tucan, unser Live-Drummer. Er ist quasi der Mixmaster. Das ist eine seiner Schlüsselrollen, weil das von den anderen niemand so gut kann.  

Und es ist Robert, der all eure Videos macht?  

Ruby: Ja. Bei Videos ist es ähnlich wie bei Songs. Am Anfang gibt es Diskussionen, und danach geht Robert hin und bastelt was. Später gibt es vielleicht wieder Diskussionen, und die Sache geht in eine neue Richtung.   

Wow.

Ruby: (lacht) Es gibt stets eine Menge Diskussionen, aber wir können uns eigentlich immer einigen. Es kommt kaum je zu Streitigkeiten.

 

Und wann wusstet ihr, dass es funktioniert? Dass dieses Projekt irgendwohin führen könnte? 

 

Ruby: Als wir «Something for your M.I.N.D.» aufgenommen hatten. Das war der Beginn von Superorganism. Zuvor gab’s uns in der Form noch nicht.  

Orono: Hängt davon ab, was du unter «funktionieren» verstehst. Keiner von uns hatte damals irgendwelche kommerziellen Absichten.  

Ruby: Wir haben einfach im Internet herumgealbert. Es gab keinen Plan, etwa dass wir eine halb-erfolgreiche Band werden – erfolgreich genug, um die Welt ein Jahr lang zu bereisen.

 

Orono: Ich dachte, es wäre cool, zweihundertmal angeklickt zu werden. Und dann gelang uns das an einem einzigen Tag.  

Ruby: Es waren sogar nur drei Stunden. Ich meine, alles hat sich natürlich entwickelt. Es gab nie einen verrückten Zweijahresplan oder so. Wir beginnen erst jetzt, richtig Pläne zu schmieden, weil wir erst jetzt in die Zukunft blicken können. Bis vor ein paar Monaten ging es einfach Schlag auf Schlag. Es war ein richtiger Tsunami der Ereignisse.  

 

Orono: Was uns wirklich interessiert, ist es, coole Musik und coole Sachen zu machen. Wenn Strukturen helfen, dieses eine tolle Ding zu bringen, dann umso besser.

 

 

Wie viele von euch haben eigentlich eine Musikausbildung im klassischen Sinne? 

Orono: Eigentlich nur Soul.  

Ruby: Ich habe zwar auch Musik studiert, aber ja; Soul ist vermutlich der einzige von uns, der sich als professioneller Musiker bezeichnen kann.  

Orono: Ich mag mir eigentlich nicht beibringen lassen, was Kunst ist. Erstens mag ich es nicht, wenn mir die Leute sagen, was ich zu tun habe, weil mich das auf die Palme bringt. Ich denke, es ist wichtig, Grundlagen zu erlernen, aber mir von einem fünfzigjährigen Typen in einem stinkigen Klassenzimmer künstlerische Ratschläge erteilen zu lassen? Das ist nichts für mich.   

Ruby: Viele von uns können Noten lesen. Und ich denke, unsere Verspieltheit kommt durch unsere unterschiedlichen Charaktere zustande. Sie fliesst einfach aus uns heraus.  

Orono: Ich glaube, wir sind uns einfach alle bewusst, dass Humor sehr wichtig ist. Die Macht des Humors, und dass man verschiedene Dinge über die Kunst kommuniziert. 

Ruby: Und dass man versucht, das Leben nicht zu ernst zu nehmen.  

Würdet ihr zustimmen, dass es in einer Band sehr stark um Freundschaft geht?

 

Orono: Yeah!

 

Ruby: Ja, das ist es. Hundertprozentig. Zusammenarbeit und Freundschaft. Und Respekt. Und noch ein Bisschen Spass.  

Dann viel Spass auf der Bühne und danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt.

 

Superorganism - «Something For Your M.I.N.D.» 

 

Mike Mateescu / Mi, 29. Aug 2018