Viel Schweiss, wenig Schweiz

Moviekritik: William Tell
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© 2025 Ascot Elite Entertainment.

Die Legende von Wilhelm Tell basiert auf einer uralten Erzählung, die im 19. Jahrhundert von Friedrich Schiller erstmals in eine literarische Form gebracht wurde. Der deutsche Dichter hatte die Schweiz nie bereist und stützte sich bei der Landschaftsbeschreibung auf seinen guten Freund Goethe. Bis heute ist umstritten, wieviel der überlieferten Geschichte sich tatsächlich ereignet hat, und wohl deshalb warf Hamm gleich sämtlichen Anspruch auf historische Präzision in den Dorfbrunnen.

 

Das fängt schon damit an, dass sie ständig von Schweizern und der Schweiz sprechen, obwohl es damals nur Eidgenossen und die Alte Eidgenossenschaft gab. Tell kann fliessend Arabisch, sein Adoptivsohn aus Jerusalem heisst Walter, und Gessler ist praktisch Captain Austria. Hamm dichtete in bester Denver Clan-Manier unzählige Figuren hinzu, weshalb die Zeichnung der zentralen Charaktere oft der Hackordnung innerhalb einer ausufernden Personaldecke zum Opfer fällt. Immerhin; sie sind etwas nahbarer als in vergleichbaren Produktionen.

 

Die Schweiz auf Stereoiden

 

Gedreht wurde nicht an Originalschauplätzen, sondern in Italien – was der Landschaft mit ihren zahlreichen Burgen einen monumentalen und zugleich surrealen Look verleiht. Quasi die Schweiz auf Stereoiden. So kommt der Film über weite Strecken ansprechend daher, findet in seiner Gesamtheit aber nie einen kohärenten Rhythmus, nie eine eigene Identität oder Bildsprache. Einige Abschnitte erinnern an Kevin Costners «Prince of Thieves», andere machen auf «Mad Heidi», aber bierernst. Mal wähnt man sich bei Asterix und Obelix, mal in einer wilden Mischung aus «Midsommar» und einem Monty Python-Sketch. Nicht selten wirken die Kostümierungen wie wild zusammengewürfelte Restbestände, aber durch diese hohlen Gassen muss man durch, um in den Genuss der Lichtblicke zu kommen.

 

Und diese gibt’s tatsächlich. Der Däne Claes Bang spielt Tell herrlich stoisch. Mit Ben Kingsley und Jonathan Price wurden Urgesteine verpflichtet, und ich könnte schwören, Ryan Gosling in einer tragenden Nebenrolle gesehen zu haben. Darüber hinaus ist es belustigend, so viele Schweizer Namen und Ortschaften in einer ausländischen Produktion genannt zu wissen. Das kann man jetzt als eine weitere Ausbeutung unseres Nationalhelden deuten, oder als pseudohistorisches Action-Drama, von dessen Originalmaterial nicht mehr geblieben sind als Referenzpunkte, Personalien und, natürlich, der Apfelschuss. Letzterer dauert – wie der Film selbst – zu lang, schafft es am Ende aber knapp, den Ofen zu verfehlen.  

 

Nick Hamms äusserst kreative Interpretation des Schweizer Nationalhelden krankt zwar an Identität und kontemporärer Relevanz, bietet aber löblicherweise trotz überschaubarer Mittel ein wildes, martialisches Abenteuer – wenngleich manchmal mit fragwürdiger Originalität.

 

  • William Tell (UK / Italy) 2024
  • Regie und Drehbuch: Nick Hamm
  • Besetzung: Claes Bang, Colshifteh Farahani, Ellie Bamber, Ben Kingsley, Jonathan Price u.a.
  • Laufzeit: 133 Minuten
  • Kinostart: 31. Juli 2025

 

Mike Mateescu / So, 03. Aug 2025