Pyros und ein Hauch von Politik bei Rammstein im Letzigrund

Konzertkritik: Rammstein in Zürich
Bildquelle: 
Pressebild / ©Bryan Adams

Man kehrt nach weit über zwei Stunden Rammstein in die kühle Zürcher Frühlingsnacht zurück und muss erst die inneren Organe ausklingen lassen. Der wuchtige Sound und die stampfende Bassdrum der Band, die zur Speerspitze der Neuen Deutschen Härte gehört, geht gehörig in die Magengrube. Aber das muss so sein und die sechs Mannen von Rammstein verstehen es, um die satten Beats herum ein feines Mosaik zu basteln, das durch Gitarren und Keyboardstränge veredelt wird. Zwar ist der Sound beim Opener «Armee der Tristen» noch etwas breiig, aber rasch klingt das, was im Letzigrund an diesem Abend für rund 47‘000 Menschen aus den Boxen quillt, sauber, druckvoll und gekonnt gemixt. Ein klanglicher Genuss.  

 

Die Spielwiese von Rammstein

 

Die Band um den charismatischen Frontmann Till Lindemann weiss haargenau, wie wichtig ihr von Industrial geküsster, rhythmisch stampfender Sound für die Konzerte ist. Darauf bauen sie und können sich zu 100% auf die Musik verlassen. Diese zündet zuverlässig. Ab diesem Punkt wird ein Konzert von Rammstein zur Spielwiese für grosse Kinder. Vom Laufband für den quirligen Keyboarder Christian «Flake» Lorenz, stets im goldenen Anzug gekleidet, über tonnenweise im Stadion verteilte Pyros und einige brandheisse Effekte, wie etwa ein Kochtopf, bis zur übergrossen Phalluskanone inklusive weissem Schaum.

 

Das Zentrum bildet die bei Tageslicht irgendwie unscheinbar wirkende Bühne, ähnlich einem riesigen Wachturm mit Grenzwall und grossen Suchscheinwerfern. Sie ist ein düsteres Kunstwerk und derart mit Überraschungen gespickt, dass man mehrfach nicht um ein Staunen herumkommt. Angefangen beim Screen in der Bühnenmitte, der wie ein Lift bis nahe an die Spitze des Turms gleiten kann und bei einem Remix-Intro zu «Deutschland» in der Mitte des Sets mühelos Platz für das DJ-Pult von Leadgitarrist Richard Z. Kruspe bietet. Dieser liefert ein augenzwinkerndes Intermezzo, das man leicht als ironische Anspielung auf Bands wie Faithless oder Kraftwerk sehen kann. Dazu kann die Bühne in verschiedenen Farben erleuchten, ist gefüllt mit diversen Feuerwerfern und versteckten Pyro-Elementen, besitzt einen Bauch, der eine Handvoll deftiger Überraschungen hervorbringt. Und nicht zuletzt sind in Bühne und Turm Unmengen an Licht- und Tontechnik verbaut. Dazu kommen vier im Stadion verteilte Lautsprechertürme, die ebenfalls kräftig Feuer ausspucken können und etwa «Du hast» zum wortwörtlich heissen Vergnügen machen.  

 

Irgendwie ist der Turm aber auch Teil der feinen Ironie, die Rammstein schon immer gepflegt haben, wenn es um ihr Auftreten geht. Er wirkt wie aus einem dystopischen Film und mit Elementen aus der Zeit des Nationalsozialismus spielen Rammstein sehr bewusst, wenn auch letztlich klar satirisch überspitzt. Das geht vom betont martialischen Gesang über die Optik mancher Kostüme oder roten Fahnen, die zeitweise die Bühne schmücken, bis zur künstlerischen Inszenierung der Bilder auf dem Screen. Die sind oft in schwarz/weissen Bildern gehalten und man könnte da durchaus Anleihen an Propagandafilme aus jener Zeit entdecken. Obwohl die Band in keiner Weise mit diesem Gedankengut in Verbindung steht - da besteht kein Zweifel -, sondern eher geschickt mit der Provokation jongliert. Das beweist eine Szene im Anschluss an «Engel».

 

Die Band reist auf drei Gummiboote verteilt über die Köpfe der Menschen hinweg von der B-Stage zurück auf die Hauptbühne und wird mit einen «Willkommen»-Schild empfangen. Eine klare Position zur Flüchtlings- bzw. Schlepperthematik im Mittelmeer und für menschlicheren Umgang mit fliehenden Menschen. Dass einer aus der Band bei der Überfahrt noch eine Ukrainefahne schnappt, die im Publikum geschwenkt wird, ist eher der Situation geschuldet, verdichtet das Bild aber zusätzlich. So setzen Rammstein ein klares politisches Statement und um es völlig klarzumachen, spielt die Band danach den Song «Ausländer».

 

Es kracht, es brennt, es knallt

 

Für einen etwas besonderen Fabtupfer muss man wieder wenige Minuten zurückgehen. Rammstein stehen auf der B-Stage und tragen voller Inbrunst «Engel» vor. Unterstützt werden sie dabei vom französischen Klavier-Duo Jatkok, das ein Coveralbum mit Songs von Rammstein in Handel hat. Leider sind sie nochmals gut zwei Stunden vorher als Support Act etwas im Letzigrund untergegangen. Dafür wirkt ihr melancholischer Klaviersound jetzt, gemeinsam mit den Stimmen von Rammstein plötzlich düster, sanft morbide und «Engel» wird so zu einem relativ leisen Highlight im sonst konsequent pumpenden Rammstein-Set. Dass Rammstein zwar darum bitten, während des Konzertes nicht zu filmen, aber die Handylichter an dieser Stelle aktiv fordern und gerne als Kulisse nutzen, ist leider etwas inkonsequent.

 

Alle diese Einzelteile werfen Rammstein in die Luft und kreieren daraus eine Show, die brachial viel Spass macht. Es kracht, es brennt, es knallt, bei «Puppe» wird ein übergrosser Kinderwagen abgefackelt, der Keyboarder wird im Kochtopf regelrecht gekocht und schon früh im Set flirren Konfetti durch die Luft, die natürlich standesgemäss schwarz sind. Die sechs Musiker verstehen es, eine Setlist aus Klassikern wie «Engel», «Du hast» oder «Sonne» mit neuem Material wie «Zick Zack» in eine durchaus homogene Reise durch die Geschichte Rammsteins zu bannen. Etwas Konversation mit dem Publikum wäre aber nicht falsch. Trotzdem hat sich die Corona geschuldete Wartezeit von rund zwei Jahren für diesen Gig allemal gelohnt.

 

Rammstein stehen für harte, wuchtige Beats, viel Feuer und einer feinen Prise Ironie in der ganzen Umsetzung. Im Letzigrund haben sie alle diese Elemente in Perfektion verbunden.

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 01. Jun 2022