Der Mond und «The One I Love»

Konzertkritik: Calexico in Zürich
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Bäckstage / © Patrick Holenstein

Man weiß gar nicht so recht, wo man eine Kritik anfangen soll, denn die wuchtige Kraft, die Calexico im Volkshaus vorführen, wirkt noch lange, nachdem man schon in der milden Frühlingsnacht steht. Vielleicht beim dichten Sounddschungel, der trotzdem sauber klang?  Oder beim charismatischen Frontmann, der das Publikum schnell im Griff hatte, und zum Schluss bescheiden bat, man möge doch die CD der Vorband, The Barr Brothers, kaufen? Oder beim diskreten Mond, der ständig hinter der Band vom Banner leuchtete? Ein bisschen wie ein Schutzengel. Wie auch immer, eines ist sicher, Calexico haben die Menschen im Volkshaus restlos begeistert. 

 

Wenn man in Zürich regelmässig an Konzerte geht, trifft man viel. Etwas vom Schlimmsten sind die «Coolen», die sich lieber unterhalten, anstatt dem Geschehen auf der Bühne zu lauschen. Bei Calexico gibt es das nicht. Das Publikum, das mehrheitlich schon in den späten Zwanzigern und darüber war, wollte die Band hören, in den richtigen Momenten feiern und sich von der Musik tragen lassen. So wurde geklatscht, wenn es der Rhythmus erlaubte. Wenn aber Gründungsmitglied Joey Burns zu einer gefühlvollen, aber in keiner Sekunde kitschigen Ballade ansetzte, hätte man im Volkshaus die sprichwörtliche Stecknadel zu Boden fallen hören können. Jemand hat mal gesagt, dass jede Band das Publikum bekommt, dass sie verdient. Calexico haben ein Publikum bekommen, dass sie auf Händen trägt. Völlig verdient

 

 

Diese sieben Musiker, die offensichtlich nicht von einer Hierarchie dominiert werden, sorgten während fast zwei Stunden für einen Wirbelwind der Stile. Aber jeder bekommt seinen Moment. Vom Trompeter, der mit emotionalem Gesang genau so begeistern konnte, bis zum zufrieden lächelnden Musiker mit der Handharmonika, die zum Schluss sogar Leuchtioden aufstrahlen liess. Natürlich war Joey Burns an der Gitarre und mit der charismatischen Stimme zwischen Springsteen und Dylan das Zentrum des Abends, aber nie der unangefochtene Chef. Vielmehr hatte man das Gefühl, dass eine Band auf der Bühne stand, die sich blind versteht, mehr noch, einen Hauch von Freundschaft ausstrahlte. Dieser Eindruck hat sich in Musik manifestiert. 

 

Die Vielfalt war berauschend. Von leisem Americana über lateinamerikanische Soundstrukturen bis zum bluesigen Gefühlsausbruch. Wenn man Calexico, die seit Jahren eine bestechend gute Liveband sind, zuhört, dann fühlt man sich wie in den Ferien und fühlt die Sonne ihrer Heimat Arizona förmlich auf der Haut. Und wenn am Schluss von einem Mitglied der Band in beinahe akzentfreiem Deutsch ein «Lieblingstitel einer Band, die meine Schwester mir mal gezeigt hat» angekündigt wird, bringt R.E.M.’s «The One I Love» in gewisser Hinsicht eine wunderbare Quintessenz in ein Konzert, bei dem ziemlich alles gepasst hat und sich sowohl Publikum als auch Band wirklich sehr geschätzt haben. Das gibt es selten genug in dieser Perfektion. Umso schöner, dass Calexico eben für die Musikfestwochen in Winterthur bestätigt wurden. 

 

Musik zum Genießen. Anders kann man es kaum sagen. Calexico haben mit einem Mariachi-Americana-Pop-Mix das Zürcher Publikum brutal begeistert.

Patrick Holenstein / Fr, 24. Apr 2015