Coldplay machen einen Hidden Track zum Moment des Abends

Konzertkritik: Coldplay im Letzigrund
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Bäckstage / © Patrick Holenstein

Chris Martin hat als Frontmann der vermutlich erfolgreichsten Popband der Stunde eine einzigartige Mischung aus spitzbübischem Charme und professionellem Gespür für die Wünsche des Publikums. Deutlich wird das im Laufe des Konzerts immer wieder, wenn er im Konfettiregen herumspringt und strahlt, während hinter der Bühne Feuerwerk gezündet wird. Coldplay at its best. Ein grosser, bunter Kindergeburtstag im besten Sinne. Man kann sich dieser Riesenportion guter Laune schlicht nicht entziehen – und will das gar nicht.

 

Schon beim Opener «Higher Power» flirrten Unmengen an Konfetti durch die Luft und die Band zeigte sich in bester Spiellaune. Das zog sich durch das gesamte Set, von Hit zu Hit, von «The Scientist» bis zu «Fix You», und doch waren es die intimen Stellen, die berührten. Etwa als Chris Martin ungefähr nach einem Viertel der Show die Fans aufforderte, Schilder hochzuhalten. Offenbar ist das bei Coldplay üblich.

 

Berührend. Stark. «Til Kingdom Come».

 

Aus dem Schilderwald wählte Chris jenes von zwei Mädchen, die mit ihm «Til Kingdom Come» singen wollten. Jetzt ist dieser Song nicht ein pulsierender Hit und eigentlich nicht einmal offiziell, weil «nur» als Hidden Track auf dem Album «X & Y» veröffentlicht, und doch ist er längst ein Fanliebling. Die beiden schüchternen Mädchen und der weltbekannte Sänger, der sie knieend auf der Bühne begrüsste und umarmte, damit sie sich wohl fühlen, sorgten mit der grazilen Nummer und geschmeidigen Emotionen für den berührendsten und stärksten Moment des ganzen Konzerts.

 

Coldplay sind allgemein eine Band, die sich viele Gedanken machen. Das vorletzte Album wurde beispielweise gar nicht betourt, weil Coldplay ökologisch keine Lösung fanden, um den Fussabdruck so einer Stadiontour zu kompensieren. Jetzt ist das Ziel, 50 Prozent des Energiebedarfs selbst zu generieren oder zu kompensieren. So standen im Stadion Fahrräder und ein kinetischer Dancefloor, wo für Energie getrampelt bzw. getanzt werden konnte. Dazu wird für jedes verkaufte Ticket ein Baum gepflanzt. Auf den Screens im Stadion war zu lesen, dass im Yellowstone Nationalpark in den USA aufgeforstet wird.

 

Fotos: Bäckstage / ©Patrick Holenstein

 

Coldplay haben ein Set zusammengestellt, dass kaum Wünsche offen liess. «Viva La Vida» spielte die ganze Band auf der B-Stage, für «Yellow» verwandelten die leuchtenden Armbänder mit steuerbaren Leuchtdioden, die man beim Eingang bekommen hat, das Stadion in ein gelbes Lichtermeer. Bei «Clocks» pulsierten die Lichter in Grün und bei «Hymn For The Weekend» flackerte alles, was flackern konnte, dazu schossen Flammen aus dem Bühnenboden. Ballone flogen von Beginn weg im Stadion umher und im zwischenzeitlich strömenden Regen wurde «Sparks» auf der C-Stage nochmals sentimentaler.

 

Ein grosses Plus bei Coldplay ist aber Chris Martin, der sich selbst nicht so ernst nimmt. «Can i have you Shirt?», las er auf einem Schild und meinte: «Not now, because I’m old an fat». Oder er unterbrach «A Sky Full Of Stars», um das Publikum in erstaunlich gutem Schweizerdeutsch zu bitten: «Mir wänd das Lied nomal spiele. Aber das Mal ohni Kamera. Aber das mal ohni Videoufnahme». Das gefiel im besonders gut, was er kichernd betonte: «My favorite Word in these Language. I don‘t know what it means, but it sounds great.» Der zweite Anlauf des Songs wurde zum überwältigenden Selbstläufer. Um Sir Elton John, der ebenfalls zwei Konzerte am gleichen Wochenende spielte, zu zeigen wie sehr in Coldplay-Fans lieben, widmete ihm Chris Martin – mit passender Sternsonnenbrille – ihm «Your Song». Martin alleine am Keyboard mit einem rund 48‘000 köpfigen Chor. Mit solchen kleinen Ideen veredeln Coldplay oft ihre Gigs. Diese genialen Momente zeigen die Leidenschaft, die Coldplay noch immer auf der Bühne zelebrieren.  

 

Coldplay enttäuschten nicht

 

Oft wird Coldplay der Vorwurf gemacht, zu kommerziell zu sein. Und manchmal kann man sich diesem Vorwurf nicht ganz entziehen. Gerade Songs wie «My Universe», der Zusammenarbeit mit den K-Pop-Superstars BTS, der auch in Zürich zu sehr wie ein mittelmässiger ESC-Song klang, stützen diese These leider. Es fehlt manchmal das feine Songwriting, das Coldplay durchaus besitzen. Wenn die Band kurz danach aber wieder völlig selbstlos mit Alienköpfen auf der Bühne herumturnte oder Chris bei «Something Just Like This» den Text in Gebärdensprache interpretierte, während sein Gesang vom Band kam, sind solche Gedanken schnell wieder weg. Man ist wieder von der einzigartigen Magie und den oft sozialen Gedanken - «Everyone is an Alien Somewhere», steht auf einem Shirt, das Chris trägt - von Coldplay völlig gebannt.

 

Die vier Freunde wissen genau, dass bei einem Konzert von Coldplay die visuelle Erfahrung ein wichtiger Teil ist. Nicht umsonst gelten die bunten Shows als unbedingter Live-Tipp und auf Coldplay ist Verlass, sie enttäuschen in Zürich nicht. Und so erhellten nach gut zwei Stunden Raketen in den Nachthimmel und entliessen das zufriedene Publikum und vielleicht klang die Zeile «Lights will guide you home» noch in den Ohren.

 

Coldplay haben im Letzigrund eine Show geboten, bei der man oft völlig gebannt zuschaute. Dafür steht die Band, dafür wird sie geliebt, das macht sie so gross. Aber die leisen Momente machten das Konzert erst so richtig besonders.

 

Infos zum Konzert

 

  • Act: Coldplay
  • Location: Letzigrund, Zürich
  • Datum: 1. Juli 2023
  • Genre: Pop, Indie
  • Konzertdauer: ca. 2 Stunden

 

Bäckstage Redaktion / So, 02. Jul 2023