Klassik und Elektronik – zwei ungleiche Geschwister

Bäckstage: Klassik vs. Elektronik

Klassische und elektronische Musik wirken auf den ersten Blick fast unvereinbar. Wo soll die Gemeinsamkeit liegen zwischen einem minutiös, mit Hilfe von Blatt und Tinte, durchkomponierten und orchestral aufwendig umgesetzten Werk eines Genies aus dem 15. Jahrhundert und der monotonen, elektronischen, digital und intuitiv zusammengebastelten Tanzmusik, die 2011 die Clubs anheizt? Oberflächlich betrachtet: nirgends. Wenn wir aber genauer hinschauen, so erkennen wir diverse Schnittstellen, an denen sich eine Fusion schon lange vollzogen hat.


Einer der jüngsten Versuche klassische und elektronische Musik zusammenzuführen, ist tonhalleLATE, ein Projekt der Tonhalle Zürich. Hier folgt, an einem Abend, auf die orchestrale Umsetzung uralter klassischer Werke, die Darbietung von elektronischer Tanzmusik durch angesagte Zürcher DJs. Alles was damit aber erzielt wird, ist einzig, dass die Tonhalle wieder einmal markant jüngeres Publikum im Haus hat. Von einer erfolgreichen Fusion der zwei Musikgenres, ist das Projekt weit entfernt. Fast macht sich, einmal mehr, das Gefühl breit, dass die zwei ungleichen Musikrichtungen unvereinbar sind und bleiben. Doch die einzige mögliche Schnittstelle, die hier angegangen wurde, ist die räumliche. Aber einzig räumlich, haben noch nie zwei Genres zusammengefunden. Das bringt uns zur Frage wo denn echte Gemeinsamkeiten zu finden sind, und führt uns unweigerlich zu einem Abtasten der verschiedenen Schnittstellen.

 

Vielleicht sollten wir ganz am Anfang suchen, bei den elektronischen Pionieren, bei Kraftwerk. Die deutschen Experimentalisten haben es sich schon in den 70er Jahren zur Aufgabe gemacht, klassische Ansätze mit elektronischen Geräten zu verwirklichen. Ihre frühen, und weitum populären Werke, zeigen tatsächlich äusserst komplexe Verläufe. Ihre langen Stücke wecken Gefühle, und zeigen ständigen Wandel, und nicht annähernd soviel Repetition und Monotonie, wie der Grossteil der modernen elektronischen Musik.

 

Björk schreibt in ihren Songs eher fragmentale Geschichten

 

 

Diese frühe Art und Verbreitung von elektronischer Musik, zeigt erstaunlichen Tiefgang und fordert einen gemächlichen und intellektuellen Zugang, wie die meisten klassischen Werke, ganz ungleich moderner Tanzmusik, die viel eher die Aufgabe innehat, Menschen zum Tanz und zu einem gemeinsamen Fest zusammenzuführen. Heute gibt es viele Musikgrössen, die ein ähnliches Konzept verfolgen. Björk, zum Beispiel, schreibt mit ihren Songs häufig eher fragmentale Geschichten und zeichnet Gefühlswelten auf, und liefert keine leichte repetitive Kost.

 

Andere Künstler schufen eine ganz andere Brücke in die Vergangenheit. Sie setzten schlicht bereits bestehende Kompositionen, statt mit Orchestern, mit Synthesizern um. Ein gutes Beispiel hierfür ist Herbert Waltl, der mit dem Album „Switched on Bach“ komplexe Instrumentierung auf Sinuswellen aufbaut. Ob solche Umsetzungen jeweils würdige Hommagen sind, dürfte stark umstritten sein. Je länger je mehr können wir aber mit ansehen wie blecherne, hölzerne und besaitete Instrumente immer realistischer und dynamischer von Computern imitiert werden.

 

Die nächste Schnittstelle zwischen Elektronik und Orchestrierung, wird noch nicht lange genutzt. Resampling ist das Stichwort. Was mit praktisch jedem anderen Genre schon lange ausgeschlachtet wurde, fängt bei der Klassik mit der Erfindung immer neuer elektronischer Muiskrichtungen erst an. Drum’n’Bass hat es schon vorgezeigt. Produzenten wie Minus 8 und Badmarsh und Shri, haben in ihre Tracks ganze Orchester eingefügt. Unlängst her hat das grösste Klassik Label Deutsche Grammophon seine Werke für Remixes freigegeben. Dort verbinden jetzt Produzenten wie Carl Craig und Moritz von Oswald klassische Stimmungslandschaften mit technoiden Klangkulissen. Und nochmals von Deutschland kommt die nächste Neuinszenierung, Neoklassik genannt. Der bekannte Produzent Henrik Schwarz orchestriert ganze Housetracks im Rahmen seines neusten Albums „Instruments“. Das deutsche Kammerorchester Berlin spielt die bereits bekannten und auf Computern arrangierten Songs neu.

 

 Filmmusik ist ein Katalysator für die Zusammenführung von Musikstilen.

 

Wenn wir uns etwas von der Komposition lösen, so finden wir weitere unzählige Schnittstellen. Filmmusik ist ein Katalysator für die Zusammenführung von Musikstilen. Für das Erschaffen von stimmungsvollen Soundtracks wurde schon jedes Register gezogen. In diesem Sinn ist jede Geige, die eine klassische Melodie interpretiert, jede simplifizierte Neuauflage der weitbekannten Melodien der grossen Komponisten wie Beethoven oder Mozart ein Bezug zur Klassik. Im Film, wie auch in der Werbung, wurden solche Ohrwürmer immer wieder auch mit Hilfe elektronischer Instrumente neu interpretiert.

 

Viele Schnittstellen lassen sich also finden. Charakteristisch für all diese verschiedenartigen Fusionen ist, dass sie kaum jemals im Mainstream zu liegen kommen, sondern eher als Hintergrund zu tragen oder sich in Randszenen manifestieren. Und dies stellt wohl den grossen Graben dar. Denn die Komponisten aus der Klassik kennt jeder. Zu deren Entstehungszeiten gab es noch keinen Mainstream, in dem die grossartigen Kompositionen schnell versickern hätten können. Die grössten Genies hatten auch den grössten Bekanntheitsgrad inne, und dieses Echo zieht sich bis in die Gegenwart. Hier liegt der grosse Unterschied zwischen Klassik und Elektro-Klassik. Eine markante Kluft zwischen den ungleichen Geschwistern, über die aber etliche Brücken geschlagen wurden, und auch in Zukunft immer wieder geschlagen werden.

Mathias Müller / Do, 29. Mär 2012