Sparky braucht Hilfe: «Start your engines»

DVD-Kritik: Frankenweenie
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Es gibt wohl nur wenige Filmemacher, die so leidenschaftlich für die klassischen Horrorfilme schwärmen wie Tim Burton es tut. Das färbt ab. Der Amerikaner gilt heute als Meister der liebevoll-morbiden und skurrilen Kinounterhaltung. Filme wie «Beelejuice», «Sleepy Hollow» oder «Sweeney Todd» haben seinen Ruf als phantastischer Märchenerzähler zementiert. Ein Stoff hat Burton aber nie losgelassen: Frankenstein. Ob es der Roman oder eine der Verfilmungen war, die Burton geprägt haben, sei dahingestellt. Bereits 1984, damals noch ein junger Regisseur, hat er seine eigene Version der klassischen Geschichte inszeniert und der Kurzfilm «Frankenweenie» gilt bis heute als wichtig im Werk von Burton. 

 

Bild 1: Experiment gelungen, Patient lebt wieder … aber (Bild 2) totgeglaubte Hunde erschrecken die Nachbarin und sorgen für Ärger. (Mit Maus über Bild fahren)

 

Fast dreissig Jahre später hat sich Burton nochmals seiner eigenen Idee angenommen und erzählt die Geschichte als abendfüllenden Spielfilm. Als Stilmittel wählt er wie schon bei «Nightmare before Christmas» und «The Corpse Bride» das Stop-Motion-Verfahren. Die Figuren werden also aufwändig und Szene für Szene minimal bewegt und gefilmt, sodass sich im fertigen Film eine fliessende Bewegung ergibt. Die Geschichte ist schnell erzählt. Victor Frankenstein lebt mit seinen Eltern und dem Hund Sparky in der (wohl) fiktiven Stadt New Holland. Der etwas schrullige Einzelgänger begeistert sich stark für die Wissenschaft und als sein Physiklehrer zu einem Wettbewerb aufruft, ist Victor sofort Feuer und Flamme. Aber sein Vater stellt als Bedingung für die Teilnahme, dass Victor sich zusätzlich sportlich betätigt. Beim ersten Baseballspiel des Juniors ist die ganze Familie samt Hund Sparky dabei. Doch Sparky reisst sich los, folgt dem Baseball und rennt auf die Strasse, wo er von einem Auto überfahren wird. Victor ist untröstlich. Als er wenig später im Unterricht lernt, dass tote Körper noch mit Elektrizität beeinflusst werden können, reift in seinem Kopf ein Gedanke. Er gräbt den toten Sparky aus und holt ihn zurück ins Reich der Lebenden. Aber sein Experiment bringt Neid und Missgunst mit sich, denn seine Mitschüler haben ebenfalls tote Haustiere. Die Sache gerät ausser Kontrolle.

 

Von Vincent Price zu Frankensteins Braut

 

Tim Burton ist ganz in seinem Element und das macht den Film so sehenwert. Es sind die kleinen, liebevollen Details, die im gesamten Film eingeflechtet sind. Das fängt beim Namen der Mitschüler an, Elsa van Helsing zum Beispiel, und zieht sich weiter zum Physiklehrer Mr. Rzyskruski, der optisch klar an Horrorikone Vincent Price angelehnt ist, und endet noch lange nicht bei der Pudeldame im Nachbargarten, die nach einer elektrischen Begegnung mit Sparky die gleichen weissen Strähnen in den Haaren hat, wie Frankensteins Braut im klassischen Horrorfilm. Besonders gelungen ist die Szene, in der Sparky wiederbelebt wird. Sie ist augenscheinlich eine Reminiszenz an das filmische Vorbild «Frankenstein». Dass Tim Burton sich für schwarz/weisse Bilder entschieden hat, ist mit dem Blick auf die Vorbilder nur konsequent. 

 

Der Film ist jedoch mehr als eine Verneigung vor der filmischen Horrorgeschichte. Burton verzichtet nämlich auf den moralischen Zeigefinger und distanziert sich so von der unterschwelligen Moral, die im Vorbild mitschwingt. Denn spätestens, wenn die ganze Stadt zur Hilfe eilt und die Motoren aufheulen lässt, entfernt sich die Geschichte. Burton orientiert sich zwar schon an der bekannten Frankenstein-Thematik, bleibt aber dabei frei, lässt genüsslich Nuancen von anderen Horrorklassikern einfliessen und konzentriert sich in erster Linie auf seinen urtypischen Erzählstil. Die Geschichte darf sich nämlich sehr grosszügig und würdig entwickeln und so bekommen selbst die Nebenfiguren erfreulich viel Tiefgang. Einzig die etwas überstrapazierte Logik könnte als Kritikpunkt gesehen werden, aber wahrscheinlicher ist, dass Burton die Geschichte bewusst etwas überspannt, um einen kleinen Seitenhieb auf die oft fehlende Logik in Horrorfilmen zu platzieren. Kann sein, muss aber nocht. Burton ist halt wie ein Necronomicon mit sieben Siegeln.

 

Bild 1: Der Physiklehrer wirkt wie die Blaupause von Vincent Price. / Bild 2: Edgar kann nicht schweigen und ist so das Damoklesschwert über Victors Experiment. 

 

Als diebisches Vergnügen kann der Film ohne Vorwissen problemlos gesehen werden und die Geschichte ist klar, verständlich und unterhaltsam. Wer aber den Kurzfilm von 1984 kennt, sieht Parallelen, denn Burton nutzt zum Teil exakt die gleichen Einstellungen, Kamerafahrten und Dialogsequenzen. So entsteht der Eindruck, dass der Film so aussieht, wie Tim Burton ihn schon lange im Kopf hatte und es lässt sich nachvollziehen, wie filmisch Burton vor knapp dreissig Jahren bereits gedacht hat. Für alle Interessierten ist auf der Blu-Ray der rund halbstündige Kurzfilm enthalten. Es lohnt sich durchaus, beide Filme zu schauen und zu vergleichen. Detail am Rande ist, dass neben Daniel Stern und Shelley Duvall im Kurzfilm eine gewisse Domino in den Credits auftaucht. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die damals dreizehnjährige heutige Oscar-Gewinnerin Sofia Coppola (Oscar für „Lost In Translation“ 2004).

 

«Frankenweenie» ist eine prall gefüllt Wundertüte voller Anspielungen auf diverse klassische Monsterfilme und für jeden Fan von atmosphärischen Horrorfilmen sicherlich ein absolutes Muss. 

 

  • Frankenweenie (USA 2012)
  • Regie: Tim Burton
  • Drehbuch: Leonard Ripps (Originaldrehbuch 1984), Tim Burton, John August
  • Laufzeit: 87 Minuten
  • DVD/Blu-Ray-Start: 16. Mai 2013

 

Bilder: © 2012 Disney Enterprises. All Rights Reserved.

Patrick Holenstein / So, 12. Mai 2013