Sechs Schweizer 68er blicken zurück auf ihr Leben

Filmkritik: «My Generation»
Bildquelle: 
www.filmcoopi.ch

Die Protagonisten der Doku «My Generation» könnten unterschiedlicher kaum sein. Doch eines haben sie gemeinsam: Sie sind, wie die Filmemacherin Veronika Minder, im Jahr 1948 geboren. Die Generation wuchs in der Nachkriegszeit auf, im revolutionären 1968 wurde sie Zwanzig – und somit volljährig. Genau das richtige Alter, um in der von gesellschaftlichen Umwälzungen durchgeschüttelten Welt durchzustarten.

Nicht alle hatten die gleichen Prioritäten und Voraussetzungen. Das merkt man bei Veronika Minders Porträts ihrer sechs Generations-Genossen schnell. Da wäre der Schlagzeuger Fredy Studer, der immer noch wie in seiner Jugend lange Haare hat (auch wenn sie jetzt grau sind). Er erzählt von einer Zeit ohne Kulturzentren für Jugendliche. So habe man halt Drums und Verstärker nachts im Parkhaus aufgestellt, um Musik zu machen. «Manchmal ist die Polizei gekommen, manchmal nicht», kommentiert Studer lakonisch.

 

In jungen Jahren wild: Willi Wottreng


Auch Willi Wottreng, jetzt bei der «NZZ am Sonntag» tätig, war aktiv: Er schloss sich nach dem Studium einer maoistischen Gruppierung an. Patrizia Habegger-Egli rebellierte früh gegen das Elternhaus. Sie wurde früh schwanger und zog mit ihrem Ehemann und der kleinen Tochter nach Paris. Uschi Janowski ist die Tochter eines dunkelhäutigen US-Soldaten und einer Deutschen. Mit 17 erhielt sie ein Engagement als Tänzerin in Biel – die Zeit in der Schweiz war, wie ihre Kindheit in Deutschland, nicht einfach für sie.

Jean-Pierre Ruder wusste schon früh, dass er Wissenschaftler werden wollte: So verfolgte er zielgerichtet eine akademische Karriere. Ganz und gar un-wild war auch die Jugend von Mary-Christine Thommen-Gilomen. Nach einer einsamen Kindheit heiratete sie früh, um von zu Hause wegzukommen. Schon in jungen Jahren wurde sie Mutter. An einer Demo war sie nie, und was die Jugend damals bewegte interessierte sie wenig. Mary-Christine hatte andere Vorstellungen von Glück als LSD und freie Liebe.

 

Schwierige Jugend: Das Besatzerkind Uschi


Im ganzen Film spielt die 68er-Bewegung nur eine Nebenrolle. Nur ab und zu taucht sie auf. Im Mittelpunkt stehen die Lebenswege der Protagonisten. Und zwar nicht nur ihre Jugend, sondern auch, wie es weiterging – und weitergeht. Die Babyboomer sind jetzt über 60, und damit beschäftigt sie immer mehr auch die Frage der Vergänglichkeit. So wird es erst richtig spannend, wenn wir sehen, wie es mit den Porträtierten nach ihrer Jugend weiterging. Wie kommt etwa Patrizia mit dem Altern klar, die sagte: «Älter als 45 wollte ich auf keinen Fall werden»? Wie kam Willi aus dem Loch heraus, in das er fiel, als er die maoistische Gruppierung desillusioniert verliess? Besonders nah geht das Schicksal des Besatzerkindes Uschi: Sie lebte ein Leben, geprägt von der Suche nach der eigenen Identität. Dabei verlief auch ein hoffnungsvoller Afrika-Besuch enttäuschend; Dort wurde das «Negerkind», wie man Uschi hier nannte, als Weisse beschimpft.

Veronika Minder setzt die Erzählenden in den Mittelpunkt. Ab und zu gibt es eine Aufnahme aus deren Jugend, seltener bewegte Bilder, die damals in den Nachrichten zu sehen waren. Eine Stimme aus dem Off gibt es nicht, kein einziges Mal hört man, wie die Filmemacherin in einem Gespräch eine Frage stellt. Der Film ist ein Kaleidoskop aus verschiedensten Lebenswegen, Meinungen, Erwartungen, Enttäuschungen, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eines, das durch die Nähe zu den Protagonisten bewegt und berührt.

 

  • My Generation
  • Drehbuch & Regie: Veronika Minder
  • Länge: 93 Minuten
  • Kinostart: 29. März

 

Lunchkino Specials mit Regisseurin, Crew und Darstellern:

Bern: 25. März, 12.00 Uhr, cineBubenberg

Zürich: 26. März, 12.15, Arthouse Le Paris

Roman Rey / Di, 20. Mär 2012