Leben und lieben in der Mongolei

Moviekritik: City of Wind
Bildquelle: 
©trigon-film.org

Wir sind als Einstieg in den Film als Gast bei der Zeremonie eines Schamanen. Er trägt eine Art zotteliges Kostüm, aufwändig verziert und eindrücklich gestaltet. Das Gesicht verhüllt, beginnt der Schamane die Geister zu beschwören, um einem Nachbarn im Kampf gegen die Alkoholsucht des Sohns beizustehen. Tiefbeindruckend, wie der Schamane dem alten Mann Hoffnung zu geben vermag. Da tut jemand etwas für das Seelenheil der Gesellschaft in der Mongolei. Als sich das Zelt geleert hat, schlüpft der Schamane aus seiner Maske und der 17-jährige Ze kommt zum Vorschein. Der junge Schamane aus der Gegend um die mongolische Hauptstadt Ulaanbaatar scheint sich in der geistlichen Rolle wohlzufühlen. Für ihn ist das eine kleine Oase, denn der Alltag in der Mongolei nicht einfach. Von der strengen Lehrerin über nervende Mitschüler bis zum Zusammenleben mit der Familie, besonders mit der pubertierenden Schwester. Für die Gemeinschaft muss Ze eine Art geistigen Beistand verkörpern, seine Gabe zur Verfügung stellen, und in der Schule soll er gute Noten schreiben, um eine Karriere zu machen und muss dabei die Lehrerin fürchten, die das Schulsystem symbolisiert und schon mal Schüler vor der Klasse beleidigt. So trudelt der junge Mann hin und her.

 

«Vielleicht bist du ein Terminator-Zombie»

 

Eines Tages dreht sich seine Welt überraschend auf den Kopf. Er soll für Maralaa, die kranke Tochter einer Freundin der Mutter, spirituellen Beistand leisten, weil sie eine Herzoperation vor sich hat. Das kranke Mädchen zweifelt jedoch an ihm, nennt ihn klar einen Betrüger. Er beginnt dagegen von ihr zu träumen - explizit zu träumen. Er besucht Malaraa im Krankenhaus, nennt sie scherzhaft «Terminator», weil sie ein neues Herz hat. Langsam reisst der schüchterne Junge ihre Schutzmauer aus einem guten Schuss spitzzüngigem Sarkasmus und übertrieben coolen Sprüchen nieder und verliebt sich in die faszinierende Maralaa. Er beginnt die Schule zu schwänzen, um ihr nahe zu sein. Sie werden ein Paar, verbringen viel Zeit zusammen und streifen durch Ulaanbaatar, verewigen sich kichernd auf einer Gedenkstätte, die voller Sprüche ist, ziehen durch die Clubs, knutschen. Nach etwas Herumalbern in einem Laden fliehen sie rennend, woraus Maralaa ihren Zé bitte, ob er ihr Herz anhört. Er hört aber nichts und meint: «Vielleicht bist du ein Terminator-Zombie».

 

Es ist besonders schön zu sehen, wie die beiden jungen Aussenseiter, die durch ihre individuelle Lage benachteiligt sind, sich gegenseitig guttun und wie sie aufblühen. Zé lebt in einer bescheidenen Hütte mit seiner Familie, Maralaa etwas besser gestellt in einem Haus. Bei den Liebenden spielt das aber keine Rolle. Sie verbringen den Alltag gemeinsam, färben Maralaa die Haare, um ihre Mutter zu schocken. Dazu kommen viele erste Erfahrungen wie verkrampfter erste Sex. Dass der Film diese Themen nicht umschifft, aber stilvoll und gefühlvoll thematisiert, ist eine grosse Stärke des Films.

 

Fotos: ©trigon-film.org

 

In erster Linie ist «City of Wind» eine zeitlose, universelle Liebesgeschichte, die so überall auf der Welt passieren könnte. Junge trifft Mädchen, verliebt sich, verschiebt seine Prioritäten. Durch diesen rationalen Ansatz entwickelt sich, eine leise, aber hoffnungsvolle Geschichte zweier sozialer Aussenseiter. Ze als der Tradition verpflichtete Schamane, Malaraa als kranke Teenagerin, zeigen, dass das Glück jederzeit um die nächste Ecke biegen kann. Es ist diese unkomplizierte, aber universelle Botschaft, die dem Film sein pochendes Herz verleiht und es ist genau diese Message, die einen rasch in den Film zieht und mit den beiden typischen Teenies umarmt. Es ist eine kleine, unspektakuläre Geschichte, wie sie nur das Leben schreibt und vermag sie letztlich zu berühren.

 

Die Regisseurin lässt Bilder sprechen, und verwebt sie mit kühler Realität.

 

Aber die mongolische Regisseurin Lkhagvadulam Purev-Ochir nutzt die beiden jugendlichen Charaktere bewusst auch, um das Leben junger Menschen in der Mongolei zu beleuchten. Sie haben viel Druck, müssen den Familien und der Gesellschaft standhalten und sollen dabei noch lächeln. Die junge Frau, die heute in Lissabon lebt, weiss es genau, sie hat es selbst erlebt. Dazu kommt der Spagat zwischen Tradition und Moderne. Im Film manifestiert durch das Thema Spiritualität bzw. den Schamanismus und die Technik, wie die allgegenwärtigen Smartphones, die natürlich für den Konsum nicht jugendfreier Filmchen und dem damit verbundenen Angeben in der Schule genutzt werden. Diesen Punkt macht Purev-Ochir geschickt klar. Sie nutzt dafür eine zurückhaltende Narration, lässt lieber die Bilder sprechen, und verwebt sie mit kühler Realität. Wenn etwa Ze und Malaraa erstmals Sex haben, ist das nicht eine filmische Explosion wie oft im Kino, sondern nicht so richtig der Hit, jedenfalls suggeriert das der Ausdruck in ihrem Gesicht. Es wäre leicht, hier mit Nacktszenen zu schockieren oder eine kitschige, heile Welt zu konstruieren. Der Film nutzt lieber die Metaebne und leitet aus nicht ganz so tollen Erfahrungen die Essenz ab, dass sie trotzdem gut sind, weil man sie gemeinsam macht. Diese rationale, wenig beschönigende Inszenierung macht den Film so glaubwürdig.

 

Wichtig für die intensive Erfahrung sind die beiden Hauptfiguren: Ze wird vom Laiendarsteller Tergel Bold-Erdene gespielt, Malaraa von Nomin-Erdene Ariunbyamba verkörpert, die Schauspiel im letzten Jahr studiert. Entsprechend unterschiedlich waren ihre Arbeitsweisen. «Nomin hatte das Selbstvertrauen und die Erfahrung, die Tergel fehlten, und so entstand eine Spannung zwischen den beiden, die kaum zu überwinden war», sagt Regisseurin Lkhagvadulam Purev-Ochir. Tergel versuchte seine fehlende Erfahrung mit Witzen zu überspielen, was Nomin störte, weil sie professionell arbeiten wollte. Die Regisseurin entschloss sich irgendwann, diese Spannung zu nutzen, weil sie der Meinung war, dass sie gut funktioniert. Diese Gegensätze scheinen in die Rollen eingeflossen zu sein, was nicht nur authentisch wirkt, sondern dem Film eine durchaus realistische Aura verleiht.

 

«City of Wind» ist Gefühlskino ohne übertriebene Story. Im Grunde treiben die Liebenden durch ihre Stadt und geniessen die gemeinsame Zeit in vollen Zügen. Das wir sie dabei begleiten, mitlachen und -fühlen dürfen, ist wunderbar und macht den Film zu einem leisen, aber eindrücklichen Vergnügen, das einlädt, das Leben von jungen Menschen in der Mongolei zu entdecken.

 

  • City of Wind (Mongolei, 2023)
  • Regie: Lkhagvadulam Purev-Ochir
  • Drehbuch: Lkhagvadulam Purev-Ochir
  • Besetzung: Tergel Bold-Erdene (Ze), Nomin-Erdene Ariunbyamba (Maralaa), Anu-Ujin Tsermaa (Oyu), Bulgan Chuluunbat (Zes Mutter), Ganzorig Tsetsgee (Zes Vater), Myagmarnaran Gombo (Nachbar), Tsend-Ayush Nyamsuren (Maralaas Mutter)
  • Laufzeit: 104 Minuten
  • Kinostart: 4. Juli 2024

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 03. Jul 2024