Land of Dreams

Moviekritik: Land of Dreams
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©cineworx

Werke, die performativ zu verkörpern versuchen, was sie inhaltlich behandeln, können unseren Horizont erweitern. «The Father »von Florian Zeller versetzt uns in die Perspektive eines Man-nes, der an Demenz leidet. Michel Gondrys «Eternal Sunshine of the Spotless Mind» versetzt uns zeitweise in die Welt von Kindheitserinnerungen. «Memento» von Christopher Nolan zeigt uns, wie es sich anfühlen könnte, ganz ohne Langzeitgedächtnis zu leben. Ari Asters «Mid-sommar» öffnet uns an einigen Stellen die Tür zur Welt der Wahrnehmung unter dem Einfluss psychedelischer Drogen. In all diesen Beispielen wird Kontinuität und visueller Realismus zu Gunsten einer akkurateren Darstellung einer subjektiven Erfahrung beeinträchtigt.

 

Die Balance zwischen Realismus und subjektiver Projektion ist nicht leicht durchzuführen. «Land of Dreams» von Shoja Azari und Shirin Neshat möchte uns einen Einblick in die Perspektive von Träumen geben. Die Handlung gibt vor, sich um die junge iranstämmige Simin zu drehen, die in einer skizzenhaft umrissenen Zukunft für ein Zensusbüro Individuen nach ihren Personaldaten und Träumen befragt. Als privates Hobby verkleidet sie sich dann wie die befragten Subjekte und beschreibt die geschilderten Träume auf Farsi. Im Anschluss lädt sie Videos von diesen Ausführungen auf eine iranische Plattform hoch.

 

Der Film ist selbst durchzogen von traumähnlichen Motiven. Die selbe Schauspielerin wird beispielsweise für zwei verschiedene Rollen eingesetzt, ohne dass dies direkt thematisiert oder erklärt wird. Die Hauptdarstellerin spielt eine apathische Frau, die keine durchgängig einheitliche Persönlichkeit oder nachvollziehbare Motivationen aufweist. Gleichzeitig wird das Träumen (auch hier auf verschiedenen Ebenen) kritisch hinterfragt. Der Traum Amerikas als ein reines und – ironischerweise – von Einwanderer:innen freies Land wird dem Traum der USA als Land der Möglichkeiten für Immigrant:innen gegenübergestellt.

 

Das Skript vermag es immer wieder, Komplexitäten metaphorisch auf den Punkt zu bringen. So sagt eine Figur beispielsweise, ihre lateinamerikanische Haushälterin träume nicht mehr, seit sie in den USA angekommen sei. Diese Doppeldeutigkeit des Begriffs Traum wird im Film auf mehreren Ebenen aufgenommen. In den Zuschauenden hallen Konzepte aus dem kollektiven Bedeutungsraum «Traum» nach, wie Martin Luther Kings Rede oder die kontemporäre Allgegenwärtigkeit des Begriffs «woke» und nicht zuletzt die Träume, welche Simin interpretiert und auf Social Media hochlädt. Die Kritik an der übertriebenen Staatskontrolle, auf die der Film hinweist, ist allerdings nicht ganz zeitgemäss. Wir leben in einer Zeit, in der der Staat stetig an Bedeutung verliert. Unsere Daten werden überwiegend von US-Amerikanischen Tech-Unternehmen gesammelt, von denselben Personen, die für den Abbau des Staates plädieren.

 

Gleichzeitig findet der Film nicht in einen eigenen Rhythmus. Die überwiegend statischen Bilder, gepaart mit dem beschriebenen Surrealismus, führen zu einer ständigen Entfremdung mit dem Material. Das mag intendiert und als perpetueller Aufwach-Effekt vom Werk beabsichtigt sein; als Erlebnis führt es dennoch dazu, dass die Immersion und der Faktor der Unterhaltung leidet. Die Musikwahl ist zuweilen so unpassend gewählt, dass man nicht einzuschätzen vermag, ob sie zur Satire gehören soll oder nicht.

 

Dennoch oder gerade deswegen muss man die beiden Regisseur:innen loben: Sie wagen viel und erreichen einiges. Der kafkaeske Charakter der Geschichte wirkt eindrücklich auf die Zuschauenden. Interessanterweise und im Unterschied zu Kafka ist das Subjekt hier Teil der Ma-schinerie, Simin arbeitet für den Staat – ohne selbst genau zu wissen, was der Zweck ihrer Tätigkeit ist. Auch das klingt wie aus einem Traum, auch das wird nicht aufgelöst.

 

Müssen Filme zwingend immersiv sein? Eine Figur spricht irgendwann aus, wie man sich bei der Sichtung fühlt: «Wide awake in this Land of Dreams».

 

Ein Film, der nie richtig in Fahrt kommt. Azari und Neshat werfen interessante Fragen auf und fordern ihr Publikum heraus – aber gelingt es ihnen?

 

  • Land of Dreams (USA/Deutschland/Katar 2021)
  • Regie: Shirin Neshat
  • Drehbuch: Shirin Neshat, Shoja Azari, Jean-Claude Carrière
  • Besetzung: Sheila Vand, Matt Dillon, William Moseley, Isabella Rossellini, Christopher McDonald, Anna Gunn, Robin Bartlett, Gaius Charles, Joaquim de Almeida, Nicole Ansari, Mohammad B. Ghaffari
  • Laufzeit: 113 Minuten
  • Kinostart: 24. November 2022

 

Jonas Stetter / Do, 24. Nov 2022