Die Wiedervereinigung von Science und Fiction

Movie-Kritik: Interstellar
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© 2014 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Witwer und einstiger Vorzeigepilot/Ingenieur Cooper (Matthew McConaughey, «True Detective») muss sich als Bauer abrackern, um seine Familie durchzubringen. Längst hat die Menschheit die Erde zu Grunde gerichtet und darf im besten Fall darauf hoffen, den Erstickungstod zu sterben ehe ihr die letzten Lebensmittel ausgehen. Da stösst der Farmer des Nachts auf eine geheime Einrichtung, wo die Letzten der NASA unter der Ägide von Professor Brand (Michael Caine, «The Dark Knight») heimlich an einem Flug durch ein neuerlich entdecktes Wurmloch werkeln. Die Ressourcen der dahinter liegenden Welten könnten dem drohenden Untergang wehren. Draufgänger Cooper sieht die Chance, seinen Lebenstraum als Sternenerkunder zu verwirklichen und der Menschheit Rettung zu bringen, aber noch sind nicht alle Aspekte des Unterfangens ausgefeilt. Sollte er sich auf interstellare Reisen begeben, sieht er seine Kinder womöglich nie wieder …

 

Eigentlich hätte Steven Spielberg den Film leiten sollen, doch beschäftigt wie er seit längerem als Produzent von Scifi-Serien der infantilen Art ist, schmiss er 2007 hin. Also schlug Drehbuchautor Jonathan Nolan (Schöpfer von «Person of Interest») seinen Bruder für den Regiestuhl vor, immerhin hatte Jonathan schon fast alle Drehbücher für dessen Filme mitverfasst. Christopher sagte zu und lieferte, was von ihm erwartet werden durfte. Er verzichtete weitgehend auf Green Screen, sondern liess beispielsweise das Raumschiff-Cockpit originalgetreu nachbauen und projizierte davor Aufnahmen des Weltalls auf Leinwände (Der entstandene Realismus steht der Crew ins Gesicht geschrieben). Wieder wandte er sich an Ausnahme-Komponist Hans Zimmer und liess ihn den Soundtrack quasi im Blindflug schreiben - eine ergreifende ätherische Untermalung, fernab vom mittlerweile abgegriffenen «Inception»-Sound. Und wie schon in «The Dark Knight Rises» wird uns die geballte Präsenz von fünf Oscar-Preisträgern zuteil. Neben genannten Darstellern sind da noch Anne Hathaway («Les Miserables») als Tochter des Professors, Ellen Burstyn als Coopers Tochter im Alter, und eine weitere preisgekrönte Persönlichkeit, deren Identität hier nicht enthüllt werden soll. 

 

 Bild 1: Cooper muss sich mit der Trennung von seiner Tochter arrangieren, denn (Bild 2) er geht auf eine Reise in fremde Welten. (Mit Maus über Bild fahren.)

 

Eine besonders wichtige personelle Entscheidung war die Verpflichtung von Physiker Kip Thorne als wissenschaftlicher Berater. Es heisst, dass niemand die Schwerkraft besser versteht, und Thornes Theorien und Überlegungen machte sich einst der grosse Carl Sagan für seinen Roman «Contact» zunutze – in dessen Verfilmung McConaughey bereits mitspielte. Doch schon vor seinem Bestseller setzte sich Sagan 1980 mit der TV-Sendung «Cosmos» ein Denkmal, die der breiten Öffentlichkeit erstmals die Wunder des Universums mit wissenschaftlichen Fakten und (für damals) atemberaubenden Effekten präsentierte. Erst Anfang 2014 wurde die Sendung von Seth MacFarlane und Neil deGrasse Tyson neu verfilmt und machte die Astrophysik dank grosszügigem Budget einmal mehr in all ihrer Pracht fassbar. 

 

Es ist genau diese Qualität, die «Interstellar» ebenfalls auszeichnet. Zu lange war das Kino-Weltall Superhelden, arglistigen Aliens und Mondlandungslügnern vorbehalten. Nolan dagegen geht auf der Grundlage modernster Erkenntnisse der Frage nach, was bei der Erstürmung des Weltalls technisch denk- und machbar ist. Dabei soll die lange Laufzeit von fast drei Stunden, bei der pro Minute eine knappe Million Dollar verfeuert wurde, nicht abschrecken, denn nach genau einer Dreiviertelstunde ist der Countdown vollendet und ein zweistündiger, irrer Trip in eine weit entfernte Galaxie beginnt. Wir werden Zeugen atemberaubender Phänomene und mitreissender Handlungswendungen. Gewiss sind auch einige unwahrscheinliche Zufälle zu monieren, doch das kommt hin, wenn auf so grosser Leinwand gepinselt wird. 

 

 Bild 1: Amelia und Cooper sind auf der Suche nach einer Rettung für die Erde und (Bild 2) müssen dabei schon mal in schwierigen Situationen bestehen. 

 

Hier beschwören keine Staatsoberhäupter Gott und Vaterland, hier wütet kein Gut gegen Böse, woran kleine Horizonte Anstoss durchaus nehmen könnten. Der rettende Engel ist in diesem Abenteuer die Wissenschaft, die bis an ihre Grenzen gehen, das Unmögliche erreichen muss, und obwohl sich viel um Technik und Physik dreht, besitzt der Film eine tief berührende Emotionalität. Weil es im Kern um eine Vater/Tochter-Beziehung geht. Weil wir uns als Zivilisation mit ganzer Kraft in jene Sackgasse bewegen, aus der die Figuren auszubrechen suchen. Für dieses Genre und den Ernst der Lage eher unüblich, gibt es aber immer wieder frische Momente, etwa dank geschliffenen Dialogen oder dem kratzbürstigen Droiden TARS, der vier aneinander rotierenden Minor-Prügeli nachempfunden wurde.

 

In seinem neuesten Werk scheut Christopher Nolan nicht den harten Weg, um die grossen Fragen zu stellen. Er, der nie eine Filmschule besuchte, zeigt uns einmal mehr, was Kino kann – und mitunter sollte. Manch Astronaut stellte bestimmt schon fest, dass jeder Mensch die Erde mal von aussen gesehen haben sollte. Denn es verstärkt das Bewusstsein dafür, dass wir alle dieselbe Kugel bewohnen und unsere durch heiligen Zorn aufgebauschten Differenzen nichts weiter als erbärmliche Kleinlichkeiten sind. Dass das Miteinander stets mehr erreicht als das Gegeneinander. Oder wie es US-Präsident Eleanor Roosevelt einst formulierte: Der kleine Mann redet über andere. Der gewöhnliche Mann redet über Geschehnisse, doch es ist die Auseinandersetzung mit Ideengut, die grosse Männer (und Frauen) macht.  

 

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Kurzkritik:

Für Scifi-Fans: Nolan gelingt meisterliche Mischung aus «2001», «Inception» und «Gravity».

Für Film-Fans: Nolan gelingt Film des Jahres.

Für Nolan-Fans: Nolan gelingt bester Film seiner Karriere.

 

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  • Interstellar, USA, UK (2014)
  • Regie: Christopher Nolan
  • Drehbuch: Christopher Nolan und Jonathan Nolan
  • Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Michael Caine, Jessica Chastain, Casey Affleck
  • Laufzeit: 169 Minuten
  • Budget: ca. 165 Millionen US-Dollar
  • Deutschschweizer Kinostart: 6. November 2014

 

Bilder: © 2014 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Mike Mateescu / Di, 04. Nov 2014