Die Bestie Mensch

Serien-Kritik: Fear The Walking Dead S02
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Impuls Film

Ein Moment der Ruhe. Der Pazifik, eine Luxusyacht und fast die ganze Patchwork-Gemeinschaft aus der ersten Staffel ist am Leben. Die Gruppe um Madison, Travis und ihre Kinder versucht mit den Ereignissen aus Staffel 1 abzuschliessen und damit klar zu kommen, dass eine mysteriöse Krankheit den Grossteil von Los Angeles in willenlose und fleischsüchtige Zombies verwandelt hat. Die Yacht von Mitstreiter Victor scheint die Rettung. Doch der hat eigene Pläne. So landet die Gruppe in Mexiko und sieht sich neuen Gefahren gegenüber. Bandenkriege geisseln die Überlebenden, Drogen sind die Währung und nur mit Kreativität überlebt man. Aber auch Knatsch innerhalb der Gemeinschaft wird immer intensiver. 

 

«Ich bin unsichtbar» 

 

Die Staffel wurde im Pay-TV in zwei Teilen ausgestrahlt. Zuerst sieben Episoden, einige Monate später dann die restlichen acht. Darum hat die Staffel einen ersten dramaturgischen Peek in der Mitte der Staffel, der die Gruppe spaltet. Es sind «philosophische Gedanken light». Was gibt dem Mensch das Recht, einen Zombie zu töten? Wie geht man mit den Beissern um? Wie weit geht die Würde von Lebewesen? Ex-Junkie Nick ist für solche Fragen völlig offen. Seine Familie nicht unbedingt. Im Laufe der ersten sieben Folgen beginnt Nick die Infizierten zu studieren und scheint sich langsam in die Zombies einzufühlen. Das führt zu Diskussionen innerhalb der Gruppe der Überlebenden. Nick hält sich für unantastbar, weil er mit infiziertem Blut verschmiert unter den Zombies laufen kann, ohne gebissen zu werden. «Ich bin unsichtbar», erklärt er seiner fassungslosen Mutter. Die beiden Menschen könnten in dem Moment nicht weiter von einander entfernt sein. Es ist eine Schlüsselstelle in der zweiten Staffel von «Fear The Walking Dead». 

 

Der Ex-Junkie Nick verlässt enttäuscht die Gruppe, weil ihm der Respekt im Umgang mit den Zombies fehlt. Für ihn sind es keine Monster, sondern ehemalige Menschen. Also irrt er alleine über die Landstrassen von Mexiko, auf der Suche nach sich selbst und nach seinem Glauben. Das Thema Glaube ist in der zweiten Staffel sowieso sehr präsent. Zwischenzeitlich verlässt auch Travis seine Frau Madison und seine Stiefkinder, um Sohn Chris zu folgen, der völlig verstört nach einem feigen Angriff abgehauen ist. Der Rest der Truppe versucht derweil zum Boot zurück zu gelangen, findet aber nur einen Hammerschlag, der sie umdenken lässt. Die Geschichte ist also Mitte der Staffel so offen wie nie zu vor.  

 

Egoistisch in der Apokalypse 

 

Natürlich sind die Zombies nach inzwischen sieben Staffeln «The Walking Dead» und zwei Staffeln des Spin-Offs etwas in den Hintergrund getreten. Sie sind zwar noch da und als unterschwellige Bedrohung stets zu spüren, inzwischen wissen die Menschen aber, wie sie zu «erlösen» sind. Viel spannender sind inzwischen die Menschen, die selbst in der Apokalypse so egoistisch handeln, das man ungläubig den Kopf schüttelt. Allerdings sind es meist Momente, in denen Überlende Hilfe brauchen, sie aber verweigert bekommen, nur weil die Angst vor Fremden mitschwingt. Das hat erschreckend viel mit der Realität und der grassierenden Fremdenfeindlichkeit zu tun. Das Kino - und inzwischen auch das Fernsehen - war schon immer ein Spiegel des Zeitgeistes. Doch was, wenn plötzlich unter zwei Dutzend Überlebender, die Zuflucht suchen, und die einem egal sind, ein Familienmitglied steht? Sind Überlebende dann auf einmal in zwei Kategorien unterteilt, Menschen zweiter Klasse quasi. Ja, ein grosses Thema der zweiten Staffel von «Fear The Walking Dead» sind die menschlichen Schwächen. Da ist der Soziopath, der auch über Menschen richtet, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Mutter als moralischer Kompass, der mal mehr und mal weniger stark ausschlägt. Und das Helden-Duo Nick und Travis, das unabhängig und zur Hälfte Messias-like seinen Weg geht. Travis sucht seinen Sohn und handelt dabei immer moralisch einwandfrei, während sich Nick als Lebenskünstler aus mehreren brenzligen Situationen rettet, ohne sich untreu zu werden. 

 

Die zweite Staffel von «Fear The Walking Dead» konzentriert sich noch stärker auf die zwischenmenschliche Ebene, lässt zwar schon früh etwas nach, um kurz vor dem Mid-Season-Break nachzuladen. Die Sprengkraft, die sich danach entlädt, bringt allerdings so viele narrative Ebenen, dass die Serie bis zum Schluss spannend bleibt. Aber als Quintessenz bleibt nach den 15 Episoden der zweiten Staffel, dass inzwischen nicht mehr die Zombie die «Monster» sind. Am Ende ist bei «Fear The Walking Dead» eigentlich doch der Mensch die Bestie. 

 

Hoffnungslosigkeit. Moralischer Zerfall. Eiskalter Mord. Glaube als zentrales Thema. «Fear The Walking Dead» kehrt mit einer breiten Palette an menschlichen Emotionen zurück und macht damit narrativ eine spannende Wendung. Und dann sind da noch schwimmende Zombies. 

  • Fear The Walking Dead - Staffel 2 (USA 2016)
  • Darsteller: Kim Dickens, Cliff Curtis, Frank Dillane, Alycia Debnam-Carey, Colman Domingo, Mercedes Mason
  • Laufzeit: ca. 660 Minuten
  • Veröffentlichung: 3. November 2016

 

Patrick Holenstein / Mo, 07. Nov 2016