Wenn Blicke töten könnten

Serien-Kritk: How To Get Away With Murder
Bildquelle: 
ABC Studios

Der Gerichtssaal ist ein hartes Pflaster. Das weiss Star-Anwältin und Dozentin Annalise Keating bestens. Darum packt sie die Studierenden noch eine Spur härter an. Sie startet einen Konkurrenzkampf  in ihren Kursen und stellt jedes Jahr die besten fünf Anwärter ein, um während des Studiums bei verschiedenen Fällen zu helfen. Doch die «Creme de la creme» hat leider auch den Nachteil, dass sie egoistisch, narzisstisch und hormongesteuert ist. Aber das macht den Reiz der Serie aus und spiegelt gleichzeitig die zwar brillante, aber emotional unterkühlte Annalise Keating. 

 

Als dann die blutjunge Emily tot aufgefunden wird und Keating den Fall übernimmt, ohne zu wissen, wie persönlich die Geschichte werden würde, will sich jeder der ehrgeizigen Anwärter beweisen. Ein Fight um die Gunst der Chefin beginnt. Dabei schiessen die fünf Studis zu Beginn komplett über das Ziel hinaus, decken aber mit zunehmender Erfahrung immer mehr kleine Details auf, die den Fall übersichtlicher machen, aber auch die Wahrheit ans Licht bringen. Stellt sich nur die Frage, ob das alle Beteiligten wollen. Denn da gibt es ja noch einen Toten und wie heisst der Titel noch? «How To Get Away With Murder»

 

Der Reiz der Serie liegt nicht zuletzt in der Darstellung von Annalise Keating. Viola Davis («The Help») wurde dafür völlig zurecht mit einem Prime Time Emmy ausgezeichnet. Die zweifach Oscar nominierte Schauspielerin ist ein wahrer Glückfall für die Serie und verkörpert die nach aussen stets Contenance bewahrende Anwältin, die alle Emotionen in sich schluckt, mit viel Leidenschaft und bei ihr kommt der Ausdruck «Wenn Blicke töten könnten» auf ein ganz neues Level. Oft drückt sie mit nur einem Blick mehr Gefühle aus, als es Wort zu tun im Stande wären. Neben Davis sind die Frischlinge in ihrer verbissenen Naivität ein amüsanter Aspekt der Serie. Vielleicht ein Begriff ist Matt McGorry, weil er in «Orange Is The New Black» einen Gefängnisaufseher spielt, der sich in eine Gefangene verliebt. Für Fans der «Gilmore Girls» gibt es ausserdem ein Wiedersehen mit Liza «Paris» Weil. 

 

Dran bleiben lohnt sich 

 

Im Gegensatz zu «Grey’s Anatomy», dem Flaggschiff im Universum rund um Produzentin Shonda Rhimes, ist «How To Get Away With Murder» deutlich komplexer. Das heisst nicht, dass der Handlung schwer zu folgen ist, aber die Narration springt immer wieder zwischen Zeitebenen und liefert so nach und nach Hintergründe. Verpasst man also mal eine halbe Folge, ist die Gefahr gross, dass ein, zwei Teile für das Mosaik, das die Serie auslegt, fehlen. Das ist für eine von Rhimes produzierte Serie nicht unbedingt typisch, aber wohl dem Fakt geschuldet, dass sie hier nicht als Autorin federführend ist. Das Spiel um Wahrheit und Vertrauen, stammt nämlich von Autor Peter Nowalk. Er hat zuvor für «Scandal» oder «Grey’s Anatomy» geschrieben. Hier darf er seine Kreativität voll entfalten lassen und dafür wird man mit einer packenden, verworrenden und befriedigenden Story belohnt. 

 

Neben dem Staffel übergreifenden Fall gibt es immer wieder «Case of the week»-Folgen, in denen die Entwicklung der jungen Studierenden im Studium und dem Gerichtstaal aufgezeigt wird und die dazu dienen, die Beziehungen unter den Figuren zu konkretisieren. Aber im Endeffekt schleift jede Folge gezielt am Mysterium, das während der 15 Folgen der ersten Staffel in der Luft schwebt. Das ist zwar greifbar, aber bis zum Schluss ist die Lösung nicht offensichtlich. Bei «How To Get Away With Murder» spielt vieles auf der Meta-Ebene. Das macht die Serie zu einem Vergnügen, wenn man dran bleibt. Denn Anfangs stösst Keating mit ihrer Art durchaus ab. Mit der Zeit wird sie aber sehr differenziert charakterisiert und es entsteht eine faszinierende Figur. Die Nebenhandlungen werden ohne grosse Umwege direkt in der ersten Folge ausgelegt und von Folge zu Folge deutlicher, bis sich im Finale alle Stränge verbinden. 

 

Die Staffel endet mit einem Cliffhanger, der die zweite Staffel massgeblich dominieren wird, und mit zwei Aussagen von Personen, denen nach den Ereignissen der ersten Staffel so überhaupt nicht getraut werden kann. Autor Peter Nowalk macht damit etwas, was Hitchcock schon beherrscht hat: er gibt dem Zuschauer Informationen, die den meisten Figuren im Serien-Universum fehlen. Dadurch erzeugt er Spannung und weckt Erwartungen an das, was noch kommt. 

 

Annelise Keating ist vielleicht die faszinierendste Anti-Helden-Figur seit Dr. House. Moral? Kennt sie zwar, ist ihr aber manchmal egal. Gerade darum funktioniert die Serie, um eine Frau, die weiss, wie man mit Mord davon kommt, so hervorragend.

 

  • How To Get Away With Murder (USA 2014)
  • Drehbuch: Peter Nowalk
  • Darsteller: Viola Davis, Alfred Enoch, Liza Weil, Aja Naomi King, Matt McGorry, Katie Findlay, 
  • Laufzeit: 15 Episoden à ca. 41 Minuten
  • Verkaufsstart: 22. Oktober 2015
Patrick Holenstein / Di, 27. Okt 2015