Der einbeinige Ski-Fahrer aus Kolumbien

Filmkritik und Interview: Kaio Kathriner
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© Tanja Lipak

Filmemacher Kaio Kathriner kommt ursprünglich aus der Schweiz, ist aber in Kanada aufgewachsen. Wie der Protagonist seines Shnit-Publikumslieblings «Refuge in the Rockies». In Kaios Dokumentarfilm lernen wir Anderson Losada kennen, der als kleiner Junge in Kolumbien Opfer einer Landmiene wurde, als an einem Tag nicht nur er, sondern auch seine Schwester durch die gleiche Miene zu Halbinvaliden wurden. Von der kanadischen Flüchtlingshilfe aufgenommen, wächst Anderson in einem ländlichen Schneesport-Ort auf, der einem Dorf im Schwarzwald ähnelt. Obwohl die Kolumbianer rein äusserlich so gar nicht in dieses Ski-Dorf passen, leben sie sich rasch ein und nehmen an den örtlichen Sportaktivitäten teil. Anderson wird sogar zu einem begnadeten Ski-Fahrer und verpasst den Einzug für die Paralympics für Kanada aus einem rein bürokratischen Grund: Er besitzt die kanadische Staatsbürgerschaft nicht und kann diese als Minderjähriger nicht beantragen, solange seine Mutter, die nur gebrochen Englisch spricht, diese nicht zuerst beantragt und erhält. Senator Oh, selbst Sohn von Immigranten, nimmt sich Andersons Situation an und kämpft für die Einbürgerung gut integrierter Minderjähriger.

 

«Refuge in the Rockies» berührt und ermutigt uns zusammen für eine gute Sache einzustehen und zu kämpfen. Filmemacher Kaio Kathriner besuchte im Rahmen des Kurzfilmfestivals Shnit nicht nur Bern, sondern auch seine Schweizer Verwandtschaft. Für ein Gespräch mit Bäckstage nahmen er und seine Freundin Danielle Galgoczy sich trotz ihres vollen Terminkalenders kurz Zeit. Danielle half Kaio insbesondere beim Einreichen des Films an diversen Festivals.

 

Kaio, fühltest du dich Anderson und seiner Geschichte stärker verbunden, weil du selbst euch nach Kanada immigriert bist?

 

Kaio: Ich fühlte mich sehr mit dem Thema des Films verbunden, da ich selbst auch aus einer Immigrantenfamilie stamme. Mir selbst fiel der Übergang von der Schweiz nach Kanada sehr leicht, da ich alles hatte, was ich brauchte und Hilfe beim Lernen der Sprache erhielt. Aber Anderson stammt aus dem Dschungel, er erlebte traumatische Schmerzen in der Kindheit mit dem Minen-Unfall, seine Mutter war alleinerziehend mit sechs Kindern. Dies hat mich stark berührt.

 

Wie bist du auf Anderson aufmerksam geworden?

Kaio: Ein Jungendfreund von mir hat mich mit Shoanna bekannt gemacht. Sie hilft Flüchtlingen bei der Umsiedelung nach Kanada. Insbesondere bei der Umsiedelung von Flüchtlingen aus ländlichen Gegenden in ländliche kanadische Gegenden. Dies ist für die Hilfesuchenden viel besser als das laute Stadtleben, das sie sich nicht gewohnt sind. Sie war mir eine grosse Inspiration und Stütze während der gesamten Produktion. Es war wichtig, zuerst ihr Einverständnis zum Film zu erhalten und danach jenes von Anderson.

 

Was die grösste Herausforderung und was war das lohnendste Erlebnis am Film?

 

Kaio: Es ist ein Dokumentarfilm und du musst mit dieser Story arbeiten, die vor dir liegt. Du kannst den Gang der Geschichte nicht kontrollieren und beeinflussen. Du musst jene Informationen und Elemente auswählen, die der Erzählung der Geschichte dienen, auch wenn andere ebenfalls spannend sind. Da ich insbesondere zwei Elemente vermischte, Andersons persönliche Geschichte und die Gesetzeserneuerung betreffend Minderjähriger Immigranten, musste ich grosse Abwägungen machen. Bei der Auswahl eines Doku-Themas ist es sehr wichtig, einen guten Erzählstrang, Storybogen, zu finden, der funktioniert. Und wenn du deinen Film als ganzes Stück siehst und merkst, dass all die einzelnen Szenen ein schönes Ganzes ergeben, das ist ein lohnendes Erlebnis.

 

Danielle: Ich denke aber auch, dass die Gesetzesänderung eines der grössten Errungenschaften dieses Filmes ist. Und einer deiner grössten Herausforderungen war es den neuen Entwicklungen zu folgen, die sich mit den Gesetzesänderungen entflochten haben und deine ursprüngliche Vision der Geschichte zu verlassen, da sich nun die Realität schneller veränderte.

 

Ihr habt also beim Dreh gar nicht gewusst, wie das ganze ausgehen wird?

 

Danielle: Wir haben es erhofft. Kaio brachte den Trailer zum Film ins Parlament und präsentierte dort Andersons Geschichte, dies half, dem ganzes Schwung zu verleihen.

 

Kaio: Der neue Gesetzesentwurf kam in eine «Fast Track»-Behandlung, weil das Problem hoch aktuell war. Die Politiker mussten es so rasch wie möglich ändern. Wir als Filmemacher mussten dann wiederum unsere Geschichte anpassen und zeigen, wie Andersons Geschichte unter vielen anderen diesen neuen Gesetzesentwurf beschleunigt hatte. Wir waren dann mehr als nur Change-Agents.

 

Danielle: Als Filmemacher träumst du davon, einen Impact auf die Gesellschaft zu erwirken und dass unser Film so weit gekommen ist, ist unglaublich.

 

Kaio: Es ist für mich immer noch nicht fassbar und zu verstehen, wie ich durch den Film mitgeholfen habe, die Leben von tausender Minderjähriger zu verändern. Wir werden diese Kinder nie kennenlernen, aber es ist schön zu wissen, etwas bewegt zu haben. Zuerst ging es natürlich darum, Aufmerksamkeit für den Film zu erhalten, deshalb ging ich auf Senator Oh zu. Der Rest war eine Mischung aus Glück, Zufall und gutem Timing. Zuerst habe ich mir auch überlegt, ein Video mit Senator Oh zu machen, aber dies wäre aus zeitlichen und finanziellen Überlegungen dann doch zu viel gewesen. Seine Meinung konnten wir durch die Parlamentsaufnahmen wiedergeben. Als Kanadier haben wir das grosse Glück, Zugriff auf alle Parlamentssitzungen zu erhalten. Jeder Bürger kann online gehen und diese Aufnahmen nutzen, das ist unser Recht als Kanadier.

 

Danielle, wie einfach ging die Einreichung des Filmes bei den Festivals?

 

Danielle: Es war viel Arbeit. Festival-Einreichungen benötigen viel Zeit, viel Geduld und viel Geschriebenes. Viele Spread Sheets, die es auszufüllen galt. Aber es hat sich gelohnt, wir durften den Film an vielen verschiedenen Festivals zeigen. Die Reaktionen waren sehr wohlwollend. Die Zuschauer unterstützen unsere Sache auf allen Ebenen.

 

Kaio: Was wichtig anzumerken ist: du musst deine Festivalausgaben gut planen in deinem Filmbudget. Es ist keine günstige Angelegenheit. Wenn dein Film keine Gewinne einfährt oder über die Vorführungen Geld generiert, dann hast du viele Ausgaben.

 

Das Budgetieren von Festivals ist also genauso entscheidend wie jenes der Produktion selbst?

 

Danielle: Genau. Mir waren die Kosten nicht bewusst.

 

Kaio: Ausser bei Shnit. Shnit gehört einer Plattform an, mit sehr günstigen Einreichungsgebühren. Dies ist super und viel fairer als bei anderen Festivals.

 

Und nun da ihr den Publikumspreis abgeräumt habt, investiert ihr das Geld ins nächste Projekt?

 

Danielle: Mit dem Gewinn wird es sicher einfacher, das nächste Projekt zu starten. Aber wir werden sicher auch einen Teil an Shoanna und ihre Flüchtlingshilfe spenden. Gewinnen macht schon sehr viel Freude. Und insbesondere, dass es den Schweizer Publikum gefallen hat.

Super, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Kaio Kathriner und Danielle Galgoczy

 

Tanja Lipak / Mo, 28. Okt 2019