Geschichten von weit gereisten Hüten am «Züri Littéraire»

Rastlose Wortkünstler zum Saisonabschluss
Endo Anaconda – er besingt grosse und kleine Miseren des Alters.
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Zwei Männer mit Kopfbedeckung betreten die Bühne. Der eine mit Schiebermütze, der andere mit einem klassischen braunen Herrenhut. Die Kopfbedeckung als Markenzeichen – aus ihrem Träger soll sie ein Individuum machen. Dass unter den Hüten dieser beiden Herren jedoch viel mehr steckt als eine scheinbar oberflächliche Unverwechselbarkeit, haben sie schon in vielerlei Hinsicht bewiesen. Als Wortkünstler, die in ihrem Leben schon einiges durchmachen mussten, nutzen sie die Sprache als Werkzeug, um Vergangenes zu bewältigen und dem Publikum ihre Geschichten näher zu bringen. Endo Anaconda und Andreas Altmann sind für diese Saison die beiden letzten Gäste des «Züri Littéraire».

 

Seine Lieder leben durch die Texte. Auf seinem neusten Album «Böses Alter» besingt Endo Anaconda mit seiner unverwechselbar rauen Stimme die grossen und kleinen Miseren des Alters. Geschichten aus dem Alltag, scheinbare Belanglosigkeiten, schildert er mit seinem typischen Humor. Auch im Kaufleuten bringt er das Publikum zum Lachen, als er einen Songtext über eine Frau vorliest, die neben ihm im Bett liegt und schnarcht. Als Kalten Krieg im Schlafzimmer bezeichnet er diese Szene, in der die Dame ihn vom Schlafen abhält.

 

Ich las, was eigentlich verboten war.

In seiner Jugend verbrachte Anaconda mehrere Jahre in einem katholischen Internat für Schwererziehbare. «Das war eine trostlose Existenz – Bücher waren die einzige Möglichkeit, dieser zu entfliehen. Ich las alles, was da eigentlich verboten war, beispielsweise Bücher von Charles Darwin und Karl May», erzählt Anaconda über seine Schulzeit. Als junger Mann kompensierte er dann dieses «Eingesperrtsein», indem er viel reiste. «Warst du ein Rucksacktourist? », will Mona Vetsch wissen. «Nein, ich war ein Hippie, oftmals ging es auch darum, ungestört Drogen zu konsumieren», entgegnet er. Durch Afghanistan und Nepal reiste er auf abenteuerliche Weise und mit sehr wenig Geld in der Tasche. Zweimal musste ihn seine Mutter gar abholen, weil ihm unterwegs das Geld ausgegangen war. «Als ich aus Nepal mit Gelbsucht zurückkam, habe ich mir geschworen, dass ich erst wieder in Entwicklungsländer reise, wenn ich mir Fünf-Sterne-Hotels leisten kann», sagt Anaconda.

 

Ich wollte Frauen vor einer Heirat mit mir schützen.

Auch Andreas Altmann ist viel gereist. Der deutsche Reiseschriftsteller hat schon die abgelegensten Orte der Welt entdeckt. «Warum hat deine Reiselust nie nachgelassen? », will Röbi Koller wissen. «Weil ich dadurch Frauen vor einer Heirat mit mir schützen wollte», sagt er schmunzelnd. Er sei nie der sesshafte Typ gewesen. «Ich mag es, Dinge zu kaufen, die am nächsten Tag meinen Körper wieder verlassen, jedoch nicht Besitztümer, die man abstauben muss oder in einem Ständer aufbewahren kann», beschreibt er seine Rastlosigkeit. Dank seinem Bestseller «Das Scheissleben meiner Mutter, das Scheissleben meines Vaters und meine eigene Scheissjugend» wurde er auch in der Schweiz bekannt. «Mein Verlag nennt es inzwischen nur noch das Scheiss-Buch», meint Altmann. «Doch der Titel ist fair, weil er den Leser darauf vorbereitet, was ihn erwartet», betont er. Altmann beschreibt darin seine durch physische und psychische Gewalt geprägte Jugend.

 

Sein Vater, der ihn unter dem Deckmantel einer katholischen Erziehung täglich mit Schlägen züchtigte und seine Mutter, die nur hilflos zusehen konnte und selbst zum Opfer der väterlichen Gewalt wurde, machten ihm seine Kindheit zur Hölle. Mit 19 Jahren brach er aus. Er probierte sich in verschiedensten Berufen, unter anderem als Schauspieler, als Chauffeur oder als Anlageberater. Seine Berufung – das Schreiben – entdeckte er erst mit 38 Jahren. Ohne falsche Bescheidenheit schickte er eine Reportage ans GEO-Magazin, die dann auch abgedruckt wurde.

 

«Wherever I lay my hat thats my home» , so lautet ein Songtitel von Marvin Gaye. Die Kopfbedeckungen der beiden Gäste sind ebenfalls weit gereist und haben viel erlebt. Die Träger der Mütze und des Hutes liessen  mit ihren Geschichten das Publikum des «Züri Littéraire» an ihren Erlebnissen teilhaben. Interessante Gäste und deren Geschichten werden die Literaturfans sicherlich auch in der neuen Saison nach der Sommerpause erwarten.

Regina Schneeberger / Mi, 10. Apr 2013