«Der Witz ist die Waffe der Wehrlosen»

Jüdische Witze und schummrige Halbwelten
Bildquelle: 
http://www.herrmeyer.ch/wolkenbruch-in-den-medien/

Einblicke in geschlossene Gesellschaften – mit diesem geheimnisvollen Versprechen lockte das «Züri Littéraire» letzten Montag die Gäste gleich scharenweise ins Kaufleuten. Thomas Meyer, Autor des Erfolgsromans  «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» und Valentin Landmann, bekannter Milieuanwalt, diskutierten über jüdische Witze und schummrige Halbwelten. Moderiert wurde der Anlass von Mona Vetsch und Röbi Koller.

 

«Jeden ersten Montag im Monat mit Mona und Röbi», so begrüsst Mona Vetsch das Publikum und bringt damit zum Ausdruck, dass der Besuch des «Züri Littéraire» für viele bereits zum Ritual geworden ist. Mit dem Thema Rituale wird dann auch die Diskussionsrunde eröffnet. Auf die Frage, was er denn mit Weihnachten verbinde, kommt Landmann die Begegnung mit einem süddeutschen Hells Angel in den Sinn. Mit seinem weissen Bart sehe dieser aus wie der Weihnachtsmann. «Wenn mich der umarmt, kommt ein Gefühl auf wie Weihnachten», meint Landmann. Auch Thomas Meyer feiert Weihnachten und nicht Hanuka, wie anfänglich von Röbi Koller vermutet.


Das Buch ist nichts für strenggläubige Juden

 

Generell sehen sich Meyer und Landmann als sehr liberale Juden. Ganz anders als der Protagonist aus Thomas Meyers Roman. Der Student Mordechai Wolkenbruch wächst in einer orthodox jüdischen Familie auf. Seine strenggläubige Mame hütet ihn wie ihren Augapfel und bemüht sich, ihrem Sohn eine passende Frau zu finden. Bei Motti stossen diese Verkupplungsversuche jedoch nicht auf grosses Interesse. Dies liegt daran, dass die ihm vorgestellten Frauen alle so sind wie seine Mutter, schwatzhaft und mit einem grossen Tuches (jiddisch für Hintern). Eines Tages stellt Motti fest, dass er sich mehr für Schicksen (nichtjüdische Frauen) interessiert, insbesondere für seine hübsche Mitstudentin Laura.

 

Warum Thomas Meyer eine Geschichte über eine Welt schreibe, von der er so weit entfernt sei, will Mona Vetsch wissen. «Ich habe glücklicherweise gute Quellen», antwortet Meyer. Freunde seiner Mame hätten ihm beratend zur Seite gestanden. Zudem ist eine Figur des Buches nicht ganz frei erfunden. So hat nämlich Oma Wolkenbruch, welche er als starrsinnig wie ein israelischer Armeebuldozer beschreibt,  so einiges mit seiner eigenen Grossmutter gemein.

 

Dass eine Geschichte über orthodoxe Juden, gespickt mit scharfzüngigem Humor, in gewissen Kreisen nicht auf Anklang stösst, verwundert kaum.  Meyer wollte seinen Roman einem strenggläubigen Juden zu lesen geben. Dieser fand jedoch schon den Titel blöd und weigerte sich, auch nur die erste Seite zu lesen. Auch aus weniger orthodoxen Kreisen hat es teilweise wohlgemeinte Kritik gegeben. So habe seine Mutter viele Mails mit den Worten: «Liebe Vera. Das Buch war sehr lustig, aber… », erhalten, erzählt Meyer. 

 

Landmann liest im Gerichtssaal gerne mal im «Lustigen Taschenbuch»

 

Valentin Landmann fand Meyers Buch sehr erfrischend und bedauert, dass jüdische Witze heute nicht mehr so verbreitet sind. Seine Mutter hat 1955 ein Buch mit jüdischen Witzen veröffentlicht, um diesem Trend entgegenzuwirken. Das Werk wurde eine Million Mal verkauft. Landmann sieht den Witz als Waffe der Wehrlosen und verweist damit auf den Holocaust. «Heroische Macht ist etwas Brüchiges, den Witz kann man einem jedoch fast als Letztes wegnehmen», betont er. Auch Landmann hat eine humorvolle Seite. Fast immer dabei hat er eine Ausgabe von «Das Lustige Taschenbuch». Darin blättert er auch gerne mal, während seine Gegner im Gerichtssaal ihr Plädoyer halten.

 

Doch nicht nur den Humor hat ihm seine Mutter mitgegeben. Dass man sich für die Schwächeren einsetzen sollte, hat er ebenfalls von ihr gelernt. So verteidigt er immer wieder Aussenseiter der Gesellschaft. Nebst Prostituierten und den Hells Angels hat er auch schon Rechtsextreme vor Gericht vertreten. Auf die Frage Röbi Kollers, weshalb er als Jude eine Band von Neonazis vertreten habe, meint Landmann: «Ich versuche stets beide Seiten zu sehen.» Bei den vermeintlich rechtsextremen Bandmitgliedern habe es sich nur um Mitarbeiter hinter der Bar gehandelt. «Es ist kein rechtsextremes Vergehen, eine Bratwurst zu braten», betont Landmann.

 

Die Diskussionsrunde endet schliesslich mit der Frage, wie es denn nun mit Motti weitergehe und ob es eine Fortsetzung von Meyers Roman gebe. Thomas Meyer meint dazu: «Der Schluss ist zwar offen, doch haben bereits viele Fortsetzungen stattgefunden durch das, was sich die Leser ausmalen – ich will dies nicht zunichte machen. » Für diejenigen, die von Mottis Abenteuern noch nicht genug bekommen haben, gibt es jedoch ein kleines Trostpflaster: Die Verfilmung des Buches ist bereits in Planung.

 

Regina Schneeberger / Do, 10. Jan 2013