Wenn das Vergessen die eigene Identität auslöscht…

Movie-Kritik: Still Alice
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© Frenetic Films

Es ist ein glückliches Leben, das  Dr. Alice Howland (Julianne Moore, «Maps to the Stars», «Carrie») führt. Sie unterrichtet Linguistik an der renommierten Columbia University in New York. Die Beziehung zu ihrem Mann John (Alec Baldwin, «Blue Jasmine», «Wenn Liebe so einfach wäre») und den drei erwachsenen Kindern Anna (Kate Bosworth, «Superman Returns», «Blue Crush»), Tom (Hunter Parrish, «Wenn Liebe so einfach wäre») und Lydia (Kristen Stewart, «Twilight»,-Reihe «Snow White and the Huntsman») ist liebevoll. Diese Idylle wird allerdings gestört, als Alice Veränderungen in ihrem eigenen Verhalten feststellt. Zuerst ist es nur ein Wort, das ihr bei einem Vortrag entfällt, das sie noch professionell-charmant überbrücken kann. Doch als sie beim Joggen auf dem Unigelände die Orientierung verliert, geht sie zu einem Neurologen, der ihr nach einigen Tests eine erschütternde Diagnose stellt. Alice leidet an einer genetisch bedingten, seltenen Art von frühem Alzheimer. Der Schock sitzt tief, aber so schnell will Alice nicht aufgeben. Mit Wortspielen, Gedächtnisübungen und Fragen, die sie auf ihrem Smartphone speichert, versucht sie die Leistung ihres Gehirns so lange wie möglich zu erhalten. Der geistige Verfall schreitet allerdings in einer beängstigenden Geschwindigkeit voran und Alice muss sich nun mit dieser Tatsache arrangieren und sich wohl oder übel ihrer Familie stellen. 

 

 

Alice verzweifelt manchmal fast an ihrer Krankheit, aber sie kämpft. 

 

«Still Alice» ist ein leiser, kleiner Film, der den Fokus auf seine Hauptfigur legt. Die Thematik ist keine leichte Kost, doch der Film funktioniert durch die einfühlsame Herangehensweise der Regisseure Richard Glatzer und Wash Westmoreland («Quinceañera»), die den Bestsellerroman «Mein Leben ohne Gestern» der Neuro-wissenschaftlerin Lisa Genova für die Leinwand adaptiert haben. Ihre Entscheidung sich auf die subjektive Wahrnehmung der Hauptfigur zu konzentrieren, verleiht der Geschichte eine Spannung, die anders nicht zu realisieren gewesen wäre. 

 

Die intime Kameraführung, die immer nahe bei Alice bleibt sowie die detaillierte Beobachtung der Alltagshandlungen, die so selbstverständlich sind, aber im Laufe des Films zu immer grösseren Herausforderungen werden. Die vielen kleinen Schritte einer Routinetätigkeit wie Tee kochen oder ein Gericht zubereiten, verdeutlichen auf eindrückliche Weise, dass Alices Welt wie ein zerstörtes Puzzle in seine Einzelteile zerfällt, die sie aber immer weniger in der Lage ist wieder richtig zusammenzusetzen. Die Subjektivität, die der Film durch Tiefenschärfe und Nahaufnahmen herstellt, erleichtert den Zuschauern den Zugang zur Protagonistin. Es ist kein Mitleid, sondern vielmehr Empathie, die geweckt wird. Alice wird nicht zum Opfer degradiert, welches passiv das ihr zuteil gewordene Schicksal über sich ergehen lässt. Gezeigt wird eine selbstbewusste, intelligente Frau, die trotz der Aussichtslosigkeit ihre Lage, alles in Bewegung setzt, um das Endgültige hinauszuzögern.

 

 

Ihr Mann John ist Alice beim Kampf eine grosse Stütze. 

 

Natürlich trägt auch Julianne Moore durch ihre nuancierte Darstellung der Alice zu diesem Eindruck bei, weshalb sie zu Recht mit dem Golden Globe und dem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Es gelingt ihr besonders, den fortschreitenden Verfall der Figur auf überzeugende Weise rüberzubringen ohne übertrieben theatralisch oder sentimental zu wirken. Ihre Angst, Wut, Verzweiflung, aber auch die glücklichen Momente mit ihrer Familie lassen sich deshalb sehr gut nachvollziehen. Ganz besonders eindrücklich ist vor allem die Orientierungslosigkeit, in der sich Alice immer mehr befindet. Dieses beklemmende Gefühl, das in so einer Situation entsteht überträgt sich beim Zuschauen auf beängstigende Weise.

 

Letztendlich ist dem Regie-Team mit «Still Alice» ein Film gelungen, der durch die glaubwürdige Figurenzeichnung und seine subjektive Erzählweise den Zuschauer fesselt und zum Nachdenken anregt.

 

  • Still Alice (USA/Frankreich 2014)
  • Regie & Drehbuch: Richard Glatzer und Wash Westmoreland
  • Darsteller: Julianne Moore, Alec Baldwin, Kristen Stewart, Kate Bosworth, 
  • Laufzeit: 99 Minuten
  • Kinostart: 5. März 2015

 

Sule Durmazkeser / Di, 03. Mär 2015