Schreihals auf Abwegen

Filmkritik: Nachtlärm
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T & C Film

Mit der Ankunft des Babys beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Diese ernüchternde Feststellung müssen auch Livia (Alexandra Maria Lara, «Control», «Small World») und Marco (Sebastian Blomberg, «Hotel Lux», «Die Gräfin») machen. Seit Sohn Tim auf der Welt ist, sind schlaf- und sexlose Nächte zur Norm geworden. Der neunmonatige Schreihals will nicht ruhig werden, ausser wenn eine Spritztour im alten Golf unternommen wird, dann wird Tim nämlich erst leise und schläft ein. Während so eines nächtlichen Ausfluges muss die Mama dann einmal aufs Klo und der Papa will schnell Zigaretten kaufen. Schlechte Idee, denn der Kleinkriminelle Jorge (Georg Friedrich) und sein Date Claire (Carol Schuler, «Liebe und andere Unfälle») klauen kurzerhand den Golf samt Baby Tim. Voller Panik stehlen dann wiederum Livia und Marco einen Mercedes und fahren ihrem Sohnemann hinterher. Eine unvergessliche Irrfahrt durch abgelegene Schweizer Ortschaften beginnt.

 

 Tim hält alle auf Trab

 

Regisseur Christoph Schaub («Happy New Year») und Erfolgsautor Martin Suter sind ein gutes Team, dass haben sie zumindest mit ihrem Überraschungshit «Giulias Verschwinden» bewiesen. Nun kommt mit «Nachtlärm» die lang ersehnte zweite Zusammenarbeit der beiden ins Kino. Die Erwartungen waren hoch und die Story vielversprechend. Mit Maria Alexandra Lara konnte zudem eine international anerkannte Schauspielerin für die Hauptrolle gewonnen werden. Wird «Nachtlärm» den Erfolg seines Vorgängers nun wiederholen oder gar toppen können? Das könnte sich als schwierig erweisen. Trotz der guten Ausgangslage schafft der Film es nämlich nicht durchgehend zu überzeugen. Schnell wird klar, warum Tim sich zu einem Schreikind entwickelt hat: Die Eltern machen’s vor. Livias und Marcos Beziehung stand vor dem Aus, mit einem Kind wollte sie die Partnerschaft retten, er wusste aber, dass vor solchen Plänen bereits in Frauenzeitschriften gewarnt wird. Tim kam dennoch zur Welt und zwischen seinen Eltern hat sich seit dessen nicht viel verbessert, sondern eher alles verschlechtert.

 

Das Drehbuch verliert hier leider an Schwung. Livia ist die nonstop schlechtgelaunte Mutter, welche ihrem Partner immer und immer wieder Vorwürfe macht. Währendessen ist Marco der liebevolle Vater, welcher trotz stressigem Job und sexlosen Nächte seiner Freundin immer zur Seite steht und die Beziehung aufrechterhalten will, auch wenn sie nicht mehr daran glaubt. Dies wäre an und für sich nicht schlecht, wenn mit dem Verlauf der Geschichte sich etwas ändern würde, doch da passiert nichts. Livia hat während der mitternächtlichen Odyssee zwar eine unschöne Begegnung mit einem Fremden, wird dadurch ruhiger, aber in ihren Grundzügen bleibt sie die gleiche. Marco hingegen ist der optimistische, sympathische junge Daddy, der sein Kind retten will und sich deshalb auch charakterlich nicht gross verändern muss. Gleiches beim Gangsterpärchen. Jorge droht zwar immer wieder dem kleinen Tim etwas anzutun, wechselt ihm aber, wenn’s sein muss, auch liebevoll die Windeln, inklusive Eincremung. Eine interessante, humorvolle Wendung, die viel verspricht, aber nach welcher sich ebenfalls nichts ändert. Die Figuren deuten ihr Potential wiederholt an, fallen mit dem Verlauf der Story aber leider doch immer tiefer ins Tal der eindimensionalen Stereotypen. So kann Carol Schulers Charakter Claire plötzlich Arien singen und kennt sich mit klassicher Musik aus, gleichwohl wird nie aufgelöst wie eine derart talentierte junge Frau als Escortdame eines Kleinkriminellen endet.

 

 

 

Es ist schade, dass die Macher nicht einen Schritt weiter gegangen sind, um uns die interessanten und überraschenden Charakterzüge ihrer Protagonisten zu erklären. Den Mut, einen für die Schweiz eher untypischen Film zu machen, hatten sie sie ja bereits. So spielt «Nachtlärm» nur in der Nacht, die meisten Szenen finden im Auto statt - inklusive nervigem Navigationsgerät: «Sie haben ihren Zielpunkt nun erreicht». Genretechnisch schwenkt der Film zudem irgendwo zwischen Komödie und Gangstermovie mit viel Blut. Somit war eigentlich alles vorhanden für einen erneuten Kinohit. Es scheint fast so, als wäre der Wunsch, einen wiederholten Erfolg zu landen dafür verantwortlich, dass es keiner wird. Im Film wird Hochdeutsch gesprochen und ¾ der Darsteller stammen nicht aus der Schweiz. Wohl der Versuch, den Film in Deutschland und Österreich zu vermarkten. Ironischerweise nimmt man dem Film dadurch jene Exotik weg, die er der Schweiz gibt. Schliesslich ist die Eidgenossenschaft nicht für ihre dunklen Roadmovies bekannt. Die meisten Straftaten, welche in Filmen mit der Schweiz in Verbindung gebracht werden, sind üble Finanzgeschäfte. Ausserhalb vom Paradeplatz gibt es die Schweiz in Filmen nur als Heidis Spielwiese. Und genau dort befindet sich das Wirkungsfeld für «Nachtlärm», welches traurigerweise nicht genutzt wird. Es ist zudem fraglich, ob das Publikum in Deutschland oder Österreich überhaupt merkt, wo sich die Handlung ereignet. Es bleibt zu hoffen, dass das Schweizer Dreamteam Schaub & Suter daraus lernt und einen dritten Versuch startet. Potential ist ja da.

 

 

  • Nachtlärm (CH / DE 2012)
  • Regie: Christoph Schaub
  • Drehbuch: Martin Suter
  • Besetzung: Alexandra Maria Lara, Carol Schuler, Sebastian Blomberg, Georg Friedrich, Andreas Matti
  • Laufzeit: 94 Minuten
  • Kinostart: 30. August 2012

 

Bäckstage konnte die Darstellerin Carol Schuler zu einem Interview treffen. Das Gespräch gibt es hier.

Tanja Lipak / Di, 28. Aug 2012