Schnellschuss in der Bubblewelt

ZFF 2023: Moviekritik zu Early Birds
Bildquelle: 
© 2023 Ascot Elite Entertainment.

Es hätte ein Fest werden können. Michi Steiner, der Michael Bay der Schweiz (das meine ich liebevoll), auf dem Regiestuhl. Die Zürcher Langstrasse als Haupthandlungsort. Sex, Drogen, Äktschn, Gewalt und Verrat. Eine erlesene Auswahl an Darstellerinnen sowie Netflix als Partner. Eine Geschichte, die wie eine Zeitreise in die Neunziger wirkt, weil sie theoretisch ohne Handys und Internet ausgekommen wäre. Aber leider wurde auch hier wieder offenbar an der falschen Stelle geknausert. Die WGA lässt höflich grüssen.

 

Der Film baut nämlich auf einem kaum durchdachten Drehbuch mit nervigst klischierten Figuren auf, und auch die Ausstattung hat den Wecker falsch gestellt. Da befinden sich zwei komplett unterschiedliche Wohnungen in ein und demselben Haus. Einmal ein obszön grosses Apartment mit Betonwänden, das so wirkt, als hätte man einen Rohbau wahllos mit Möbeln gespickt. Und ein Stockwerk tiefer sind die Wohnungen komplett mit Holz ausgekleidet. Diesen Widerspruch können alle Drogen der Welt nicht versöhnen.

 

Aus Gründen

 

Im ersten Apartment gibt es eine Schiesserei, und aus Gründen marschiert die Polizei mit einem Sonderkommando auf, obwohl es keine Hinweise auf besorgte Zeugen gibt und die Beamten nicht wissen können, welche Wohnung sie stürmen sollen. Während eine der beiden Heldinnen zunächst am Zutritt zu selbiger Liegenschaft gehindert wird, spaziert sie kurz darauf mit der zweiten Hauptfigur off camera ins Haus, und nur Minuten später klingelt der ermittelnde Kommissar, der eben noch lustlos den Tatort inspizierte und kaum wissen kann, dass sie den ermordeten Nachbarn kennt. Dennoch lässt seine Attitüde keinen Zweifel, dass er sie im Verdacht hat. Soweit so suspekt.

 

Ebenfalls aus Gründen wissen die Antagonisten stets, wo sich unsere zwei Heldinnen gerade aufhalten. Dies geschieht ganze drei Male, und wird nie erklärt. Und das ist nicht die einzige Spannungserzeugung per Brechstange. Einmal springt eine der Heldinnen aus dem Fenster ihrer Wohnung auf den eigenen Balkon, um die Regenrinne hinabzuklettern, statt einfach direkt auf ihren Balkon zu treten. Rose aus «Wicked Little Letters» würde jetzt brüllen: «Gimme f*cking strength!»

 

Where the snark at?

 

Es wurde moniert, dass Teile der Dialoge unverständlich seien. Steiner dichtete diesen Kritikern im Q&A vor der Aufführung grinsend einen Hörschaden an. Aber ich trage eine Brille, kein Hörgerät, bin des Schweizerdeutschen Herr und sass mit zunehmendem Nackenschaden in der siebten Reihe. Tatsächlich ist mindestens ein Fünftel der Dialoge reinstes Nuscheln. Ohne englische Untertitel hätte ich keine Chance gehabt, obwohl es da eigentlich nichts zu verpassen gab. Die Dialoge bemühen über weite Strecken eine anbiedernde Pseudo-Jugendsprache, die nicht gut altern wird. Legit, Dude, ich schwör’!

 

Die beiden Heldinnen der Geschichte. (©hugofilm features Pascal Walder.jpg / © 2023 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.)

 

Aber kommen wir zu den Figuren. Anatole Taubman liefert wie gewohnt, und auch Nilam Farooq, eine der beiden Heldinnen, weiss das Publikum trotz mittelmässiger Figurenzeichnung mit ihrer Verletzlichkeit an sich zu binden. Bei ihrer Kollegin, Silvana Synovia, dauert’s leider etwas länger. Fast durchgehend muss sie den bissigen Girl Boss mimen und darf erst im letzten Viertel zu Hochform auflaufen – was eindeutig den Präferenzen der Autoren geschuldet ist. Man will uns partout nicht verraten, weshalb sie auf Bewährung ist, und das dient der Nachvollziehbarkeit ihrer Charaktere nicht. Denn mit ihrem Getue setzt sie ihre Bewährung und damit den Zugang zu ihrem Sohn derart dummdreist aufs Spiel, dass wir keine Gefühlsregung verspüren, wenn sie Krokodiltränen über selbiges Kind vergiesst. Daher überrascht es nicht, dass die männlichen Figuren fast ausnahmslos Drecksäcke sind. Pardon mein Französisch, aber ich musste es auf gut Deutsch sagen. Dieser Trope gehört endlich zu Grabe getragen. Immerhin: Das Finale und die allerletzte Szene treffen mitten ins Schwarze, aber zu diesem Zeitpunkt ist man emotional längst nach Narnia migriert.

 

Vom Aufbau und der Logik folgt «Early Birds» dem Motto der bisherigen vier Züri-Tatort-Folgen: Was interessieren mich die Ereignisse vorangegangener Szenen? Von diesen selbstgefälligen Machwerken hebt sich der Film eigentlich nur durch Steiners geschickte Bildsprache und seinem Gespür für Licht und Komposition ab. Mit einem Budget von vier Millionen wäre dies eine weitere Chance gewesen, der Welt zu zeigen, wozu Schweizer Filmemacher in der Lage sind. Und dieses Potential ist unbestreitbar vorhanden! Aber was nützt alles Talent vor und hinter der Kamera, wenn nicht endlich Autorinnen und Autoren verpflichtet werden, die wissen, wie man einen gescheiten Krimi schreibt? Nun, ich wüsste da ein paar Namen.

 

Viel Spektakel, wenig Substanz und noch weniger Nuancen. Die engstirnigen Lebensvorstellungen der Autorinnen und Autoren hindern die solide Besetzung leider fast gänzlich daran, ihre Figuren soweit zu entfalten, dass wir mit ihnen mitfühlen können. Oder anders gesagt: Der frühe Vogel fängt den Wurm – aber wer frisst schon gerne Würmer?

 

  • «Early Birds» – CH 2023
  • Regie: Michael Steiner
  • Besetzung: Anatole Taubman, Silvana Synovia, Nilam Farooq, Dimitri Stapfer u.a.
  • Laufzeit: 97 Minuten
  • Kinostart: 12. Oktober 2023

 

Mike Mateescu / Mo, 02. Okt 2023