Kurzkritiken zu Filmen am Zurich Film Festival 2023

Kurze Reviews zu Filmen beim ZFF 2023
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© Ascot Elite /

 

«SLOW» von Marija Kavtaradze

 

Elena ist zeitgenössische Tänzerin, Dovydas Gebärdensprachdolmetscher, der eine ihrer Kurse für Gehörlose übersetzt. Die Chemie stimmt vom ersten Moment an. Der Haken: Dovydas ist asexuell. «SLOW» ist eine Rom-Com, bei der es nicht darum geht, wann und wie sie zusammen kommen oder Sex haben, sondern eine darüber, ob und wie sie zusammen bleiben. Ein klarer Publikumsliebling am Zurich Film Festival, der seine Zuschauenden alle paar Minuten mit Lachern versorgte.

 

Die beiden sympathischen Hauptdarsteller brillieren und man möchte nie den Blick von ihnen wenden, ja man bangt um ihre Beziehung bis zum Schluss. Die litauischen Regisseurin Marija Kavtaradze hat mit «SLOW» nicht nur den ersten fiktionalen Film über Asexualität geschaffen, sondern auch eine der schönsten Liebesgeschichten eingefangen, die mitten ins Herz trifft. Dies zeigten die liebevollen Rückmeldungen und interessanten Diskussionen im Q&A im Anschluss an dem Film. Selten blieb das Publikum derart lang und selten wurde so tiefgründig debattiert.

 

Der Film läuft am Montag, 2. Oktober 2023, um 21h im Frame und Freitag, 6. Oktober 2023, um 15:30 im  Piccadilly

 

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«MEMORY» von Michel Franco

 

Im Zentrum der Geschichte stehen Sylvia (Jessica Chastain), eine Sozialarbeiterin, und Saul (Peter Sarsgaard), ein fast gleichaltriger, an Demenz erkrankter Mann. Beide haben mit Erinnerungen zu kämpfen. Sie wird von ihren geplagt und das nicht Vergessen können, erschwert ihren Alltag. Saul hingegen, vergisst zu viel und zu oft, so, dass auch er mit dem alltäglichen Leben nicht klar kommt. Nachdem er eine Nacht vor ihrer Haustüre verbringt und daraufhin von ihr konfrontiert wird, sie in der Schulzeit sexuell missbraucht zu haben, fangen beide an, an ihren Ängsten und Problemen zu arbeiten.

 

«MEMORY» ist ein Film der Hoffnung gibt, der Menschen nahbar, verletzlich, menschlich zeigt. Die feinfühlige Inszenierung stellt die Schönheit vom Alltäglichem ins Zentrum. Ein Film wie eine warme Umarmung, der aber nie den Blick vom Schweren wegdreht. Und nein, trotz der unumgänglichen Sentimentalität in diesem Text hier, verfällt der Film selbst nie in diese oder in seichte Melodramatik. Dies liegt an der durchdachten Regiearbeit von Michel Franco, der den Film bewusst intelligent inszeniert.

 

Der Film läuft am Freitag, 6. Oktober 2023 um 18.30 im Corso und Sonntag, 8. Oktober 2023 um 20:30 erneut im Corso.

 

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«POOR THINGS» von Yorgos Lanthimos

 

Ausnahmeregisseur Yorgos Lanthimos liefert einmal mehr ein unvergessliches Filmvergnügen ab. Der experimentierfreudige Mediziner Godwin Baxter (Willem Dafoe) lädt den Studenten Max (Rama Youssef) in sein Heim ein, um die Fortschritte von Bella Baxter (Emma Stone) zu dokumentieren. Die Dame lernt sprechen, hat noch einige Schwierigkeiten mit ihrer Feinmotorik und ist vor allem eins: neugierig aufs Leben und die grosse weite Welt.

 

«POOR THINGS ist vieles. Gelungene Entwicklungsroman/Literaturverfilmung, emanzipiertes Roadmovie, Coming-of-Age Story und perfekt inszenierte Kostüm-Satire. Emma Stone wirft sich mit Haut und Haaren in diese Rolle, die ihr ohne Zweifeln eine weitere wohlverdiente Oscarnominierung einbringen wird. Yorgos Lanthimos neuster Film ist ein feministisches Werk, das weiss, was sein Publikum erwartet, erhofft und sehen möchte. Ja, in der cineastischen Arthouse-Welt ist das hier ein Fanservice-Film der höchsten Güte.

 

Der Film läuft am Samstag, 7. Oktober 2023 um 20:45 im Arthouse Le Paris. 

 

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«PASSAGES» von Ira Sachs

 

Die Handlung spielt im künstlerischen, ja bohemischen Pariser Milieu. Der zielstrebige Regisseur Tomas (Franz Rogowski) weiss wie er seinen Film, seine Darsteller inszeniert haben möchte. Die folgen auch brav auf Schritt und Tritt seinen Anweisungen. Anders läuft es aber im Privatleben ab, wie Tomas feststellen muss. Nachdem er seinen Ehemann Martin mit Agathe betrügt und seinen Gefühlen/ Bedürfnissen folgt Agathe wieder zu treffen, macht Martin da zunächst nicht weiter mit. Doch mit seiner charmanten Art gibt Tomas nicht auf, um doch das Weggli und z Füfi behalten zu dürfen.

 

Der Film erhielt am Zurich Film Festival an seiner Premiere konstant sehr viele Lacher. Es blieb nie ganz klar, ob diese wirklich so von Filmemacher Ira Sachs gewollt waren oder doch eher aufgrund der Irritation des Publikums über diese so woken Hipster entstanden sind. Klar ist: Jeder kennt eine Figur wie Tomas, jemanden, der diese genderfluide, beziehungsfluide, sexuelle-Orientierung-fluide Identität stark auslebt, aber bei dem man nie sicher ist, ob die Person wirklich verwirrt ist, oder einfach komplett egozentriert handelt, ohne an die Konsequenzen zu denken. Nach eigenen Aussagen will Regisseur/ Drehbuchautor Ira Sachs mit seinem Film unterhalten und dies tut er allemal. Franz Rogowski ist ein Wirbelsturm, der alle um sich herum mitreisst, uns als Publikum mitgezählt. Tomas ist vielleicht kein klassischer Sympathieträger, aber seine - irgendwie kindlich egoistische - Art und Weise fasziniert, auch wegen der unvergesslichen Fremdscham-Momente, die einige der lautesten Lacher am diesjährigen Zurich Film Festival hervorriefen.

 

Der Film läuft am Dienstag, 3. Oktober 2023 um 20:30 im Arena und am Samstag, 7. Oktober 2023 um 13.30 im Frame. 

 

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«DREAM SCENARIO» von Kristoffer Borgli

 

Nicolas Cage spielt in dieser zeitgenössischen Satire den Collegeprofessor Paul, der plötzlich in den Träumen seiner Mitmenschen auftaucht. Auch bei jenen, die ihn zuvor noch nie ihn ihrem Leben getroffen haben. «DREAM SCENARIO» beleuchtet Themen wie Celebrity-Culture, Cancel-Culture und deren Gefahren sowie Idiokratien. Insbesondere zu Beginn und aufgrund seiner gut dosierten Horror-Momente, erinnert «DREAM SCENARIO» in seinen besten Momenten an Kultfilme wie «Donny Darko».

 

Da wird ein Durchschnittstyp in eine mysteriöse, dunkle Geschichte verwickelt, die sein Leben auf dem Kopf stellt. Die Geschichte funktioniert insbesondere dadurch, dass dieser Typ von Nicolas Cage gespielt und getragen wird, welcher alles andere als durchschnittlich in unseren Köpfen gespeichert ist. Gerade diese Dissonanz ist es, die den Film spannend macht und uns für Paul fiebern lässt. Leider flacht der Film gegen Ende ein wenig ab, da es in eine eher doch hervor sehbare Gesellschaftskritik mündet und die Mistery/ Horror Schiene ein wenig verlässt. 

 

Der Film läuft am Freitag, 6. Oktober 2023 um 18:30 im Kongresssaal und Sonntag 8. Oktober 2023 im Corso.

 

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Credits zum Titelbild: «Dumb Money» (© 2023 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.) / «Poor Things» (© 20th Century Studios. All Rights Reserved.)

 

Tanja Lipak / Mo, 02. Okt 2023