At the Kay Bar

Movie-Kritik: Freier Fall
Bildquelle: 
xenixfilms

Der wortkarge und beflissene Marc Borgmann (Hanno Koffler, «Anatomie 2») hat seine Lebenssegel gesetzt. Wochentags trainiert er bis zum Seitenstechen an der Polizeiakademie und die restliche Zeit kuschelt er sich an seine Langzeit-Freundin Bettina (Katharina Schüttler, «Das weisse Rauschen») im trauten Häuschen der Eltern. Die beiden verbindet eine tiefe Liebe und die bevorstehende Geburt des ersten Kindes. Gut laufen die Dinge. Vielleicht etwas zu gut. Marcs Leben mag wohl durchdacht sein, doch eben diese Sicherheit drückt zunehmend mit der Last einher gehender Verpflichtungen. Ein Grund, warum er die dummen Scherze von seinem Zimmergenossen, Rebell und Lebemann Kay Engel (Max Riemelt, «Wir sind die Nacht») hinnimmt. Dabei sind Joints und Pillen beileibe nicht das Einzige, wozu er sich von Kay überreden lassen wird. Doch noch reagiert er verärgert auf die Geste, mit der Kay ihm näher treten will als die Polizei erlaubt. Marc flüchtet sich verbissen in die Verleugnung und kann seinen schwulen Arbeitskollegen dennoch nicht abschütteln. Beim Joggen im strömenden Regen schliesslich brechen alle Dämme, und Marc muss erkennen, dass sein Ufer ein anderes ist. Eine Weile begeht er eine riskante Gratwanderung zwischen dem ausgebreiteten, aber biederen Familienleben und Kays Welt der rauschenden Technoparties. Schon sehr bald aber dämmert ihm, dass er womöglich gleich alles verlieren wird, wenn er sich nicht endlich entscheidet … 

 

  

Marc ist zwischen der biederen Familienidylle im Reihenhaus (Bild 1) und den Annährerungen seines Zimmerpartners (Bild 2) auf der Polizeiakademie gefangen. (Mit Maus über Bild fahren)

 

Mann sollte gewappnet sein für dieses ungeschminkte Drama. «Freier Fall» ist schnörkelloses, brutal ehrliches Realitätskino, das mit aus dem Leben gegriffenen Figuren und emotionaler Tiefe aufwartet. Und diese Treue zum Stoff beinhaltet natürlich auch explizite Zeichnungen gleichgeschlechtlicher Liebe und Akte. Homophobe könnte dieser Streifen einige Minuten lang in Agonie versetzen, dabei dürfen sich aber genau diese zur Zielgruppe rechnen. Wirklich schockieren tut nämlich nicht der Plunder unter der Dusche, sondern die Ablehnung, die Marc selbst aus dem engsten Bezugskreis entgegenschlägt, als seine wahren Farben allmählich durchschimmern. Es gab schon Leprakranke und verurteilte Päderasten, die man besser hofiert hat.

 

Toleranz sucht Marc (Bild 1) unter seinen Kollegen vergeblich und auch seine Frau (Bild 2) kann der neu entdeckten Leidenschaft wenig abgewinnen. 

 

Obwohl Stephen Lacants erster abendfüllender Film das Motiv der gleichgeschlechtlichen Liebe verwendet, kann man deutlich herausspüren, dass er seine Kernbotschaft der Toleranz als etwas Universelles begreift. Kleingeister wird er damit vor den Kopf stossen, und das ist gut so. Wer sich nicht blöd anstellt, nur weil zwei nackte Typen ein paar Sekunden lang wild knutschen, bekommt im Gegenzug geistreiches und aufrichtiges Kino geboten, das manchmal berührt und manchmal zwickt. Die Wahrheit ist eben selten bequem, und noch viel seltener taugt sie zur Schönheit im Auge des Betrachters. Doch sie ist das Einzige, das der Seele wahrhaftige Freiheit schenken kann. Janis Joplin wüsste darüber eine Menge zu sagen.

 

  • Feier Fall (Deutschland 2013)
  • Regie und Drehbuch: Stephan Lacant
  • Darsteller: Hanno Koffler, Max Riemelt, Katharina Schüttler 
  • Laufzeit: 100 Minuten
  • Kinostart Deutschschweiz: 18. Juli 2013
Mike Mateescu / Do, 18. Jul 2013