Der lange Weg zum Coiffeur

Moviekritik: Cosmopolis
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Im Verleih von ASCOT ELITE

«Ein Gespenst geht um die Welt», schrieb Karl Marx in seinem «Kommunistischen Manifest» im Jahr 1884. Marx schrieb oder sah vielleicht auch voraus, dass in der Moderne der Kapitalismus einen Punkt erreichen würde, wo die Gesellschaft die Menschen überholt und das Vergängliche und Unberechenbare regieren würden. Sprich, den Menschen entgleitet die Kontrolle über ihr Handeln und die Umwelt. Im Film «Cosmopolis» wird genau dies dargestellt.

 

 

Jung, reich und skrupellos - das ist Eric Packer (Robert Pattinson, unter anderem «Twilight» und «Remember Me»). Packer ist ein Spekulant der New Economy und schwimmt in Milliarden. In seiner hypermodernen Limousine, mit eingebautem Pissoir, medizinischem Equipment für sein tägliches Check-Up, den sein Leibarzt eben dort durchführt sowie Korkverkleidung, um die Geräusche zu dämpfen, schleicht er zu einem Coiffeuretermin via die überfüllte 47. Strasse quer durch Manhattan. Immer an seiner Seite sind seine Leibwächter und Sicherheitsbeamte.

 

Der Weg zum Coiffeur

 

Der Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie die Beerdigung des Sufi-Rappers Brutha Fez (Rapper K’naan, sang den Song «Waving Flag» zur WM 2010) der von seinen Fans mit einer pompösen Feier zu Grabe getragen wird, aber auch eine gewaltsame Demonstration von Globalisierungsgegnern erschweren das Vorwärtskommen. Inmitten dieses Chaos’ auf dem Weg zum Coiffeur trifft sich Eric Packer immer wieder mit seiner Frau Elise Shifrin (Sarah Gadon, «Eine dunkle Begierde») zum Essen. Zwischen den beiden Frischvermählten bahnt sich eine Ehekrise an. Packer’s Frau will ihre Energie lieber für ihre Arbeit als Schriftstellerin nutzen statt mit ihm Sex zu haben, was den jungen Mann dazu veranlasst mit anderen Frauen zu schlafen. Genau wie seine Ehe auf wackeligen Beinen steht, schwankt auch sein Imperium.

 

 

«Cosmopolis» ist keine leichte Kost, vor allem wenn der Film in englischer Originalsprache geschaut wird. Da ist man ohne Untertitel mit dem Inhalt des Gesagten ziemlich gefordert, auch wenn man fliessend Englisch spricht. Robert Pattinson mimt die Rolle des in seiner eigenen perfekten Welt gefangenen Packer ausgezeichnet. Vielleicht liegen ihm auch einfach Rollen, in denen er kaum Gefühle zeigen oder diese kontrollieren muss. Doch dies sei einfach mal dahingestellt. Eric Packer empfängt seinen Arzt, seine Geliebte und seine Mitarbeiter in seiner Limousine, die eigentlich wie ein Schutzpanzer wirkt, wo er sich in seiner heilen, sterilen Welt sicher fühlt und die Macht über sein Gegenüber hat. Er lebt weit weg vom normalen Volk und schaut auf dieses mit einem Hauch Mitleid herab. Wenn er und seine Mitarbeiter über die Finanzen, die Gesellschaft und die Menschen philosophieren, wirken sie wie Ausserirdische in einem UFO, die auf die Menschen herabblicken. Packer lebt in Informationsüberfluss, hat immer die Kontrolle über alles, weiss, was als nächstes auf ihn zukommt. Doch als seine Welt aus den Fugen gerät, entgleitet ihm diese vermeintliche Kontrolle schneller als ihm lieb ist.

 

Pattinson überzeugt auf der ganzen Linie 

 

Dass Robert Pattinson mehr als nur ein Teenieschwarm ist, muss er noch beweisen. Die Rolle des Eric Packer ist schon mal ein guter Weg in diese Richtung. Die Rolle ist komplex, fordert Konzentration und allen voran schauspielerisches Können. Der Jungakteur wirkt gefordert und überzeugt auf ganzer Linie. Anders als zum Beispiel bei «Bel Ami» begegnet Pattinson hier seinen Mitschauspielern auf Augenhöhe, wie etwa der erfahrenen Juliette Binoche («Der englische Patient»), die seine Geliebte spielt.

 

«Cosmopolis» basiert auf dem gleichnamigen Roman des amerikanischen Autors Don DeLillos aus dem Jahr 2003. DeLillo ist bekannt für seine hervorragenden, aber auch komplexen Dialoge. Regisseur David Cronenberg («Eine dunkle Begierde») hat deshalb die Dialoge aus dem Buch in sein Drehbuch übernommen. Um der Originalsprache der Figuren möglichst nah zu bleiben, erlaubte Cronenberg seinen Darstellern keine Abweichung und Improvisation beim Schauspielern. Die Dialoge, und manchmal auch ellenlangen Monologe, wirken wie ein Bewusstseinsstrom. Ein Gedanke folgt dem nächsten, der Sprechende steigert sich in etwas hinein und wechselt plötzlich das Thema. Manchmal werden Dinge aus dem Kontext heraus angesprochen, die dann gar nicht mehr zum vorher Gesagten passen. Normalerweise findet man diese Art des Schauspiels nur im Theater. Aus diesem Grund wirkt der Film sehr theatralisch, ja manchmal gar schon leicht pathetisch und regt zum Schmunzeln an, wo es eigentlich nichts zum Schmunzeln gäbe.

 

 

 

Eine Beerdigung, eine Demonstration mit toten Ratten, ein Staatsoberhaupt auf Besuch und dazwischen ein Mann, der ganz einfach zu einem banalen Coiffeuretermin möchte. «Cosmopolis» ist nicht nur bildstark, sondern geht schon fast ins Groteske. Es zeigt das Jetzt. Die schnelllebige, überfüllte und gefühlsgestörte Gesellschaft. Durch die unbeschönigten Sexszenen oder der Szene, wo Eric Packer sich im in der Limousine eingebauten Pissoir erleichtert, wirkt der Film auch sehr realitätsnah. David Cronenberg‘ neustes Werk ist gut. Sehr gut sogar. Er ist sicher kein Feierabendfilm, da er langatmig und teilweise anstrengend ist. Sehen sollte man ihn aber trotzdem.

 

  • Cosmpolis (F, CAN, PT, I 2012)
  • Regie: David Cronenberg
  • Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Paul Giamatti, Mathieu Amalric, Sarah Gadon
  • Laufzeit: 109 Minuten
  • Kinostart: 5. Juli 2012

 

 

 

catarina martins / So, 01. Jul 2012