Albrecht Schuch: «Ich führe bewusst menschliche Eigenschaften zusammen für einen Charakter»
Albrecht Schuch ist 1985 in Jena geboren und inzwischen als preisgekrönter Schauspieler (bsp. Lola als Bester Schauspieler für «Systemsprenger» oder «Berlin Alexanderplatz») fest in der Branche etabliert. Jetzt hat er sich an eine literatische Rolle gewagt, die nicht so einfach ist: Stiller aus dem gleichnamigen Roman von Max Frisch. Wir haben mit ihm über
Bäckstage/Mike Mateescu: Euer Film ist gewissermassen die Antithese zum gegenwärtigen Kino. Keine Action, Witze oder übermässiges Drama, sondern ein sehr feinfühliger Film. Was macht diesen Film für dich besonders und was hat dich zu diesem Projekt gezogen?
Albrecht Schuch: Ich finde, die Ausgangsfrage vom Roman, die sich auch zentral im Film wiederfindet – respektive die Ausgangsentscheidung –, läuft drauf hinaus, dass ich ein Anderer sein will. Was es braucht, damit ich so eine radikale Entscheidung treffe und nichts mehr mit mir selbst zu tun haben will. Ich will mit dieser Person, in der ich lebe, brechen. Ich hasse sie. Ich entscheide mich für die radikalste Form überhaupt – neben dem Freitod – und hinterlasse verbrannte Erde und Traumen bei Menschen, die völlig vor den Kopf gestossen sind, dass da plötzlich einfach einer weg ist. Ich fliehe vor dem Leben hier. In einer Zeit, in der’s noch keine Handys, keine Kameras oder whatsoever gab. Also wo man wirklich weg ist und es ziemlich wird, wiedergefunden zu werden und es wahrscheinlich einfach ist, zu verschwinden. Das fand ich eine faszinierende Ausgangsthese, und die ganzen Fragen, die damit einherkommen. Wer bin ich, oder wer will ich sein? Wie weit kann ich mich verstellen? Vor mir selbst und vor anderen? Wie weit ist es am Ende vielleicht besser, einen gesünderen Schritt zu wählen und sich einfach Stück für Stück zu verändern – wenn man registriert, dass man sich auf eine Art und Weise nicht mehr mag oder sogar verabscheut? Aber er wählt es halt auch aus einem total egozentrischen, vielleicht narzisstischen und sehr theatral-künstlerischen Weg heraus. Er ist ja in dem Moment wie selbst das Kunstwerk, das zerstört werden muss, damit man mit den Hinterlassenschaften was Neues aufbauen kann. Das fand ich spannend, und das hat mich angezogen.
Ich wollte dich auf die Szene ansprechen, in der Julika und White sich im Verhörraum begegnen. Abgesehen von der eigenen Mutter ist es wohl die eigene Ehefrau, die dich mit absoluter Sicherheit identifizieren kann, weswegen man sich gleich doppelt verstellen müsste. Es ist quasi der ultimative Test für White. Wie geht man an so eine Szene heran?
Wir stehen da noch sehr am Anfang vom Film. Es ist die erste Begegnung der beiden seit sieben Jahren. Er hat sich im Prinzip sieben Jahre darauf vorbereitet, wenn man so will. Beziehungsweise, was er noch viel mehr gemacht hat, ist, sich sieben Jahre eine neue Wahrheit zu kreieren. Er hat sieben Jahre damit verbracht, jemand Neues werden zu wollen. Und wir sind ja alle sehr gut darin, auch selbst zu spielen, Rollen einzunehmen. Wir verhalten uns unterschiedlich manchen Menschen gegenüber. Auf Arbeit, unseren Vorgesetzten gegenüber – und das natürlich alles in unterschiedlichen Mengen. Aber wir haben die Möglichkeit dazu. Wir haben auch die Möglichkeit, uns etwas einzureden. Uns eine Wahrheit zu suggerieren, die – wenn wir sie nur lange genug wiederholen – zu einer neuen Wahrheit wird. Das schafft er in dem Moment. Und ich ging so an die Szene heran, dass jemand eine sehr schöne Frau trifft, in die er sich sofort verliebt. Das irritiert die Frau, weil sie sich nicht sicher sein kann. Allein deswegen, weil er bereits nach einem halben Jahr Partnerschaft nicht mehr dieses Lachen, dieses Interesse an seiner Partnerin hatte. Es ging ja eigentlich relativ schnell in deren Beziehung – wie auch für sie – nur um sich selbst. Um das eigene Leben. Um die eigene Karriere. Die eine ist die vermeintlich Erfolgreiche, und der andere ist der vermeintliche Versager. Man kuckt den Anderen nicht mehr an. Man sieht nicht mehr diese Offenheit, mit der Stiller in diesem Moment ihr gegenübertritt, und an die kann man sich ja nur schwer erinnern. So ein Gesichtsausdruck verändert auch die ganze Wahrnehmung eines Menschen.
Stiller möchte ja jemand anders sein, und wird zu White. Er wird eigentlich dafür bestraft, sich als jemand anders auszugeben. Und ich finde es spannend, dass Schauspieler ja eigentlich genau hierfür bezahlt werden. Hast du je darüber nachgedacht, dass du tun kannst, was er nicht kann?
Ich habe quasi das professionelle Besteck. Ich habe über vier Jahre studiert und studiere es ja immer noch weiter über die ganzen Jahre. Und er klaubt sich das so zusammen. Das ist halt der grosse Unterschied. Dass ich das bewusst tue. Dass ich bewusst menschliche Eigenschaften zusammenführe für einen Charakter. Beobachtungen. Empfindungen. Farben, Töne und Rhythmen in einen Charakter reinpacke. Und so differenziert, so bewusst passiert das ja bei ihm nicht. Aber am Ende resultiert daraus ja auch was bei dir. Wenn du jetzt Cowboystiefel tragen würdest, dann würdest du auch ganz anders laufen. Wenn du ein Hemdchen tragen würdest, dann fühltest du dich ganz anders. Das schafft Stiller auch, durch sein neues Kostüm, das er gewählt hat. Dadurch, dass er sich radikal die Haare abschneidet. Alle diese Schritte. Er sieht sich selber – wie anfänglich erwähnt – wie so ein Entwurf, wie eine fertige Skulptur, die zerstört werden muss. Aber er hat schon eine Selbstwahrnehmung, die es irgendwie schafft, von aussen draufzukucken. Er möchte halt dieser Mann sein, dieser Cowboy, der gerne Entscheidungen trifft. Der stark ist und Interesse an anderen Menschen hat, und eben nicht dieser Künstler von damals, der sich nur um sich kümmert, der immer so ängstlich ist und seine Brust nicht rausschiebt. Sondern jemand, der gerne über seine Arbeit spricht, und stolz darauf ist.
Das Interview wurde am 28. September 2025 im Rahmen des Zürich Film Festivls im Dolder Grand in Zürich geführt.