Erfahrungsbericht: Statistin bei Bestatter Mike Müller

Bäckstage: Statistin beim Bestatter
Bildquelle: 
Autogrammkarte SRF

Es ist Freitag, 5. Juli 2013, 7.00 Uhr im Bahnhof Aarau. Viel zu früh für mich heute. Denn nach einem tollen, aber auch langen Aarauer Vorabend am Beizlifest vor dem Maienzug, sind meine Augen noch nicht mehr als kleine Schlitze. Trotzdem habe ich mich aus dem Bett gekämpft. Zur Stärkung hole ich mir ein Vollkornbrötchen vom Bäcker und mache mich auf den Weg in die Altstadt. Vor der Vinothèque La passion du vin SA, an der Laurenzentorgasse 7, wird heute nämlich gedreht. Dort angekommen sehe ich auch schon die Filmcrew, die bereits fleissig am Drehen ist. Und natürlich ist Mike Müller, der die Hauptrolle des Luc Conrad in der TV-Serie «Der Bestatter» spielt, ebenfalls schon in vollem Einsatz.


Martin Joss, der Regieassistent, sieht mich unsicher herankommen und hat offensichtlich sofort begriffen, dass ich eine der Statistinnen bin. Auf jeden Fall begrüsst er mich und erkundigt sich sogleich, was ich für Kleider mitgebracht habe. In meiner Sporttasche finden wir dann ein hellblaues Oberteil, dass ich zu einer weissen Hose anziehen soll, für die erste Szene. Also zieh ich mich im Umzieh-, Schmink- und Pausenraum um, der gleich neben der Vinothèque im Parterre eines alten Gebäudes eingerichtet worden ist, und schaue zu, wie nach und nach die circa fünfzehn Statisten eintreffen. Nach gut 30 Minuten steht eine durchmischte Gruppe vor mir: Pensionierte, Erwachsene, Teenager, sogar zwei Kinder sind an ihrem ersten Ferientag früh aufgestanden, um mit ihrer Mutter in der Schweizer Krimiserie mitzuspielen.

 

 

Die Vinothèque als Knacknuss mit viel Glas

 


Und schon geht es los. In der ersten Szene, die direkt vor der Vinothèque stattfindet, sind wir Maienzuggäste, die auf den Beginn des Umzuges warten. Gefilmt wird jedoch im Laden selbst, das heisst, uns wird man wahrscheinlich nur durch die Schaufenster oder als Spiegelung im Laden sehen, wenn überhaupt. An diesem Punkt muss erwähnt werden, dass diese Vinothèque nicht gerade den einfachsten Drehort darstellt. Denn sie hat rundherum Schaufensterscheiben, was es extrem schwierig für die Filmcrew macht, dass das Licht und die Spiegelungen stimmen und natürlich, dass kein Crewmitglied irgendwie aus Versehen gefilmt wird. Aus diesem Grund wurde die erste Szene ganze sieben Mal wiederholt und die Kamera immer wieder verschoben. Eine Einstellung wird hoffentlich ohne unvorhergesehene Spiegelungen sein.


Dann begannen die Dreharbeiten ausserhalb der Vinothèque und wieder wurde mir eine Anfangs- und eine Endposition zugeteilt. Diese sollte ich, so gut es geht, einhalten und möglichst natürlich wirken. Nicht wirklich eine schwierige Aufgabe. Das Einzige, was mir Mühe bereitete, war, dass ich teilweise so tun musste, als ob ich mit einer Statistenkollegin reden würde. Dies mussten wir jedoch stumm tun. Und ich finde, dass so tun oft nicht gleich wirkt, wie wenn man tatsächlich redet. Aber ich kenne ja das Endergebnis nicht, weswegen dies nur eine Einschätzung ist.

 


Bild 1: Regieassistent Martin Joss, der die Statisten liebevoll betreute.

Bild 2: Viele Statisten erhielten immer wieder neue Frisuren in kürzester Zeit. Hier wird Julias Rossschwanz wieder neu geformt nach einer längeren Pause.

 

Und so ging es eine Zeitlang weiter - bis um ca. 10.30 Uhr. Dann wurde im Weinkeller gedreht, wofür keine Statisten gefragt waren. Würde ich in Aarau selbst wohnen, hätte ich bis 12 Uhr nach Hause gehen können, was einige Statisten taten. Ich blieb, suchte mir einen bequemen Stuhl im Requisitenraum und döste gerade vor mich hin, als Mike Müller rein kam. Heute schien kein guter Tag zu sein. Mike war extrem erkältet und schnäuzte nur so vor sich hin. Nicht nur als Luc schaute er an diesem Tag grimmig in die Kamera, sondern auch sonst schien seine Laune nicht die beste zu sein. Verständlich, denn zwischen den Szenen gab es immer wieder lange Pausen, die Mike und die Mehrheit der Filmcrew mit Rauchen verbrachten. Ich bekam den Eindruck, dass man sich auch als Schauspieler am Set oft langweilt. Nun, natürlich war es nicht gerade der geeignetste Moment, um von ihm ein Foto zu machen, aber bei mir drang irgendwie die journalistische Ader durch. Also ging ich zu ihm und sagte: «Ich biete zwoi Halstäffeli för eis Foti.» Und tatsächlich willigte er lachend ein. Ohne ein Foto von ihm, hätte ich natürlich nicht heimgehen können.


Und nun sass ich also da auf meinem Stuhl … Bis um 12.00 Uhr, als die ganze Crew zum Mittagessen aufbrach. Es gab: Karotten/Zucchetti-Salat, Zürigeschnetzeltes mit Rösti und zum Schluss ein Beerendessert. Mega fein also. Und ich würde jetzt gerne sagen, dass ich keine Zeit für ein Mittagsschläfchen hatte, weil ich soooo beschäftigt war, aber so war es nicht. Ganze vier Stunden wurden keine Statisten benötigt, weil die Szenen im Weinkeller so lange dauerten. Also hiess es: Warten, warten und noch einmal warten. Irgendwann bin ich auf meinem Stuhl eingenickt und habe geträumt, es ging endlich wieder los, aber das war definitiv eine Illusion. Erst nach 16.00 Uhr begann die letzte Szene, bei der alle Statisten wieder auftreten sollten.

 

 

Bild 1: Auch Mike konnte ich mit zwei Halstäfeli für ein Foto gewinnen.  /  Bild 2: Das Filmset vor der Vinothèque La passion du vin SA in Aarau. 

 

Bis es jedoch so weit war, schaute ich mich genauer auf dem Set um. Zuerst zu den Requisiten. Es gab Scheinwerfer, die an einer Stange aus zwei, drei Metern Höhe herab leuchteten, verschiedene künstliche Wände (transparent, schwarz und weiss), diverse Kabel, die an den Wänden entlang verliefen, einen Schiebewagen mit verschiedenen technischen Geräten darauf, etwa ein Laptop, um beispielsweise die gedrehten Szenen nochmals anzusehen und natürlich Filmkameras. Zur Filmcrew: Ich kann leider nicht von allen herumlaufenden Leuten auf dem Set sagen, was genau ihr Aufgabenbereich war, aber einige Berufe erkannte ich auch als Nicht-Filmer. 1.: Der Regisseur Christian von Castelberg, der die meiste Zeit mit den Schauspielern über die nächsten Szenen diskutierte. 2.: Der Aufnahmeleiter, der für die meisten Dinge verantwortlich schien und deshalb auch immer am Herumrennen war. 3.: Die Kameramänner, weil diese natürlich die Kamera auf den Schultern trugen oder sie auf einem Stativ befestigten. Ich weiss gar nicht mehr, ob es zwei oder drei Kameras waren… 4.: Die „Tönler“, die wirklich nicht mehr ins Fitness müssen für ihre Oberarme, da sie den ganzen Tag das Mikrofon, das jeweils an einer Stange befestigt ist, herumschwenkten. 5.: Zwei Visagistinnen, die für alle Frisuren und das Make-up der Schauspieler und Statisten zuständig waren. Und dann noch 6. Regieassistent Martin, der die Statisten betreute. Ausserdem machte ich Bekanntschaft mit der Assistentin des Aufnahmeleiters. Ich habe sie gefragt, was sie denn als Assistenz-Aufnahmeleitung so mache und sie sagte, sie sei Runnerin oder anders formuliert: Mädchen für alles. Sie holt die Schauspieler in ihren Hotels oder vom Flughafen ab, chauffiert sie zum Set, holt Schoggi für die Crew, WC-Papier oder transportiert irgendwelche Dinge vom oder zum Set. Diese Frau weiss also ganz genau, warum sie am Abend müde ist. Dafür könnte der Job abwechslungsreicher nicht sein.

 

 

Geduld wird mit dem Statisten-Sein zur Tugend

 


So, aber zurück zu meinem Job. Die letzte Szene wurde gedreht und diese musste ganze 15 Mal wiederholt werden. Das hiess für mich: 15 Mal ein Gespräch inszenieren, 15 Mal einen anderen Statisten mit Wangen-Küsschen begrüssen und 15 Mal den gleichen Weg neben der Vinothèque entlanggehen. Dann war der Drehtag zu Ende und ich erhielt ein herzliches «Merci vel mol!» von Martin, einen kleinen Geldbetrag und eine Postkarte mit dem Bestatter drauf.

Fazit des Tages: Statistenarbeit ist echt anstrengend! Man muss wahnsinnig geduldig sein, bequeme Schuhe anziehen und für Pausen von bis zu fünf Stunden eventuell ein Buch dabei haben. Dafür darf man Schauspieler und Filmcrew hautnah erleben, sich ein paar Mal umstylen lassen und natürlich Filmluft schnuppern.


Mein Drehtag beim «Bestatter» war also trotz der Warterei ein voller Erfolg. Ich habe tolle Leute kennengelernt und weiss jetzt, dass ich als aktiver (und vielleicht auch nicht mit viel Geduld gesegneter) Mensch eher nicht für die Filmwelt beziehungsweise das Statisten-Dasein gemacht bin. Schon nur für diese Erkenntnis hat sich der lange Tag gelohnt.

 

Selina Berner / Di, 23. Jul 2013