Sarah Kuttner: «Mit Lippenstift fühle ich mich erwachsen»

Lesung: Sarah Kuttner im Kaufleuten
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© Tanja Lipak

Sie brauche Drama, erklärte Sarah Kuttner letzten Sonntag im Zürcher «Kaufleuten». Damit ist nicht ihr Privatleben gemeint, sondern ihre Schreibwelt. Die Geschichte über die Patchwork Familie «Lena + grosser Kurt + kleiner Kurt» sei ihr zu einfach gewesen, zu wenig schmerzhaft. Also musste der kleine Kurt sterben. Leicht gefallen sei ihr dies dann aber nicht, erzählte sie. Das imaginäre Buch-Kind sei ihr ans Herz gewachsen. Aber mit dem Ableben des kleinen Kurt sei es dann wiederum einfacher gewesen zu schreiben, wenn Vater und Sohn beide Kurt heissen und der eine nicht mehr ist. Warum ausgerechnet beide männliche Protagonisten «Kurt» benannt wurden, wollte das Publikum wissen. Uwe und Günther fand sie nicht so gut und irgendwie war’s halt eine «Challenge accepted»-Situation, kontert Sarah und zeigt: ihre schelmische und quirlige Art passt immer. Insbesondere an der Lesung ihres neuen Romans «Kurt» im Zürcher «Kaufleuten».

 

Die Geschichte handelt über eine Frau namens Lena, die samt Freund Kurt auch grad dessen Kind Kurt erhält und dieses verliert ehe sie ihre Rolle als «Stiefmutter» zu fassen bekommt. Und das Buch handelt von Trauer, die der Hinterbliebenen und die derjenigen dazwischen. Davon was uns zusammenhält und was uns auseinandertreibt. Es besticht mit absurd komischen Momenten, wie jenem in welchem die leibliche Mutter von Kurt den kleinen Kurt auf seine «Blumen»-Schaufel anspricht. Sei doch völlig klar, dass diese Schaufel rosa Blumen draufhat, schliesslich sei es eine Schaufel zum Blumen pflanzen und die meisten Blumen sind ja rosa, klärt der kleine Kurt seine Mama auf. Mit Szenen wie diesen bringt Kuttner Poesie und Witz in den Alltag. Und auch in ihre Lesung an der sie sich äusserst offen zeigte. Ihre innere Uhr ticke nicht und deshalb sei sie nicht im Genuss der Mutterschaft. Die Gewissheit, dass ein kleines Wesen ihr Glück komplett machen würde, besitze sie nicht und lässt es deshalb lieber vorläufig damit bleiben.

 

Obwohl stimmen tut diese Aussage nicht ganz. Denn Kuttner ist eine fürsorgliche Hunde-Mama. Hündin Penny ist vor einem Jahr zu Kuttner gestossen und sorgte als erstes für eine Schreibblockade. Die oberste Priorität galt, den Hund stubenrein zu machen, danach war wieder Zeit für Kurt. Die mittlerweile drei Hunde, welche Kuttner mit ihrem Freund besitzt, führten dazu, dass sie sich - ähnlich wie ihre Buchprotagonistin Lena - ein Häuschen in Oranienburg zulegte und das Gärtnern entdeckte. So ist in «Kurt» viel mehr Kuttner drin, als letztere vielleicht einzugestehen mag. Denn auch Lenas Kaffeegeschmack (viel Sahne und Zucker) entspricht jenem ihrer Erfinderin, welche im Kaufleuten entspannt an ihrem Kaffee nippte. Und so stellt man sie sich auch beim Schreiben vor, welches für sie die meiste Zeit «von alleine geht». Sie müsse nur Anfang, Mittelteil und Schluss kennen, danach würden ihre Finger von allein tippen, ohne grosse CSI-mässige Planungsgebilde und Post-It Notizen. Dass sei vielleicht, was die Leute Talent nennen, erklärte Kuttner schulterzuckend. Viel mehr Überwindung scheint ihr das Anmachen von Lippenstift zu kosten. Weil es irgendwie irrsinnig ist, sich Farbe hinzutun, wo dann getrunken, geraucht und gegessen wird und wo dann nochmals frisch gestrichen werden muss. Aber erwachsen würde sie sich dann fühlen mit so einem Klecks Farbe auf den Lippen, meinte Kuttner. Gut ist sie am Sonntag ohne Lippenstift auf die Bühne.

 

Frech, offen und bodenständig, so lieben wir sie, die ewig vorlaute und sympathische Frau Kuttner.

* Informationen zur Autorin Sarah Kuttner  

 

 

Tanja Lipak / Do, 09. Mai 2019