Sarah Kuttner & die Züri People

Lesung: Sarah Kuttner im Komplex
Bildquelle: 
Marcus Hoehn

Sie sei wahrscheinlich völlig übermüdet, entschuldigt sich die kichernde und glucksende Sarah Kuttner schon nach wenigen Minuten bei den Leuten im Komplex – den Züri People wie sie Sarah liebevoll nennt – und würde irgendwie nur Unsinn reden. Dabei ist der Monolog, mit dem die als MTV-Moderatorin bekannt gewordene Kuttner in die Lesung startet, durchaus charmant. Sie spricht ohne Punkt und Komma, hakt ihre nachmittäglichen Erfahrungen beim Jugendsender Joiz («Ehrlich, die waren ja so nett, aber ich habe mich noch nie so alt gefühlt.») und Flugprobleme von Hunden («Mein Hund ist zu schwer für die Lufthansa!»)  genauso ab wie die obligaten Klischees von wegen der teuren Schweiz («Zigaretten kosten bei euch im Duty Free mehr als in Deutschland regulär.») und der langsamen Schweizer Bevölkerung («Man sagt mir immer, ich müsse wissen, dass die Schweizer so langsam seien, dabei stimmt das gar nicht.»), bringt aber auch einige gar einstudiert wirkende Jokes („Wer hat mein Buch gelesen? Wieso lasst ihr es euch dann noch vorlesen?»). Wahrscheinlich sind die ersten zehn Minuten näher an der echten Sarah Kuttner als es der Autorin selbst lieb ist. Jedenfalls betont sie mehrfach, sie sei eigentlich eine ruhige Person.

 

Dann widmet sich Sarah den «Wachstumsschmerzen», die sie zu Papier gebracht hat, die jetzt in Buchform vorliegen und der eigentliche Grund des Veranstaltung sind. Leider wird schnell deutlich, dass ihr Buch nicht für Lesungen gemacht ist. Aufgrund der zahlreichen Dialoge ist es manchmal schwer der Handlung zu folgen. «Teilweise war mir nicht richtig klar, wer gerade spricht», unterstreicht eine Zuhörerin im Anschluss an die Lesung diesen Eindruck. Sarah bemerkt das Problem schon während sie liest und entschuldigt sich beziehungsweise erklärt stellenweise, welcher Protagonist denn gerade spricht. Das soll allerdings die Qualität des Buches nicht schmälern, denn das ist leicht verständlich und mit viel Wortwitz gespickt – sofern man es liest und nicht vorgelesen bekommt. Sarah selbst muss sich in der Hinsicht wenig vorwerfen. Ihr Lesestil ist flüssig und gekonnt. Aber wie Sarah schon zu Beginn bemerkt, sind viele eh nur gekommen, um sie live zu sehen. Wer allein dafür im Komplex ist, der wird üppig belohnt. Denn Sarah wirkt total aufgekratzt, denkt offenbar drei Gedanken gleichzeitig, überspringt geplante Passagen, weil es ihr zu gut gehe für depressive Momente, und lässt die Worte nur so sprudeln. Leider wirkt die zappelige Sarah mit der Zeit etwas anstrengend. Ob die Erfahrung mit Joiz und dessen sehr jungen Teams ihr einen Schuss jugendlichen Elan zu viel verpasst hat?

 

Erstaunlicherweise verwandelt sie sich jedoch – ähnlich einer Schülerin, nach abgelegter Prüfung – nach der Lesung, als es um die Fragestunde geht, in die schlagfertige Moderatorin, die man aus MTV-Zeiten kennt. Jetzt ist sie plötzlich fokussiert, geht keck, angenehm frech und selbstironisch auf Fragen ein und blockt einen Versuch, sich nach der letzten Szene im Buch zu erkundigen, mit einem lauten «SPOILER!!!» ab. Zum Schluss, nachdem sich der Applaus beruhigt hat, beurteilt sie das Publikum gleich selbst: «Züri People. Ihr wart so schnell, wie es euch die meisten Leute nicht zugestehen. Es war für mich ein sehr guter Abend und das heißt etwas, wenn ich es, so merkwürdig stotternd, sage.»

Patrick Holenstein / Mo, 05. Mär 2012