STRESS: «Es gibt Energie, einen Plan zu haben»

CD-Kritik: Libertad von STRESS
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Pressebild / ©Sebastien Agnetti

Mit «Libertad» veröffentlicht STRESS sein neues Studioalbum, das nicht nur seine Kunst in reinster Form präsentiert, sondern wahrscheinlich zu seinem besten Werk erkoren wird. Der Rapper, der sich mit Features wie Stefanie Heinzmann, Nacim oder EAZ wahre Freunde an Bord brachte, kreierte Kunst, die über Verluste und Siege in Lebenskämpfen erzählt – und vom frei sein.

 

Es ist eine Wucht, die einen trifft, sobald «Libertad» ertönt, die gewaltige Stimme des Künstlers sich in seinem faible für Wortspiele frei von allen Grenzen spricht und gleichsam mit seiner Feinfühligkeit jegliche Erwartungen sprengt. Die Kraft, die STRESS in seinem neuen, gleichnamigen Album «Libertad» zur Schau stellt, scheint wie eine Ode an die Höhen und Tiefen, die ein Mensch nun mal durchleben muss.

 

Dass STRESS die tiefen Abgründe das Daseins schon selbst durchstehen musste, offenbarte er bereits in seinem letzten Album «Sincèrement». Doch schwere Zeiten hinterlassen ihre Narben, denen sich der Produzent, Komponist und Rapper in Songs wie «Bye» feat. Nacim widmet. Mit einer starken und doch rührenden Melancholie schafft es der 44-Jährige diese Momente dort zu lassen, wo sie herkommen: in der Vergangenheit.

 

In dieser Vergangenheit, in der auch das Ankommen in der Schweiz als Migrant spürbar wird: «Bloc de l’est» lässt zum Vorschein kommen, was der in Lausanne gross gewordene Andres Andrekson aus Estland schon früh lernen musste: für die Kinder des Ostens, vom Baltikum bis zur Adria, gibt es keinen Gott und auch keine Sonne, die scheint. «Das Leben war oft grausam und wir haben nichts geschenkt bekommen – aber genau das hat mich hierhin geführt. Wie willst du auch träumen, wenn du alles schon hast? Es gibt einem Energie, einen Traum zu haben, einen Plan zu bilden und diesem nachzujagen.»

 

STRESS feat. Stefanie Heinzmann - «Just Like I Love You»

 

Ein noch nie dagewesenes Geschenk liefert uns STRESS in einem besonderen Song: «Ich habe den Track «Enfants de la pluie» BLIGG gezeigt und er meinte: «Das ist genau das, was der Track braucht.» Es fühlte sich richtig an, diesen Song selbst zu singen.» Die tiefgehenden Texte in Symbiose mit Stress’ klarer Stimme, die zum ersten Mal in dieser Schönheit zelebriert wird, wühlen auf: «Wie willst du ein guter Mann sein, wenn kein Mann je da war?»

 

Doch STRESS wäre nicht STRESS, wenn nicht auch das Herzstück seiner Kunst im Album einen Ehrenplatz gefunden hätte: mit dem Song «All in», den er gemeinsam mit Naomi Lareine und dem Schweizer Rapper EAZ liefert, versetzt er einen in die schönste Ära des Old School Hip Hop, Westside style.

 

Nach 19 Jahren auf der musikalischen Bühne könnte man meinen, dass jemand wie STRESS schon alles erreicht und nichts mehr zu sagen hat. Doch «Libertad» überrascht mit den Freiheitsrufen des Rappers, die sich auf diesem Album von Track zu Track in neuen Formen zeigen – wie Kurzgeschichten eines Buches, vom selben Erzähler und doch jede einzelne ein Kunststück für sich.

 

«Wenn du nicht mehr aus deiner Comfortzone raus kannst, bist du als Künstler tot!», erklärt STRESS und scheint, trotz aller Veränderungen der letzten Monate, angekommen zu sein. «Ich bin an einem guten Ort, mental und seelisch. Jetzt brauchen wir jedoch das Publikum wieder – es hat uns während der Pandemie gefehlt!», spricht der Rapper auf seine kommende Promotour an und wie hart die Pandemie gerade die Crews vieler Künstler getroffen hat.

 

Ein Album, dass regelrecht überrascht und Lust nach mehr macht. Wir werden uns den einen oder anderen Live-Auftritt der Songs jedenfalls nicht entgehen lassen!

 

Zu sehen ist STRESS am 18. Mai im Zürcher Kaufleuten – endlich wieder live. 

 

 

Shqipe Sylejmani / Fr, 04. Mär 2022