Mother Mother: «Rock Talk ist eine Kunstform für sich»

Interview mit Mother Mother
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Pressebild / ©Mother Mother

Die kanadische Band Mother Mother tourte im Sommer als Vorband von Imagine Dragons durch Europa. Vor dem Konzert im Wankdorfstadion in Bern, nahm sich Leadsänger Ryan Guldemond Zeit, um mit uns zu sprechen. Welchen Einfluss Corona auf die Aufnahmen ihres achten Albums hatte, woher er seine unermüdliche Kreativität schöpft, wie sie sich als Band von Konzert zu Konzert verbessern und welche Vorteile Mother, Mother durch neue Kanäle wie Social Media schöpfen, erfahrt ihr hier.

 

Und wie geht’s? Macht die Tour mit Imagine Dragons
Spass?


Ryan: Für uns geht ein Traum in Erfüllung. Wir mögen die Musik von Image Dragons sehr und deshalb ist es eine Freude mit Ihnen auf Tour zu sein und neue, fremde Länder und Städte zu entdecken. Wie Bern. Wir waren noch nie hier, es ist wunderschön.

 

Ja jetzt seid ihr wieder unterwegs. Das war ganz anders bei den Aufnahmen eures letzten Albums «Inside». Wie der Titel es
vermuten lässt, wart ihr da vor allem drinnen «gefangen»
aufgrund Covid.

 

Ja, ich schreibe gerne über die Verbindungen, die ich aufnehmen, über Erlebnisse, Begegnungen mit Menschen und unvergessliche Reisen. Diese Inspirationsquelle war mit Corona versiegelt. Also musste ich in mich kehren und mit meiner inneren Welt Verbindung aufnehmen. Das war auch das Thema des Albums. Ich musste tief in mich hineingehen, das war der Deal, den ich mit der Muse machte. (lacht)

 

Und wie hat sich Covid auf die Aufnahmen ausgewirkt?

 

Wir waren sehr lange voneinander abgekapselt. Ich war praktisch vier Monate alleine als ich die Songs schrieb. Das Album haben wir dann einzeln aufgenommen, Instrument für Instrument, Stimme für Stimme. Auch im Studio haben wir uns praktisch nie getroffen, das war speziell.

 

 

«Erst die Interaktion mit dem Publikum zeigt uns, ob die Songs was taugen oder nicht. Zuvor ist es eher eine Black Box.» 

 

 

War es einfacher dieses Album zu produzieren, weil ihr einzelne Puzzlestücke hattet, mit denen ihr experimentieren konntet oder war es schwieriger?

 

Es war einfacher, weil wir mehr Kontrolle über die einzelnen Parts hatten, aber auch schwieriger, ein Gefühl fürs Ganze zu erhalten. Wir hoffen, man hört nicht, dass wir nicht effektiv zusammenspielen. (lacht)

 

Uns wie schafft ihr es die Stücke nun bühnentauglich zu machen?

 

Wir proben sehr viel, bevor wir auf Tour gehen, das war auch jetzt wieder der Fall. Vor dieser Tournee waren wir in Kanada unterwegs und sind damit schon recht gut eingespielt mit den neuen Songs. Erst die Interaktion mit dem Publikum zeigt uns, ob die Songs was taugen oder nicht. Zuvor ist es eher eine Black Box. Die Reaktionen der Zuschauer machen sehr viel aus. Deshalb besprechen wir uns intern auch nach jedem Auftritt. Wir wollen beim nächsten Mal besser sein. Auch wenn die Setlist fix ist, kann man immer noch viel verändern, beispielsweise wie man sich zwischen den Songs verhält.

 

Mother Mother  - «Hayloft II (Live from Europe)»

 

 

Werdet ihr heute etwas anders machen?

 

Wir haben uns heute bereits über eine Stunde darüber unterhalten. Ich versuche heute besser zu sein bei meiner Kommunikation mit dem Publikum. Als Vorband haben wir eine klare Aufgabe, wir müssen einheizen, wir müssen die Vorfreude auf Imagine Dragons hochhalten und verstärken, das ist unser primärer Job als Supporting Act. Und dazu muss ich die Zuschauer ins Herz treffen, in der richtigen Melodie mit ihnen sprechen, mit der richtigen Power und Aufrichtigkeit. Man nennt dies «Rock Talk» und es ist eine Kunstform für sich. Aber auch wie wir auf der Bühne interagieren, auf welche Boxen wir stehen und wie wir uns zusammen bewegen, hat einen grossen Einfluss, und auch hier wollen wir Veränderungen ausprobieren.

 

Ihr seid immer dran. Auch mit den Alben. Fast alle zwei Jahre trumpft ihr auf mit neuen Songs. Woher kommt eure grosse Kreativität?

 

Es gibt immer schwierige, weniger produktive Phasen, aber da musst du durch, weil du am Ende abliefern musst. Das ist unsere Philosophie als Band. Und mein Leben ist sehr simpel: ich schreibe Songs. Viele Ablenkungen habe ich nicht, da ich keine eigene Familie habe oder eine Beziehung. Somit kann ich mich voll und ganz auf die Musik konzentrieren. Das ist mein Leben und so war es immer schon.

 

Du hast aber auch Familie in der Band. Deine Schwester Molly spielt mit.

 

Ja, dies macht es einfacher und schwieriger zugleich. Jetzt, nachdem es uns als Band bereits 16 Jahre gibt, funktioniert es perfekt, aber wir harmonierten nicht immer so wie heute. Wir haben uns bereits so viele Male verkracht, dass wir heute nur noch Frieden wollen. (lacht) Du wächst als Kind auf und als junger Erwachsener veränderst du dich nochmals. Und wir sind immer zusammen aufgewachsen, haben uns in den besten und schlimmsten Momenten erlebt. Wir werden einander deshalb auch immer vergeben und alles überwinden, was sich uns in den Weg stellt. Wir sind eine Familie und dies ist schön.

 

«Es ist nicht mehr wie früher, wo du als Band in Watte verpackt wurdest für eine Marketingstrategie. Jetzt kannst du direkt mit dem Publikum in Kontakt treten.»

 

Und wie hat sich die Band so entwickelt in den letzten 16 Jahren? Was ist dir aufgefallen?

 

Unsere Musik ist immer auch Reflexion unseres musikalischen Geschmacks und unserer Neugierde zu einer bestimmten Zeit. Wir haben mit akustischen Gitarren angefangen und waren somit neugierig auf Synthesizer. Du bist immer an dem interessiert, was du nicht kennst. So geht es uns zumindest mit der Musik und den Instrumenten. Und dies sorgt dafür, dass wir uns als Band weiterentwickeln und nie zweimal das gleiche Album machen.

 

Wie geht ihr mit eurer neu gewonnenen Popularität beim jüngeren Publikum um? Seit eure Songs bei TikTok viral gingen, habt ihr viele neue Fans dazugewonnen.

 

Wir versuchen immer unsere Fans zu verstehen, sie zu kennen. Wir müssen uns darüber erkunden uns schlau machen, in welchen neuen, modernen Kulturen die Jungen heranwachsen, welche Themen Ihnen wichtig sind, kurz was sie bewegt. Es ist nämlich so: Die jungen Zuhörer sind der Star in ihrem eigenen Film und unsere Musik ist ihr Soundtrack und bedeutet ihnen alles. Ältere Zuhörer, für die ist Musik nur Hintergrundgeräusch. Mit denen macht es nicht viel Sinn, leidenschaftlich über Musik zu diskutieren. Die jungen Zuschauer jedoch, die brennen darauf, sei es bei Konzerten oder auch via Social Media. Mit den jungen Zuschauern in Kontakt zu bleiben, neugierig und offen zu bleiben, dies ist der Schlüssel.

 

Der Schlüssel für ewige Jugend?

 

Ja, Neugierde ist definitiv eine Voraussetzung und Offenheit. Und neue Kanäle wie Social Media helfen. Es ist nicht mehr wie früher, wo du als Band in Watte verpackt wurdest für eine Marketingstrategie. Jetzt kannst du direkt mit dem Publikum in Kontakt treten. Dies ist toll und auch beängstigend zugleich.

 

Warum beängstigend?


Ich versuche weniger ängstlich zu sein mit dem Alter, aber ich bin auch nur ein Mensch und habe auch meine Unsicherheiten wie jede, jeder andere. Aber diese Unsicherheiten sind schuld, dass wir unnötige Barrieren und Wände aufbauen, die es nicht braucht. Ziel ist es, mit den neuen Kommunikationskanälen zu interagieren ohne neue Wände auferstehen zu lassen.

 

Am 14. Oktober erscheint die Live-EP «Live From Santiago de Compostela»

 

 

Tanja Lipak / Fr, 14. Okt 2022