Ultimativer Erfolg in der Roten Fabrik

Konzertkritik: Protomartyr in Zürich
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Pressebild / ©Trevor Naud

Würde man Joe Casey in den USA auf der Strasse antreffen, hielte man ihn entweder für einen suspekten Autoverkäufer, einen frustrierten Lehrer, oder für einen typisch amerikanischen Vorgartenbesitzer. Doch man käme nicht annähernd auf die Idee, dass dieser Mann der kreative Kopf und Frontmann einer weltberühmten Post-Punk-Band ist.
Aber erstmal der Reihe nach.

 

Am Sonntag, 4. September, luden die Band Protomartyr und die Schweizer Vorgruppe Wolfer zu einem musikalischen Erlebnis in der Roten Fabrik in Zürich ein. Das Setting und die Atmosphäre in der Roten Fabrik passten auch perfekt zu den beiden Bands: eine abgedunkelte, verschwitzte Halle in einer leicht melancholisch, aber entspannten Stimmung.

 

Wolfer, ein aus Schlagzeug, Bass und Gitarre bestehendes Trio aus Bern, eröffneten den Abend mit ihrem verträumten und doch sehr harten Sound. Obwohl beim Konzertbeschrieb «Noise-Rock» geschrieben war, erinnerte die Musik doch auch sehr an die düstere Schwere von ISIS oder Neurosis, an Nirvana-esken Grunge, aber gleichzeitig auch an gedankenverlorenen Shoegaze à la My Bloody Valentine.  Die Band brachte das Publikum genau in die richtige, aufgeheizte und emotionale Stimmung für Protomartyr.

 

Eröffnet wurde das «protomartyristische» Set mit dem Titel «Day without End» von ihrer aktuellsten Scheibe «Ultimate Success Today». Der Erfolg ist sichtlich auf ihrer Seite, denn obwohl sich zurzeit viele Post-Punk-Bands auf dem Markt tummeln und die Konkurrenz für Protomartyr sicherlich gross ist, stechen sie mit ihrem konformistischem Bühnenverhalten und dem «anti-charismatischen» Frontmann Joe Casey schon ziemlich heraus. Casey wirkt mit seinem Outfit (Anzug und Hemd) wie ein Schulleiter, der seine Lehrerschaft zur Band umgeformt hat. Teils singend, teils predigend und teils lallend gaben Casey und sein Gefolge Hits wie «A Private Understanding» (2017), «Pontiac 87» (2015) oder «Processed by the Boys» zu ihrem Besten. Seine Texte, der Singstil, wie auch Casey’s Bühnenoutfit erinnern sehr an die britischen Post-Punk-Pioniere «The Fall». 

 

Die Band wirkt zudem ungemein eingespielt und vertraut und die Backvocals und zusätzlichen Effekte von Sängerin/Gitarristin/Keyboarderin Kelley Deal (übrigens die Zwillingsschwester von Pixies-Bassistin Kim Deal) schöpfen die Klangfarben der Band noch um einiges weiter aus. Hin und wieder wandte sich der Frontmann ans Publikum, um die Band vorzustellen, sich bei der Vorband und dem Lokal zu bedanken, oder um selbstironisch die letzten Songs anzukündigen: «We have two songs left…the good ones».

 

Es war ein gelungener Abend voller guter Songs, die allesamt tight durchgespielt wurden und trotz der überschaubaren Menge an Publikum für eine unvergessliche Stimmung gesorgt haben.

 

Fabian Volkers / Do, 08. Sep 2022