Und die rosarote Brille ist doch nicht rosarot

Festivals: Donnerstags an der Bad Bonn Kilbi
Bildquelle: 
www.kilbi.badbonn.ch

Wie bringt man Musik live, die man live eigentlich nicht bringen kann? Ohne Hits, ohne eingängige Melodien und mit einem eigenen Stil, der kaum etwas mit Mainstream zu tun hat? Eine Antwort gaben am Donnerstag Abend an der Bad Bonn Kilbi die norwegischen Kings of Convenience und die französisch-amerikanischen Beach House äusserst unterschiedlich.

 

Bombastischer Minimalismus, konkrete Traumtänzerei, konzentrierte Weitläufigkeit - Widersprüche sind das Terrain der Kings of Convenience. Was vor über einem Jahrzehnt mit dem Schlachtruf «Quiet is the new loud» begann, entwickelte sich mittlerweile zu einer Träumerei auf hohem entrückt-entzücktem Niveau. In den Jahren wurde das Klanguniversum der beiden Norweger immer dichter, sparsamer, essentieller. Das Klangbild nur noch spärlich sporadisch kümmerlich - mit Zwischenraum hindurchzuschauen. Luft für Gedanken, die da sehr weit laufen, kreisen und rennen. Eirik Glambæk Bøe und Erlend Øye entwickelten ihr Sammelsurium an Weltverwegenem zu einem Destillat höchst ansteckender surrealer Kraft, die flimmert und an Subtilität kaum zu überbieten ist. Etwaige Ausrutscher wie «I’d rather dance with you» (ein Hit auf Youtube) sind da gerne verziehen, wenn man dann wieder emotionale Wuchtbrummen, exaltierte Lebensberatung, destillierte Weltbejahung und konzentrierte Sanftheit um die Ohren geknallt bekommt. Dabei werden sie immer mehr sie selbst - bei den Kings of Convenience steckt immer mehr Kings of Convenience drin.

 

The Kings Of Convenience waren einer der Headliner an der Kilbi. 

 

Gewiss, es gibt da das übergrosse Ikonendenkmal - oder ist es ein Mahnmahl? - von Simon & Garfunkel, an dessen bleierner Strahlkraft schon so manche Hoffnungsvollen zerschellten. Doch Eirik Glambæk Bøe und Erlend Øye umschiffen diese Klippe diskret und doch gezielt, schlagen allzu offensichtliche Erinnerungen gekonnt aus dem Wind, in dem sie live vermehrt auf tanzbare Funk-Beats setzen. Doch bleibt es dabei, dass die Kings of Convenience ein mehr oder minder unaufgeregtes Musikereignis sind, das seine Leuchtkraft nicht sogleich preiszugeben pflegt. Das macht ihre Musik, die so simpel ist, letztlich anspruchsvoll. Sie verzichten auf Kapriolen, die immer auch Selbstdarstellung sind, zugunsten liebevoller Details.

 

Doch live wirkt das Ganze saft- und kraftlos. Songs wie «Boat behind» sind verführerische Popsongs - zuhause in der Badewanne. Live vermögen sie nicht zu zünden. Erlend Øye hampelt angestrengt über die Bühne, bestrebt, die Leute zum Tanzen zu bringen. Die intensiven Songs, gespielt ausschliesslich auf den beiden akustischen Gitarren, sind kaum zu hören, die poppigeren aber umso besser, dafür uninspirierter, ja leer, da nur Gehopse.

 

Auf Alben entrückt, live nur hypnotisch

 

Ganz anders gingen die amerikanisch-französischen Beach House dasselbe Problem an. Das Dream-Pop-Duo erschien an ihrem einzigen Schweizer Gig nämlich als Trio, will heissen mit Schlagzeuger. Dieser leistete mehr als wertvolle Dienste, indem er mit schleppenden, aber nie scheppernden und weichen, Dub-ähnlichen Beats die sphärisch-sterilen Klänge ungleich direkter als ab Konserve wirken liess. Auf den Alben jeweils kaum zu hören, knallt, hämmert und «tätscht» einem live das Schlagzeug omnipräsent mitten ins schwebende Herz. Stoisch wird auf die Felle gehauen und präzise. Was auf den Alben entrückt klingt, ist live nun hypnotisch.

 

Ob es Absicht war, dass man in erster Linie das Schlagzeug gehört hat und nicht die fein nuancierte Gitarre Alex Scallys, bleibt das Geheimnis von Beach House. Doch wird schon nach wenigen Songs klar, dass es mit der Diversität nicht so weit her ist, wenn der immergleiche Rhythmus wummert. Doch dann ist da ja noch die Stimme Victoria Legrands! Mit dunklem Timbre und rauchiger Stimme stülpt sie ihre langgezogenen Melodien über all das technoide Achtziger-Jahre-Gewusel - gewiss, auch diese ähneln sich mit der Zeit, doch verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Beach House - eine Operation am offenen Herzen, bequem betäubt oder comfortably numb, wie man auch sagen könnte. Es tun sich ganze Welten auf; zartbittersüssesauresalzige Welten, die von innen heraus brennen - brennen und nicht mehr aufhören zu sein. Die Songs hören denn auch kaum auf; es ist einfach so, dass die Instrumente irgendwann aufhören zu spielen, man sich aber noch länger darin suhlt.

 

Das Duo Beach House zählt du den absoluten Indie-Lieblingen. So auch an der Kilbi.  

 

Bei «Zebra» von ihrem Erfolgsalbum «Teen Dream» begann es während dem Refrain zu «tröpfele», sodass bei der Zeile «don’t I really know you better than the rest» alle näher zueinander rückten unter dem schützenden Zelt. Überhaupt sollte dieser Song im Lexikon als Beispiel unter dem Eintrag «Popsong» angeführt werden. Doch auch «Walk in the Park» durfte nicht fehlen, ansonsten wurden viele Songs aus dem erst am 15. Mai erschienen vierten Album «Bloom» aufgeführt. Wohl die wenigsten Besucher hatten schon in das Album reingehört, trotzdem vermochten Tracks wie «The Hours», «Myth» oder «Lazuli» zu begeistern; flirrend, klirrend, sirrend - Beach House bleiben sich auch auf ihrem neuesten Album treu. Insbesondere beim Trip-artigen «Irene» franste die Welt vollends aus, die an sich solide Lichtshow verfehlte ihre hypnotische, erweiternde Wirkung keinesfalls und man schwebt, gleitet, fliegt geradezu durch einen mit diffusen Emotionen geschwängerten Raum.

 

Legrand beschwerte sich zu Beginn des Auftritts und wies die Staff an, doch das Licht an der seitlich des Konzertzelts gelegenen Bar abzuschalten («that would be amazing»). Fortan operierten die drei Musiker verschwommen aus dem Dunklen und so entfalteten ihren nebulösen Sound. Die Gesichter bekam man nie zu sehen, umso verzweifelter der Versuch ob dem Empfinden, es würden immer mindestens drei Legrands zeitgleich singen. Immer tiefer dringt man ein in diesen Kosmos des Fühlens der Sanftmut, einem Wachtraum gleich wird man trunken und die Erkenntnis macht sich breit, dass die rosarote Brille nicht rosarot ist, sondern einfach nur verdunkelt und vernebelt.

Patrick Holenstein / Sa, 02. Jun 2012