Ungleiche Freundschaft

DVD-Kritik: «Arlo und Spot»
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©Disney / Pixar

Was wäre passiert, wenn die Dinosaurier nicht von einem Meteoriten von der Erde gekegelt worden wären? Im neuen Film von Pixar sind Saurier intelligent, betreiben Landwirtschaft und sind zivilisiert. Dagegen gilt der Mensch als Schädling. Der kleine Dino Arlo wird als kleinstes von drei Geschwistern auf einer Farm in der rauen Wildnis geboren. Es könnten die Rocky Mountains sein, könnte aber auch sonst irgendwo auf dem Planeten sein. Für die Geschichte spielt das keine Rolle. Narrativ ist dafür wichtig, dass Arlo sich selbst als Feigling sieht. Er ist schwächer, verträumter und ängstlicher als seine Schwester und sein Bruder, hat dafür aber ein Goldnugget als Herz. Als der Vater ein neues Silo aus Steinen baut, um Mais für den Winter zu sichern, muss sich jedes Familienmitglied das Recht auf seinen Fussabdruck, verewigt mit Lehm auf dem Silo, verdienen. Arlo schafft es nicht und ist betrübt. Dazu kommt, dass ein Schädling gerne Mais pickt. Also bekommt Arlo vom Vater den Job, sich um den Schädling zu  kümmern. Sie stellen ihm also eine Falle und Arlo soll den Maisdieb totschlagen. Der stellt sich jedoch als kleiner Mensch heraus und Arlo mit dem grossen Herzen - und ein bisschen von Angst getrieben - lässt ihn frei. Just in dem Moment kommt der Vater dazu, wird wütend und zusammen eilen die beiden Dinos dem flinken Menschlein nach. 

 

 Arlo und Spot fangen treiben eine Herde Langhörner zusammen. 

 

Auf der Jagd werden sie von einem Gewitter überrascht und so wird Arlo vom Vater getrennt und findet sich ganz alleine in der Wildnis wieder. Langsam wird er sich bewusst, wie aussichtslos die Situation scheint. Da bekommt er Hilfe vom Schädling, den er ein paar Stunden vorher freigelassen hat. Nach anfänglichen Weigerungen merkt Arlo, dass der kleine Wuschelkopf durchaus seine Rettung sein könnte und zusammen versuchen sie die Farm von Arlos Familie zu finden. Es beginnt eine lange, kräftezerrende und charakterbildende Reise, auf der sich eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt.

 

Assoziationen zu «Cap und Capper» wäre nicht falsch 

 

Die Zutaten sind simpel, um nicht zu sagen «typisch» für Disney. Man kennt und iebt sie, die herzensguten Aussenseiter, etwas schwächer als der Rest, dafür liebenswert. Arlo ist so einer. Er wird gehänselt und will darum mit dem Kopf durch die Wand und sich unbedingt beweisen. Dann ist da noch der unbekannte zweiter Mitspieler, der Mensch, in diesem Fall als Aussenseiter in der Welt der Dinosaurier. Schnell ist klar, dass die beiden im Mittelpunkt des Films stehen und das ist gut so, denn oft sind es die unkompliziert gestrickten Geschichten, die eine Kraft entwickeln, ohne dabei sich selbst aus den Augen zu verlieren. Das passiert «Arlo & Spot» auf der vollen Länge nicht. Im Gegenteil, schon beim Schlüpfen aus dem Ei ist man dem Dino Arlo komplett verfallen. Wenn Spot dann erstmals mit grossen Augen, die eine Mischung aus Neugier und Vorsicht ausstrahlen, auf der Bildfläche erscheint, ist sofort klar, dass er zu den Guten gehört. Das ist der einzige Kritikpunkt, den man dem Film anlasten könnte. Gut und Böse sind so klar getrennt wie nur möglich. Aber das kennt man bereits von den Zeichentrickklassikern von Disney, damit will man auch die kleinen Zuschauer erreichen und das hat über Jahrzehnte hervorragend geklappt, zudem sind im Fall des ungleichen Dino/Mensch-Teams Assoziationen zu «Cap & Capper» sicherlich nicht falsch. 

 

 Vögel verjagen ist ein Spass für die Freunde. 

 

Was aber macht denn «Arlo & Spot» so unbedingt sehenswert, dass er von der deutschen Film- und Medienbewertung das Prädikat «besonders wertvoll» bekommen hat? Das Prädikat hat der Film bekommen, weil man sich als Zuschauer nicht selten frage, ob die Hintergründe wirklich animiert seien und weil besonders kleine Zuschauer leicht «der Illusion erlegen können». Tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, jemals einen Animationsfilm gesehen zu haben, der so realistisch zum Leben erweckt wurde. Wobei hier die Figuren ausgenommen sind, die sind klar animieriert und nicht, weil es Dinosaurier nicht mehr gibt, sondern weil hier die Fiktion klar erkennbar sein soll. Wenn aber das Wasser fliesst, glaubt man ein hochauslösendes Realvideo zu schauen. Wenn die Kamera ein ganzes Tal mit Wiesen und Bäumen im Sonnenuntergang einfängt, wirkt das wie direkt aus dem Fotoalbum. Da haben Pixar und Disney atemberaubend gute Arbeit geleistet. Die Bilder wären auf der grossen Leinwand bestimmt atemberaubend gewesen. Umso mehr ist es schade, dass «Arlo & Spot» im Kino ein bisschen untergegangen ist. Das liegt wohl an der Konkurrenz aus dem eignen Haus. Es kommt so gut wie nie vor, dass in einem Kinojahr gleich zwei Filme aus der Zauber-Schmiede von Pixar in die Kinos kommen und es wäre gut möglich, dass «Inside Out», der deutlich mehr intellektuellen Anspruch hat, zu präsent war im Kinojahr 2015. Dafür ist die Geschichte der beiden unterschiedlichen Freunde Arlos und Spot ideal für einen Familienfilmabend in der Stube.

 

«Arlo & Spot» macht aber noch mehr aus. Die Figuren sind liebevoll aufgebaut und die Geschichte ist zu keiner Zeit unglaubwürdig oder konstruiert. Dafür erlaubt das Drehbuch eingefleischten Fans des Werks von Disney einige Referenzen zu erkennen. Und dann zieht Pixar den Trumpf, mit dem sie jedes Mal gewinnen, wenn sie ihn auspacken. Ein Blick von Spot kann Welten ausdrücken. Oft braucht es keine Worte, weil der kleine Mensch eh nur grunzt, aber seine Gestik ist perfekt choreografiert und der Kontext im Film berührt. Ähnlich wie beim brillaten Opening von «Up» erzeugen die Zauberer hinter der Animation von «Arlo & Spot» eine Sympathie mit den Figuren, ohne dass man als Zuschauer bewusst etwas davon merkt. Zu dem Zeitpunkt ist man längst im Film drin und fiebert mit dem ungleichen Duo. 

 

«Arlo & Spot» ist perfektes Animationskino. Vielleicht mit einer etwas flachen Geschichte, aber dafür mit liebevollen Charaktere und schönen Ideen. Hoffentlich bekommt der Film auf DVD die verdiente Aufmerksamkeit. 

 

  • Arlo & Spot (USA 2015)
  • Regie: Peter Sohn
  • Autoren: Peter Sohn, Erik Benson, Meg LeFauve, Kelsey Mann, Bob Peterson
  • Laufzeit: ca. 94 Minuten
  • Verkaufsstart: 15. März 2016

 

 

Bilder: © The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios. All Rights Reserved.

 

Patrick Holenstein / Di, 15. Mär 2016