... und dann wirft das Leben Steine in den Weg

Moviekritik: The Burdened
Bildquelle: 
©trigon-film.org

Die prägendsten Geschichten sind oft jene, die so individuell wie universell sind, weil sie im Kern überall passieren könnten. So eine Geschichte erzählt «The Burdened». Regisseur Amr Gama hat sie als Spielfilm mit viel Fingerspitzengefühl adaptiert.

 

Das Leben in der Hafenstadt Aden, am südwestlichen Zipfel der arabischen Halbinsel gelegen, ist für das Ehepaar Isra’a und Ahmed nicht einfach, wobei das noch euphemistisch formuliert ist. Vom Krieg zwischen dem Norden und Süden gebeutelt, steckt der Jemen tief in einer wirtschaftlichen Krise und die Aussichten sind tiefschwarz. Man holt Wasser aus Tanks auf der Strasse und der Strom fällt regelmässig aus. Das Land wird von den finanziellen und politischen Unruhen regelrecht geschüttelt. Die Eheleute haben ihre Jobs verloren bzw. der öffentliche TV-Sender, bei dem Ahmed arbeitet, zahlt seit Wochen keine Löhne und ein Job bei einem privaten, dafür politisch gefärbten Sender kommt für Ahmed nicht in Frage. Lieber arbeitet er als privater Fahrer. Selbst bei den alltäglichen Einkäufen wird jeder Rial zweimal umgedreht, bevor etwas über den Ladentisch wandert. Mit drei Kindern ist der Alltag schwierig und die kleine Wohnung kann sich die Familie kaum noch leisten, da wirft ihnen das Leben einen Stein in den Weg. Isra’a wird erneut schwanger.

 

Lösung mit moralischen und sozialen Konsequenzen

 

Für das Paar ist rasch klar, dass es das Kind nicht behalten wird. Schon beim dritten Kind lag der Gedanke auf dem Tisch, aber durchgezogen haben Isra’a und Ahmed den Abbruch damals nicht. Jetzt liegt ein weiteres Kind finanziell schlicht nicht drin, zumal kein Ende der Krise in Sicht ist. Die Suche nach einer Lösung im streng gläubigen Land, in dem Abtreibung nur in absoluten Ausnahmefällen geduldet wird, wenn das Leben der Frau bedroht ist, wird aufopfernd und geht an die Substanz. Die religiösen Führer des Islams im Jemen sind sich bei dem Thema zudem nicht einig, wobei das Gesetz grundsätzlich durch die Scharia geregelt wird. Die Scheichs halten eine Abtreibung bis zu 120 Tagen für gangbar, weil bis zu diesem Zeitpunkt die Seele noch nicht da sei. Andere sind strikt dagegen. In der Gesellschaft ist das Thema aber mehrheitlich tabu. Der Versuch, die Schwangerschaft zu beenden, wird für das Paar zum Spiessrutenlauf durch eine Gesellschaft voller Ablehnung und Verachtung. Doch es tut sich eine Lösung auf, die jedoch soziale sowie moralische Konsequenzen hat.

 

In ihrer Verzweiflung verkauft Isra’a ihren Schmuck. (©trigon-film.org)

 

Der emotional berührende Film basiert auf einer wahren Begebenheit, die der Regisseur im Freundeskreis unmittelbar erlebt hat. Mit dem Einverständnis des befreundeten Paares und sehr viel Sorgfalt hat er die Geschichte aufbereitet. Dabei war ihm wichtig, dass das Paar bei jedem Schritt involviert war, damit es sehen konnte, in welche Richtung der Film sich entwickelt. Stilistisch nutzt er dabei einen cleveren Kniff und lässt die Bilder sprechen. Immer wieder vermitteln ruhige Passagen, in denen wenig gesprochen wird, was in den Köpfen der Menschen geschehen mag. Mal sind es leere Blicke im Krankenhaus, mal die Eltern bei der stummen Hausarbeit. Das sorgt für ein unangenehm bedrückendes Gefühl der Verzweiflung, das richtig spürbar ist. Ebenfalls sind lange Einstellungen ein Stilmittel, die sehr bewusst entschleunigend wirken und es erlauben, über das Geschehen auf der Leinwand nachzudenken. Wie gut das dramaturgische Gespür des Regisseurs ist, zeigt sich letztlich durch die finale Sequenz, die so konsequent und brutal ist, auch wenn im Grunde wenig passiert, dass sie noch lange zu denken gibt.

 

Regisseur Amr Gamal wurde 1983 in eine jemenitische Familie in Polen geboren. Als er sechs Jahre alt war, kehrte die Familie nach Aden im Jemen zurück. Nach der Schule war für Amr das Theater wichtig und er bildete sich in dieser Richtung weiter. 2005 gründete er eine Theatergruppe, schreibt seither Stücke und führt sie auf. 2018 drehte er schliesslich mit «10 Days Bevore The Wedding» sein Spielfilmdebüt, über ein Paar, das Hindernisse kurz vor der Hochzeit überwinden muss. Weil Aden damals vom Krieg stark zerstört war, mietete Amr Gamal kurzerhand zwei Hochzeitssäle, um den Film zu zeigen – die erste Aufführung eines jemenitischen Films seit über 30 Jahren. Der Film wurde später schliesslich bei den Oscars eingereicht. «The Burdened» geht diesen Weg konsequent weiter. Es ist der erster jemenitische Langfilm, der jemals an der Berlinale gezeigt wurde und auf Festivals Preise gewinnen konnte. Gut möglich, dass der Film irgendwo auf einer Short List für die Oscars® 2025 auftaucht.

 

Schwieriger Balanceakt,  stilsicher und einfühlsam gemeistert

 

«The Burdened» kennt weder Helden noch Verlierer, sondern zeigt gutmütige Menschen, die sich über Wasser halten und für sich und ihre Familie das Richtige tun wollen. Dieses Flair von aufrechten Menschen atmet der Film in jeder Sekunde. Das macht ihn so greifbar, weil diese Notlage sofort nachvollziehbar ist. Es sind tiefmenschliche Themen, die weltweit passieren könnten. Natürlich stehen nicht überall Soldaten mit Maschinengewehren auf den Strassen und je nach Land sind die gesellschaftlichen Strukturen unterschiedlich, aber im Grunde ist die nackte Geschichte von finanzieller Not und sozialem Druck so wahr wie universell. Das sorgt einerseits für Emotionen, weil die Narration klar und rational bleibt, nichts beschönigt oder überspitzt und nie wertet. Andererseits wird die Geschichte durch den pragmatischen Erzählstil authentisch und nachvollziehbar - egal wie man selbst über das Thema denkt. Diesen schwierigen Balanceakt meistern Amr Gamal und seine Crew stilsicher und einfühlsam. Darum bleibt «The Burdened» lange nach den Credits im Gedächtnis.

 

So erschütternd, so wuchtig in die Eingeweide boxend und tief berührend soll, muss und darf Kino uneingeschränkt sein. «The Burdened» hält den Finger gnadenlos in eine offene, soziale Wunde im Jemen und trifft damit emotional ins Schwarze.

 

  • The Burdened (Jemen 2023)
  • Regie: Amr Gamal
  • Drehbuch: Mazen Refaat, Amr Gamal
  • Besetzung: Khaled Hamdan (Ahmed), Abeer Mohammed (Isra’a), Samah Alamrani (Muna)
  • Laufzeit: 91 Minuten
  • Kinostart: 15. August 2024

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 14. Aug 2024