Fuocoammare - Das Leben auf und vor Lampedusa

Movie-Kritik: Fuocoammare
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© Xenix Film

Lampedusa ist eine Insel vor Italien. Zwischen Sizilien und Tunesien liegt sie perfekt im Mittelmeer. Das Klima ist mediterran, geht selten unter 15 Grad und die Menschen sind zufrieden. Immer noch. Denn Lampedusa ist in den letzten Jahren vor allem durch die Flüchtlinge aus Afrika in die Schlagzeilen geraten. Mit Booten versuchen Menschen über das Meer nach Lampedusa zu kommen, dabei ertrinken nicht wenige kläglich. «Fuocoammare» hat sich dem Thema auf eine spezielle Art angenommen. Man darf Mäuschen spielen. 

 

Der Film öffnet ein Fenster nach Lampedusa und zeigt das Leben mit der Flüchtlingsthematik. Ein Jahr lang hat Regisseur Gianfranco Rosi das Leben auf Lampedusa begleitet und zeigt, dass auf der Insel von der täglich medial präsenten Flüchtlingskrise kaum etwas zu spüren ist. Lampedusa bedeutet «Insel der Hoffnung» und für die Menschen, die das Meer nicht schluckt, ist das durchaus symbolisch. «Fuocoammare» verschweigt nicht, drückt aber auch nicht auf die Tränendrüse. Er zeigt, unprätentiös und unverfälscht, neutral. Den Rest darf man als Zuschauer selbst denken. Erst zum Schluss wird einige Minuten lang hart das tägliche Leben der Männer auf den Schiffen gezeigt und jenes der Flüchtenden, die sie retten. Verzweiflung. Angst. Dankbarkeit. Erschöpfung. Hoffnung. Das alles scheint sich in den starren Augen und den Tränen der Menschen aus Afrika zu spiegeln. 

 

Der Arzt und die Albträume

 

Ein kleiner Radiosender sorgt für den Soundtrack. Der Mann hinter dem Mikro erfüllt Wünsche für die Bewohner von Lampedusa, während diese kochen, Betten machen oder Steinschleudern basteln. Nur ein ehrliches «Die armen Seelen» und ein Blick gen Himmel bleibt von der Nachricht, dass dutzende Tote vor der Küste aus dem Wasser gezogen wurden. Regisseur Rosi verzichtet sehr bewusst auf einen Erzähler, lässt den Radiosender als kleinen roten Faden im Film. Sonst montiert er Szenen von den Flüchtlingen neben die Einwohner von Lampedusa. Zeigt Männer aus Afrika beim Fussballspielen, Kinder aus Lampedusa beim Basteln von Steinschleudern, Frauen aus Afrika mit ihren Kindern oder eine ältere Frau aus Italien, die ihr Leben zufrieden lebt. Es könnte normaler kaum sein. 

 

Und doch arbeitet Rosi ganz subtil mit der Sprache. Wenn er einen Vater, der zur See gefahren ist, seinem Sohn erklären lässt, dass das Leben auf einem Boot sehr hart ist, unterstreicht das nochmals die Strapazen, die eine Überfahrt auf einem Flüchtlingsboot bedeuten muss. Das Thema Flüchtlinge ist eine Stunde lang kaum präsent, wird nur angedeutet. Dann erzählt ein italienischer Arzt von seiner Arbeit, berichtet von Schwangeren, die auf sinkenden Booten geboren haben, von Verbrennungen bei Teenagern, die tagelang auf See waren, dehydrierten Menschen und von Kinderleichen. Er werde oft gefragt, ob er inzwischen daran gewöhnt sei. Wie man von Kinderleichen jemals abgestumpft werden könne, fragt er rhetorisch und in seinen Worten schwingt Machtlosigkeit - und dann erzählt er von Albträumen, die ihn plagen. 

 

Auf der anderen Seite erklingt ein Klagelied der Überlebenden, das nahe geht. Es handelt von Hoffnung und Dankbarkeit und von kräftezerrenden Tagen auf der Flucht. Auch hier ist die Erzählart des Films sehr unaufgeregt. Dafür wurde der Film auf der Berlinale 2016 mit dem Goldenen Bär und dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet.

 

«Fuocoammare» ist kein leichter Film. Ohne Kommentar wird ein Thema gezeigt, das Europa und die Welt wohl noch lange über den Sommer 2016 hinaus begleiten wird. Der Film ist wichtig und seine Machart wohl goldrichtig.

 

  • Fuocoammare (Italien/Frankreich 2016)
  • Regie: Gianfranco Rosi 
  • Darsteller:: Samuele Pucillo, Mattias Cucina, Samuele Caruana 
  • Länge: 108 Min.
  • Kinostart: 1. September 2016

 

 

Patrick Holenstein / Do, 01. Sep 2016