Eine Frau fühlt sich gefangen ...

Movie-Kritik: Thérèse Desqueyroux
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Südfrankreich, 1928. Thérèse Larroque heiratet ihren traditionsbewussten Nachbarn Bernard Desqueyroux. Beide entstammen reichen Familien und werden ausgedehnte Ländereien erben, beide gehen die Verbindung ganz bewusst aus wirtschaftlichen Gründen ein. Es vereinen sich nicht nur zwei Menschen, sondern tausende Hektaren Kiefernwälder.

Und so blickt Thérèse, gespielt von Audrey Tautou, in der Hochzeitsnacht teilnahmslos und leicht erstaunt in die Kamera, während der schwere Körper ihres frischgebackenen Ehemannes sich auf dem ihren bewegt, so als würde sie sich fragen, wie  um Himmels Willen sie in dieses Leben geraten war. Dieser Blick bleibt von da an wie eingebrannt auf ihrem Gesicht stehen. Immer wieder schaut eine frühzeitig gealterte und gelangweilte Thérèse von der Leinwand herunter, steckt sich eine Zigarette zwischen die dunkelroten Lippen und zuckt mit den Schultern.

 

 

Als Thérèse und Bernard von der Hochzeitsreise zurückkehren, ist die Familie in Aufruhr. Bernards kleine Schwester Anne, Thereses beste Freundin, hat sich verliebt, spricht gar von Heirat, nur dass der Junge ganz und gar nicht angebracht ist, ein Jude und noch dazu tuberkulös. Thérèse verspricht, die Sache in die Hand zu nehmen, mit dem jungen Mann zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen. Die beiden unterhalten sich, immer wieder, machen langen Spaziergänge und es scheint, dass es dieser Jean Azevedo ist, der in Thérèse das Verlangen nach etwas anderem weckt, nach Lebendigkeit, nach Gesprächen, die sich nicht nur um die Jagd, die Kiefernwälder und die Familie drehen, nach Freiheit. Er gibt ihrer Sehnsucht eine Richtung, wenngleich diese auch vage bleibt. 

Doch bald reist Jean ab, zurück nach Paris, zu seinem Studium. Anne war für ihn ein Sommerflirt, genauso die schwangere Thérèse.

 

Motive schweben unausgesprochen im Raum

 

Thérèse bleibt zurück und fängt an, die Arsenlösung, die ihr Mann seiner Blutarmut wegen einnimmt, viel zu hoch zu dosieren. Sie fälscht Rezepte, um mehr von dem Arzneimittel zu bekommen, als eigentlich verschrieben wurde. Bernard geht es immer schlechter und bald schon fliegt die versuchte Vergiftung auf. Gegen Thérèse wird eine Untersuchung eröffnet, die Beziehung zu ihrem Mann bloss um des guten Rufes Willen aufrechterhalten und die Freiheit, nach der sich Thérèse so sehr sehnt, scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Als Zuschauer sieht man all dies und bleibt doch seltsam unberührt. Einmal mehr stellt Audrey Tautou eine unnahbare und sehr eigenwillige Frau dar, die sich in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft zu behaupten versucht. Man denke nur an ihre Verkörperung der Coco Chanel. Nur lässt Thérèse im Gegensatz zu den ihr vorangegangenen Figuren kaum Identifikation zu, zu verschwommen sind ihre Motive, zu unergründlich bleibt ihr ernster Blick. Am Ende sagt sie zu ihrem Mann Bernard: «Du weisst immer, warum du handelst.» Das «Ich nicht» schwebt unausgesprochen im Raum.  

 

 

Und obwohl dieses Fragezeichen, dieser Verzicht der Filmemacher, die psychologische Komplexität der Thérèse für ihre Leinwandadaption des berühmten gleichnamigen Romans von François Mauriac zu reduzieren und der Figur ihre spröde Undurchschaubarkeit zu nehmen, erfrischend sein könnte, ist er eher ermüdend. Daran können auch die wunderschöne Landschaft bei Bordeaux, die immer wieder gelungen in Szene gesetzt wird und die träumerisch dahintröpfelnde Filmmusik wenig ändern. Man sieht eine junge Frau, die durch ihr Gefängnis stolpert, immer schwächer und immer verzweifelter wird, man sieht ihren einfachen, etwas groben und doch nicht bösen Ehemann, der ein Netz voller Turteltauben auf den Küchentisch knallt und stolz sagt: «Lebend gefangen!» und währenddessen prüft man die Armbanduhr und denkt an anderes. Der Film vermag nicht zu fesseln, entwickelt kaum Dynamik, bleibt stehen und ist mit beinahe zwei Stunden Spielzeit klar zu lang geraten. Sehenswert bleibt er dennoch: Für Liebhaber von Audrey Tautou, Südfrankreich, Kostümfilmen und François Mauriac.

 

  • Thérèse Desqueyroux (Frankreich 2012)
  • Regie: Claude Miller
  • Darsteller: Audrey Tautou, Gilles Lellouche, Anaïs Demoustier, Stanley Weber, Jérôme Thibault, Yves Jacques
  • Laufzeit: 110 Minuten
  • Kinostart: 7. März 2013
Jasmin Camenzind / Di, 12. Mär 2013